»Aber Deine Eltern sind von Sinnen«; wiederholte er, »total von Sinnen. Zwanzigtausend Francs! Zwanzigtausend Francs! Sie haben den Kopf verloren! Wer gibt denn zwanzigtausend Francs für einen Bankert?«
Johanna hörte ihm ruhig und ohne jeden Zorn zu. Sie war selbst erstaunt über diese Ruhe und Gleichgültigkeit gegen alles, was nicht ihr Kind betraf.
Der Baron atmete schwer, er fand nicht sogleich eine Antwort.
»Bedenken Sie, was Sie sagen!« brach er schliesslich mit dem Fuss stampfend los. »Das ist doch wirklich unerhört! Wer trägt denn die Schuld, dass man dieses verführte Mädchen mit einer Mitgift ausstatten muss? Von wem ist dieses Kind? Sie hätten es wohl einfach verleugnet?«
Von der Heftigkeit des Barons überrascht, sah Julius ihn scharf an. »Aber fünfzehntausend Francs wären doch auch genug gewesen«, begann er dann, wieder in ruhigerem Tone. »Sie haben ja alle Kinder vor der Ehe. Ob es diesem oder jenen gehört, das macht nichts aus. Statt ihr eine Farm im Werte von zwanzigtausend Francs zu geben, sollten Sie lieber an das Gerede denken, in das sie uns bringen. Das heisst doch aller Welt auf die Nase binden, was geschehen ist. Sie hätten doch auf unseren Namen und unsere Stellung Rücksicht nehmen sollen.«
Er sprach in ernstem Ton, wie ein Mann, der auf seinem Recht besteht und dessen Gründe unwiderleglich sind. Der Baron war betroffen durch diese zutreffende Beweisführung und stand verlegen vor ihm.
»Glücklicherweise ist noch nichts ausgemacht«; schloss Julius, seinen Vorteil wahrnehmend seine Ausführungen »ich kenne den Burschen, der sie heiraten will. Er ist ein braver Mensch und es lässt sich alles mit ihm ausgleichen. Ich werde das auf mich nehmen.«
Und er ging sofort hinaus; ohne Zweifel fürchtete er eine Fortsetzung dieses Themas und war froh über das allgemeine Schweigen, das er für eine Zustimmung aufnahm.
»Oh, das ist stark, es ist zu stark!« rief der Baron ausser sich vor Zorn und Überraschung, nachdem sich die Türe hinter Julius geschlossen hatte.
Johanna hingegen, die ihre Augen auf das entsetzte Gesicht ihres Vaters geheftet hatte, brach plötzlich in ein Gelächter aus, in jenes helle Lachen von ehemals, wenn sie Zeugin irgend einer spaßigen Szene war.
»Papa, Papa!« wiederholte sie immer wieder lachend »hast Du gehört, wie er stets betonte: Zwanzigtausend Francs?«
Und Mütterchen, der das Lachen stets eben so nahe war wie das Weinen, wurde bei der Erinnerung an das zornige Gesicht ihres Schwiegersohnes, an seine wütenden Ausrufe, und an seine heftige Weigerung, dem von ihm verführten Mädchen eine Summe zu geben, die ihm noch gar nicht gehörte, von jenem stossweisen Lachen befallen, das ihr stets die Tränen in die Augen trieb. Zugleich wirkte ihre Freude über Johannas gute Laune mit. Da konnte auch der Baron seinerseits der allgemeinen Ansteckung nicht mehr widerstehen und wie in lustigen alten Zeiten lachten alle drei, dass sie fast krank wurden.
»Es ist merkwürdig,« sagte Johanna, als sie sich wieder etwas beruhigt hatten, »dass mir so etwas gar keinen Eindruck mehr macht. Ich betrachte ihn jetzt wie einen Fremden. Ich kann gar nicht mehr glauben, dass ich seine Frau sei. Ihr seht, ich amüsiere mich über seine … seine … Unzartheiten.«
Und ohne recht zu wissen warum, küssten sie sich zärtlich und lachend.
Aber zwei Tage später nach dem Frühstück als Julius ausgeritten war, trat ein großer Bursche von zwei bis vierundzwanzig Jahren, in einen ganz neuen blauen, vielfaltigen Kittel mit bauschigen Ärmeln und Knöpfen am Handgelenk, gekleidet, ängstlich durch das Tor, als ob er dort schon seit Morgen gelauert hätte. Er glitt längs dem Graben des Couillard’schen Pachthofes, ging um’s Schloss herum und näherte sich langsamen Schrittes dem Baron und den beiden Damen, die wie immer unter der Platane sassen.
Als er sie bemerkte, hatte er seine Mütze abgenommen, und trat verlegen grüssend wieder etwas näher.
»Ihr Diener Herr Baron, Madame und alle miteinander« platzte er los, als er nahe genug war um verstanden zu werden. »Ich bin Desiré Lecoq« verkündete er sodann, als niemand ihn anredete.
»Was gibts?« fragte der Baron, den dieser Name nicht gescheiter machte. So gezwungen seine Angelegenheit deutlicher zu erklären wurde der Bursche ganz verlegen. Seine Augen wanderten unruhig hin und her; bald hafteten sie auf der Mütze in seiner Hand, bald weilten sie drüben auf dem Dache des Schlosses.
»Der Herr Pfarrer …« stammelte er, »hat mir … etwas von der … Sache gesteckt.«
Dann schwieg er wieder, aus Furcht zu viel zu sagen und dadurch sein Interesse zu verletzen.
»Von welcher Sache? Ich weiß wahrhaftig nichts« sagte der Baron verständnislos.
»Die Sache mit dem Mädchen … mit Rosalie …« sagte hierauf der andere mit halblauter Stimme.
Johanna, die halb und halb die Geschichte erraten hatte, stand auf und entfernte sich mit dem Kind auf den Armen.
»Kommt heran,« sagte der Baron mit der Hand auf den Stuhl deutend, den seine Tochter verlassen hatte.
»Sie sind sehr gütig,« murmelte der Bauer sich setzend. Dann wartete er wieder, als wenn er weiter nichts zu sagen hätte. Endlich nach längerem Schweigen schien er einen Entschluss zu fassen und heftete den Blick auf den blauen Himmel. »Wir haben noch schönes Wetter für diese Jahreszeit Schade, dass es dem Lande für die Aussaat nicht mehr zu Gute kommt.« Dann schwieg er abermals.
»Ihr wollt also die Rosalie heiraten?« fragte ihn der Baron ganz unvermittelt, nachdem seine Geduld zu Ende war.
Der Mann wurde sofort sehr unruhig; seiner gewohnten normännischen Vorsicht passte diese Frage nicht so recht. »Vielleicht ja, wie es passt; vielleicht auch nein, je nachdem,« erwiderte er lebhaft wenn auch immer noch sehr misstrauisch.
Dem Baron wurden endlich diese ausweichenden Redensarten zu viel.
»Zum Teufel auch! So sprecht doch frisch von der Leber. Kommt ihr deshalb, oder nicht. Wollt ihr sie heiraten oder nicht?«
Der Mann starrte ganz verlegen immer nur auf seine Füsse.
»Wenn es so ist, wie der Pfarrer sagt, nehm’ ich sie; wenn es aber so ist, wie Herr Julius sagt, nehm ich sie keinesfalls.
»Was hat euch Herr Julius gesagt?«
»Herr Julius hat mir gesagt, dass ich fünfzehntausend Francs haben sollte; und der Herr Pfarrer hat mir gesagt, es wären zwanzigtausend. Mit zwanzigtausend nehme ich sie, mit fünfzehntausend aber nicht.«
Die Baronin, welche in ihrem Stuhl versunken sass, stiess beim Anblick dieses ängstlichen Menschen ein kurzes Lachen aus. Der Bauer sah sie von der Seite mit missvergnügter Miene an; er begriff diese plötzliche Heiterkeit nicht und wartete.
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