»Ja, Madame,« schluchzte Rosalie.
Eine Zeit lang schwiegen beide. Man hörte nur das Schluchzen Rosaliens und der Baronin.
Auch Johanna fühlte, wie ihre Augen feucht wurden; sie lehnte sich in die Kissen zurück und leise rannen ihr die Tränen über die Wangen.
Das Kind ihrer Zofe hatte denselben Vater wie das ihrige! Ihr Zorn war dahin. Jetzt fühlte sie nur, wie eine seltsame tiefe und endlose Verzweiflung sich langsam ihres Herzens bemächtigte.
Sie begann ihre Fragen aufs neue, aber dieses Mal klang ihre Stimme verändert, weicher.
»Als wir zurückkamen von … da unten … von der Reise …, wann hat er da wieder angefangen?«
»Da … gleich den ersten Abend,« stöhnte die Zofe, die jetzt beinahe ganz am Boden lag.
Jedes ihrer Worte durchschnitt Johannas Herz. Also am ersten Abend, am Abend ihrer Rückkehr nach Peuples, ließ er sie allein um dieses Mädchens willen! Deshalb schlief er in seinem Zimmer!
Sie wusste jetzt genug, sie mochte nichts mehr davon hören.
»Geh’ hinaus, geh’ fort!« rief sie. Und als Rosalie, ganz fassungslos, sich nicht von der Stelle rührte, rief sie den Vater herbei: »Führe sie fort, jag’ sie hinaus.«
Aber der Pfarrer, der bis dahin schweigend zugehört hatte, hielt jetzt den Augenblick für eine kleine Strafpredigt gekommen:
»Das ist schändlich, was Du getan hast, meine Tochter,« begann er, »sehr schändlich; der Himmel wird Dir sobald nicht verzeihen. Denke an die Hölle, die Dich erwartet, wenn Du nicht sofort eine andere Lebensweise beginnst. Jetzt, wo Du ein Kind hast, müssen wir sehen, dass es mit Dir in Ordnung kommt. Frau Baronin wird ohne Zweifel etwas für Dich tun und wir müssen trachten, einen Mann für Dich zu finden …«
Er hätte jedenfalls noch lange gesprochen, aber der Baron hatte Rosalie abermals bei den Schultern gefasst, riss sie in die Höhe, schleppte sie bis an die Türe und warf sie wie einen Ball auf den Gang hinaus.
Als er, bleicher fast wie seine Tochter, zurückkam, ergriff der Pfarrer abermals das Wort: »Was soll man machen? Sie sind alle so hier zu Lande. Es ist zum jammern, aber man kann es nicht ändern und muss etwas Nachsicht mit der Schwäche der Natur haben. Sie heiraten niemals, Madame, ohne nicht schon guter Hoffnung zu sein. Man könnte das so als eine Landessitte bezeichnen,« fügte er lächelnd hinzu. »Selbst bei den Kindern fängt es schon an,« sagte er, dann ernster werdend. »Fand ich doch neulich auf dem Kirchhof ein Pärchen, das noch die Schule besucht! Ich teilte es den Eltern mit. Wissen Sie, was ich zur Antwort erhielt? »Was soll man machen, Herr Pfarrer? Wir haben ihnen diese Schmutzerei nicht beigebracht; wir können nichts dafür.« Sehen Sie, Herr Baron, Ihr Mädchen hat es gemacht, wie die anderen auch …«
»Ach die?« unterbrach ihn der Baron, noch wutzitternd, »die ist mir ganz gleichgültig. Es ist Julius, der mich so wütend macht. Es ist schändlich, was er da gemacht hat und ich will meine Tochter mit mir nehmen.«
Sich immer mehr in die Hitze redend, ging er auf und ab. »Es ist infam, meine Tochter so zu hintergehen, infam! Er ist ein Lump, dieser Mensch, eine Canaille, ein Elender; aber ich werde es ihm sagen, ich werde ihn züchtigen, ihn mit meinem Degen umbringen!«
Der Pfarrer nahm, neben der trostlosen Baronin stehend, bedächtig eine Priese und suchte seines Amtes als Friedensspender zu walten. »Sehen Sie, Herr Baron, er hat es, unter uns gesagt, gemacht wie alle Welt. Kennen Sie viele Ehemänner, die treu sind?« Und mit etwas boshafter Harmlosigkeit fügte er hinzu: »Sicher, ich wette, dass Sie selbst auch so Ihre kleinen Scherze gehabt haben. Schauen Sie, Hand aufs Herz, ob ich nicht recht habe.«
Der Baron war überrascht stehen geblieben und schaute dem Priester ins Gesicht, der ruhig fortfuhr:
»Nun ja, Sie haben es gemacht wie alle anderen. Wer weiß, ob Sie nicht auch mal so eine leckere Frucht gekostet haben, wie diese da. Ich sage Ihnen, alle Welt treibt es so. Ihre Frau ist darum nicht weniger glücklich und weniger geliebt gewesen, nicht wahr?«
Der Baron wusste wirklich nicht, was er antworten sollte.
Wahrhaftig, in der Tat, er hatte es ebenso gemacht und recht oft sogar, so hinge er gekonnt hatte. Auch er hatte sein eigenes Haus nicht rein gehalten. Wenn die Zofen seiner Frau halbwegs hübsch waren, so hatte er sich nicht lange bedacht. War er deshalb ein schlechter Mensch? Warum beurteilte er Julius’ Aufführung so streng, während er für die seinige doch stets eine Entschuldigung gefunden hatte?
Der Baronin schwebte mitten zwischen ihrem krampfhaften Schluchzen doch ein Lächeln auf den Lippen, wenn sie an die kleinen Vergesslichkeiten ihres Gatten dachte. Sie war eine von jenen sentimentalen, schnell erregbaren und zugleich nachsichtigen Naturen, für welche Liebes-Abenteuer das halbe Leben ausmachen.
Johanna lag indessen mit offenen Augen, die Arme unter dem Kopf gekreuzt, auf ihrem Kissen und starrte, in schmerzliches Nachdenken versunken, vor sich hin. Ein Wort Rosaliens kam ihr immer wieder in den Sinn, das sie tief verletzt hatte und ihr einen Stich ins Herz gab: »Ich wollte nichts sagen, er war so nett und gut.«
Auch sie hatte ihn nett und gut gefunden und nur deshalb hatte sie sich ihm ergeben, sich ihm fürs ganze Leben verbunden, auf jede andere Hoffnung, auf alle ihre Jugendträume, auf alle unbekannten Erwartungen verzichtet. Sie hatte sich in diese Ehe gestürzt, in dieses grundlose Loch, um in dieses Elend zu geraten, in diese trostlose, verzweifelnde Lage, weil sie, wie Rosalie, ihn so nett und gut gefunden hatte.
Die Türe flog mit einem heftigen Stosse auf und Julius trat ein, das Antlitz vor Wut entstellt. Er hatte Rosalie jammernd auf der Treppe gefunden und wollte sich nun selbst überzeugen. Er ahnte, dass irgendetwas vorgefallen war, dass das Mädchen ohne Zweifel geplaudert hatte. Der Anblick des Priesters bannte ihn auf seinen Platz.
»Was ist los? Was gibts?« fragte er mit zitternder Stimme, aber im Übrigen ruhig. Der Baron, vorhin noch so heftig, wagte nichts zu sagen; es war ihm bei den Worten des Pfarrers und dem Hinweis auf sein eigenes Beispiel nicht recht wohl zu Mute geworden. Die Mama weinte wieder stärker. Johanna hatte sich auf die Hände gestützt und betrachtete schwer atmend den, der ihr so grausames Weh verursacht hatte.
»Was es gibt?« stammelte sie. »Nun, dass wir alles wissen, dass wir Ihre ganze Schändlichkeit kennen seit … seit dem Tage, wo Sie dieses Haus betreten haben … dass das Kind dieser Zofe Ihnen gehört … wie … das meinige, … dass es Geschwister sein werden.« Und vom Übermasse des Schmerzes bewältigt, barg sie das Gesicht in die Kissen und weinte bitterlich.
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