Er blieb verblüfft stehen und wusste nicht, was er tun und sagen sollte.
»Nun ja, meine junge Dame«, mischte sich der Pfarrer ein, »grämen wir uns nicht so sehr; seien Sie vernünftig.« Er stand auf, näherte sich dem Bette und legte sanft seine Hand auf die Stirn der Verzweifelten. Diese milde Berührung stimmte sie seltsam weich; sie fühlte sich alsbald sprachlos, als ob diese einfache starke Hand, gewohnt Verzeihung zu spenden, Trost zu bringen, ihre Seele mit einem geheimnisvollen Frieden erfüllt habe.
»Madame«, begann der wackere Mann, bei ihr stehen bleibend, aufs Neue, »man muss stets Verzeihung üben. Sehen Sie, ein großes Unglück hat Sie betroffen; aber Gott hat in seiner Barmherzigkeit ihm ein großes Glück zur Seite gestellt, indem Sie sich Mutter fühlen. Das Kind wird Ihr Trost sein. In seinem Namen flehe ich Sie an; ich beschwöre Sie, Herrn Julius zu verzeihen. Es wird ein neues Band zwischen Ihnen bilden, ein Unterpfand seiner zukünftigen Treue. Können Sie sich von dem Herzen dessen lossagen, dessen Liebespfand Sie unter dem Herzen tragen?«
Sie antwortete nicht; sie war geknickt, von Schmerz zerrissen und zu erschöpft jetzt. Sie hatte selbst für Zorn und Abscheu keine Kraft mehr. Ihre Nerven waren abgespannt, wie langsam zerschnitten; sie fühlte kaum noch, dass sie lebte.
»Ja, sieh nur mal, Johanna!« sagte die Baronin, der jeder Groll zuwider war, und deren Seele einer andauernden Erregung unfähig blieb.
Da nahm der Pfarrer die Hand des jungen Mannes, zog ihn nahe an das Bett heran, und legte sie in die Hand seiner Frau. Er drückte beide Hände mit der seinigen, als wollte er sie endgültig vereinen, und seinen gewöhnlichen salbungsvollen Ton bei Seite lassend, sagte er mit zufriedener Miene:
»So, das wäre in Ordnung; glauben Sie nur, es wird alles gut gehen.«
Die beiden Hände, eben erst miteinander vereint, lösten sich sofort wieder. Julius wagte es noch nicht, seine Frau zu umarmen und küsste nur seine Schwiegermutter auf die Stirn. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und nahm den Arm des Barons, der es sich gern gefallen ließ, froh im Grunde genommen, dass die Geschichte so abgelaufen war. Beide gingen fort, um draussen eine Zigarre zu rauchen.
Die Kranke schlummerte vor Erschöpfung ein, während der Priester mit der Mama noch eine leise Unterhaltung hatte.
Der Abbé führte das Wort und entwickelte seine Ideen, während die Baronin zuweilen durch ein leichtes Kopfnicken ihren stummen Beifall zu erkennen gab.
»Das wäre also abgemacht«, sagte er zum Schlusse. »Sie geben dem Mädchen den Pachthof Barville, und ich nehme es auf mich, ihm einen Mann, einen braven ordentlichen Burschen zu verschaffen. Ach, bei einem Vermögen von zwanzigtausend Francs wird es an Liebhabern nicht fehlen. Die Wahl wird uns noch schwer genug werden.«
Die Baronin lächelte glücklich, während noch zwei Tränen auf ihrer Wange hafteten, deren feuchte Spur jedoch bereits eingetrocknet war.
»Das ist sicher«, bestätigte sie; »Barville ist zum Mindesten seine zwanzigtausend Francs wert. Aber wir wollen den Hof auf den Namen des Kindes schreiben lassen. Die Eltern sollen die lebenslängliche Nutzniessung haben.«
Der Pfarrer erhob sich und drückte der Baronin die Hand:
»Bemühen Sie sich nicht, Frau Baronin, bitte, bemühen Sie sich nicht. Dieser Gang war schon der Mühe wert.«
Beim Herausgehen begegnete er Tante Lison, die nach der Kranken sehen wollte. Sie hatte von allem keine Ahnung; niemand sagte ihr etwas und sie wusste, wie immer, nichts.
*
Rosalie hatte das Haus verlassen und Johanna ging langsam der Zeit entgegen, wo sie Mutter werden sollte. Sie empfand keine wahre Herzensfreude über ihren Zustand; dafür hatte sie zu viel Kummer erlebt. Ohne Sehnsucht wartete sie auf ihr Kind, weil sie immer noch von der Furcht vor endlosem Unglück gepeinigt war.
Der Frühling war langsam herbeigekommen. Noch schüttelten zwar die Bäume ihre kahlen Äste im kühlen Winde, aber in dem feuchten Grase am Rande der Gräben, in denen die herbstlichen Blätter verfaulten, begannen bereits die ersten Primeln ihre Köpfchen hervorzustrecken. Auf der ganzen Ebene, von den Höfen der Pächterhäuser, wie von den aufgeweichten Feldern stieg ein Hauch von Feuchtigkeit, eine Art Gärungsduft auf. Zahllose grüne Spitzen tauchten aus dem braunen Boden hervor und erglänzten in der Sonne.
Eine dicke, kräftig gebaute Frau war an Rosaliens Stelle getreten und stützte die Baronin bei ihren einsamen Spaziergängen in der Allee, wo die Spur ihres schleppenden Fusses stets feucht und schmutzig erschien.
Papa führte Johanna am Arme, die jetzt sehr stark geworden war und viel zu leiden hatte. Tante Lison, sehr beunruhigt und besorgt wegen des zukünftigen Ereignisses, hatte auf der anderen Seite ihre Hand gefasst. Dieses Geheimnis, von dem sie selbst nie etwas erfahren hatte, verursachte ihr viel Kopfzerbrechen.
So gingen sie stundenlang, ohne dass jemand ein Wort gesprochen hätte. Julius durchstreifte indessen die Gegend zu Pferde; das war der neueste Geschmack, den er sich angewöhnt hatte.
Im Übrigen floss ihr einsames Leben ungestört dahin. Der Baron, seine Frau und der Vicomte machten einen Besuch bei den Fourvilles, die Julius schon sehr gut zu kennen schien, ohne dass man recht wusste woher. Mit den Brisevilles, die immer noch versteckt in ihrem schlummernden Schlosse sassen, wurde ebenfalls ein Anstandsbesuch ausgetauscht.
Eines Nachmittags gegen 4 Uhr trabten ein Herr und eine Dame hoch zu Ross in den Vorhof des Schlosses.
»Geh schnell herunter, bitte, schnell!« stürmte Julius sehr erregt in das Zimmer seiner Frau. »Die Fourvilles sind da. Sie kommen ganz einfach als Nachbarn, da sie Deinen Zustand kennen. Sag ihnen, ich wäre ausgegangen, käme aber bald zurück. Ich will mich nur schnell umziehen.«
Johanna, erstaunt über seine Erregung, begab sich nach unten. Eine junge, hübsche Frau, mit einem leidenden Zug in dem bleichen Gesichte, lebhaften Augen, und Haaren von so mattem Blond, als hätte sie niemals ein Sonnenstrahl umschmeichelt, stellte ihr höflich ihren Mann vor, einen Riesen, eine Art Wauwau mit großem rötlichen Schnurrbart. »Wir trafen Herrn de Lamare schon öfters«, fügte sie dann hinzu, »und erfuhren von ihm, wie unwohl Sie seien. Aber wir wollten Ihnen doch so gerne unseren nachbarlichen Besuch machen, durchaus ohne jede Förmlichkeit. Sie sehen ja, wir sind zu Pferde. Übrigens hatte ich schon früher einmal die Ehre, den Besuch Ihres Herrn Vaters und Ihrer Frau Mutter zu empfangen.«
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