Aber ein neuer furchtbarer Krampf ergriff sie, ein Krampf so grausig, dass sie sich sagte: »Ich muss sterben; das ist der Tod.« Dann erfüllte ihre Seele eine wilde Erregung, ein Bedürfnis zu schimpfen, ein grenzenloser Hass gegen diesen Mann, der sie ins Unglück gestürzt hatte, und auch gegen das Kind, das sie tötete.
Sie quälte sich mit furchtbarer Anstrengung diese Bürde loszuwerden. Plötzlich schien es ihr, als ob ihr ganzes Innere sich gewaltsam erweiterte. Dann ließ der Schmerz nach.
Die Wärterin und der Arzt hatten sich über sie gebeugt, und tasteten an ihr herum. Sie nahmen irgendetwas fort und dasselbe kollernde Geräusch, welches sie damals schon gehört hatte, ließ sie erschaudern. Dann drang ihr dieser schmerzliche Schrei, dieses schwache Wimmern eines neugeborenen Kindes durchs Herz, ihr ganzer ermatteter Körper erbebte davon. Mit einer fast unbewussten Gebärde breitete sie die Arme aus.
Sie empfand plötzlich eine innige Freude, eine Sehnsucht nach einem neuen Glück, das ihr entstanden war. Sie fühlte sich in einem Augenblick wie umgewandelt, beruhigt; so glücklich, wie sie noch nie gewesen war. Geist und Körper lebten wieder auf; sie fühlte sich Mutter!
Nun wollte sie auch gern ihr Kind sehen. Es hatte noch keine Haare und keine Nägel, da es viel zu früh gekommen war. Aber als sie sah, wie dieses Würmchen sich bewegte, wie es den Mund öffnete und sein Gewimmer ausstiess, als sie dieses hässliche runzlige verkümmerte Wesen berührte und Leben in ihm spürte, da wurde sie von einer unwiderstehlichen Freude ergriffen. Sie fühlte sich gerettet, gesichert vor jeder Verzweiflung; denn sie hielt da etwas in ihren Händen, über dessen Liebe sie alles andere vergessen würde.
Von da an hatte sie nur noch einen Gedanken! Ihr Kind. Sie wurde plötzlich eine schwärmerische Mutter; umso schwärmerischer, als sie vorher in ihrer Liebe verletzt, in ihren Hoffnungen getäuscht worden war. Die Wiege musste immer ganz nahe an ihrem Bett stehen; dann, als sie aufstehen durfte, konnte sie tagelang am Fenster sitzen neben sich das leichte Bettchen, das sie schaukelte.
Sie war eifersüchtig auf die Amme und wenn das kleine Wesen durstig die Ärmchen nach der großen blaugeaderten Brust ausstreckte und die dunkle faltige Warze zwischen seine gierigen Lippen nahm, schaute sie bleich und zitternd, die robuste ruhige Bäuerin an, mit einem Gefühle, als müsse sie ihr das Kind entreissen und mit ihren Nägeln diese Brust zerfleischen, an der es so begierig sog.
Dann begann sie selbst zu nähen, um es in feine sorgfältig« ausgewählte Kleidchen zu stecken. Es bewegte sich in einem Meer von Spitzen und trug die kostbarsten Häubchen. Sie sprach nur von diesen Sachen, hielt in der Unterhaltung inne, um ein Wickelband, ein Lätzchen oder eine zierlich gestickte Schleife bewundern zu lassen. Sie hörte nichts von allem, was um sie vorging; sie begeisterte sich über irgend ein Wäschestück, das sie lange in der erhobenen Hand hin und herwandte, um es besser sehen zu können. Dann fragte sie plötzlich: »Glaubt Ihr, dass ihm das gut stehen wird?«
Der Baron und die Mama lächelten über diese übermässige Zärtlichkeit. Julius dagegen, der sich in seinen Gewohnheiten gestört und in seinem Herrscher-Ansehen durch diesen schreienden und allmächtigen Tyrannen herabgesetzt fühlte, war von unbewusster Eifersucht auf dieses Stücken Mensch erfasst, das ihn von seinem Platz im Hause verdrängte: »Sie wird wirklich lästig mit ihrem Wurm« wiederholte er stets zornig und ungeduldig.
Allmählich beherrschte diese Liebe sie so sehr, dass sie die Nächte an der Wiege sass, um den Schlaf des Kleinen bewachen zu können. Da sie sich bei dieser leidenschaftlichen krankhaften Neigung so aufrieb, dass sie sich selbst keine Ruhe mehr gönnte und abmagerte und hustete, ordnete der Arzt an, dass man sie von ihrem Söhnchen trennen möge.
Sie war ausser sich; sie bat und flehte; aber man blieb taub gegen ihre Bitten. Jeden Abend wurde das Kind zu seiner Amme gebracht. Und jede Nacht stand die Mutter auf, schlich barfuss an die Tür und lauschte durch das Schlüsselloch, ob der Knabe auch ruhig schlief, ob er nicht aufwachte, oder irgendetwas nötig hätte.
Als Julius einmal spät von einem Diner bei den Fourvilles heimkehrte fand er sie dort. Seitdem wurde sie nachts in ihr Zimmer eingeschlossen, um sie zu zwingen ins Bett zu gehen.
Gegen Ende August fand die Taufe statt. Der Baron war Pathe und Tante Lison Pathin. Das Kind erhielt den Namen Peter, Simon, Paul; letzterer war sein Rufname.
In den ersten Tagen des September reiste Tante Lison in aller Stille ab; ihre Abwesenheit wurde ebensowenig bemerkt wie ihre Anwesenheit.
Eines Abends nach dem Diner erschien der Pfarrer. Er machte einen etwas verlegenen Eindruck als habe er irgend ein Geheimnis auf dem Herzen; und nach einer Weile allgemeiner Redensarten bat er den Baron und die Baronin, ihm eine Besprechung unter sechs Augen zu bewilligen.
Alle drei gingen hinaus und wandelten langsamen Schrittes in lebhaftem Gespräch bis an’s Ende der Allee; Julius blieb mit Johanna allein. Er war erstaunt, beunruhigt und geärgert über diese Geheimnistuerei.
Als der Priester sich verabschiedete, schloss er sich ihm an, um ihn bis zur Kirche zu begleiten, auf der es gerade zum Angelus läutete.
Es war frisch, beinahe kalt draussen, und man zog sich bald in den Salon zurück. Alle waren beinahe eingenickt, als Julius plötzlich erschien, das Gesicht von Zorn gerötet.
»Sie müssen verrückt geworden sein«; schrie er schon in der Tür seine Schwiegereltern an, ohne auf Johanna’s Anwesenheit zu achten. »Wer, um Gotteswillen, wirft denn zwanzigtausend Francs an ein solches Mädchen heraus?«
Niemand antwortete; so groß war für den Augenblick die Überraschung. »So dumm kann man doch nicht sein«; fuhr er keuchend vor Zorn fort. »Sie wollen uns wohl keinen Sou mehr hinterlassen?«
»Schweigen Sie! denken Sie, dass Ihre Frau zugegen ist,« fiel ihm jetzt endlich der Baron ins Wort, der seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte.
»Ich mache mir den Teufel daraus!« stiess jener zornig heraus. »Sie weiß übrigens ja, wie die Sachen stehen. Es ist ein Raub an ihrem zukünftigen Eigentume.«
»Um was handelt es sich eigentlich?« fragte Johanna, ihren Mann überrascht und verständnislos anblickend.
Da wandte sich Julius zu ihr und nahm sie zur Zeugin, wie eine Teilhaberin, die gleich ihm um einen erhofften Vorteil gebracht werden sollte. Er erzählte ihr ohne Rückhalt die Vereinbarung, um Rosalie zu verheiraten, die Beschenkung derselben mit dem Pachthof Barville, der mindestens zwanzigtausend Francs wert sei.
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