Er ging darum Frau Poinçot aus den Wege.
Eines Abends jedoch wollte es der Zufall, dass er beim Diner ihr Tischnachbar wurde. Er fühlte den glühenden Blick seiner Nachbarin unaufhörlich auf seiner Haut, auf seinen Augen und bis in die Seele hinein; ihre Hände begegneten sich zufällig und drückten sich fast wider Willen: Das war schon der Anfang zur Liebschaft.
Dann sah er sie wieder, immer wider Willen. Er fühlte, dass sie ihn liebte, und das rührte ihn; ein selbstgefälliges Mitleid mit der glühenden Leidenschaft dieses Weibes überkam ihn. Er ließ sich also anbeten und war einfach galant, in der Hoffnung, dass es dabei sein Bewenden haben würde.
Aber eines Tages gab sie ihm ein Stelldichein, um ihn zu sehen und ungestört mit ihm plaudern zu können, wie sie sagte. Sie fiel ihm ohnmächtig in die Arme und er war wohl oder übel genötigt, ihr Liebhaber zu werden.
*
Das währte so sechs Monate. Sie liebte ihn unsinnig, atemlos. Im Banne dieser fanatischen Leidenschaft dachte sie an nichts mehr; alles gab sie ihm hin, Leib und Seele, Ruf, Ansehen und Glück. Alles hatte sie in die Flamme ihres Herzens geworfen, wie man vor Zeiten alles, was einem teuer war, auf den flammenden Holzstoß warf, wenn man opferte.
Er war der Sache längst überdrüssig und bedauerte lebhaft, dass sein hübsches Gesicht ihm zu so leichtem Siege verholfen hatte; aber er sah sich gebunden, festgehalten, gefangen. – Bei jeder Gelegenheit sagte sie ihm: »Ich habe dir alles gegeben, was willst du noch?« Er hatte dann große Lust, zu antworten: »Aber ich habe dich um nichts gebeten, und ich bitte dich, wieder zurückzunehmen, was du mir gegeben hast.« Jeden Abend kam sie zu ihm; es kümmerte sie nicht, ob sie gesehen wurde, ob sie sich kompromittierte und verloren wäre; und jedes Mal liebte sie ihn heißer. Sie warf sich ihm in die Arme, umschlang ihn leidenschaftlich und verschmachtete schier in verzückten Küssen, die ihn schauderhaft langweilten. Er sagte dann mit müder Stimme: »Komm, sei vernünftig!« Sie antwortete nur: »Ich liebe dich« und setzte sich zu seinen Füßen, um lange in anbetender Haltung vor ihm zu verharren. Bei diesem beharrlichen Anstarren verging ihm schließlich die Laune und er suchte sie aufzurichten. »Komm«, sagte er, »setz’ dich; plaudern wir etwas.« Aber sie murmelte beständig: »Nein, lass mich!« und blieb verzückt sitzen.
Eines Tages sagte er zu seinem Freunde d’Henricel: »Weißt du, nächstens schlage ich sie. Ich bin es satt, ich will nicht mehr. Die Sache muss ein Ende nehmen und das schleunig!« Und dann setzte er ruhiger hinzu: »Was rätst du mir zu tun?« – »Brich!« riet jener. Aber Renoldi zuckte die Achseln. »Du sagst das so leicht hin. Glaubst du, das wäre so leicht, mit einer Frau zu brechen, die einen mit Aufmerksamkeiten verfolgt, mit Zuvorkommenheit martert, mit Zärtlichkeit quält, deren einzige Sorge ist, dir zu gefallen, und deren einziges Unrecht ist, dass sie sich dir an den Hals geworfen hat…«
Aber da kam eines Morgens die frohe Botschaft, dass das Regiment seine Garnison wechseln sollte, und Renoldi hüpfte vor Freude. Er war gerettet, gerettet ohne Szenen und Aufregung, gerettet!… Es handelte sich nur noch darum, zwei Monate Geduld zu haben!… Gerettet!…
Als sie am Abend zu ihm kam, war sie noch aufgeregter, als sonst. Sie hatte die Schreckenskunde vernommen. Ohne ihren Hut abzutun, ergriff sie seine Hände und presste sie fieberhaft, indem sie ihm fest ins Auge blickte und mit bebender, entschlossener Stimme sagte: »Ich weiß, du willst fortgehen. Die Nachricht brach mir anfangs das Herz; nun aber weiß ich, was ich zu tun habe. Ich zögere nicht mehr. Ich will dir den größten Beweis meiner Liebe bringen, den ein Weib bringen kann: ich folge dir. Um deinetwillen verlasse ich Mann, Kinder, Familie. Ich richte mich zu Grunde, aber ich bin glücklich. Mir ist, als gäbe ich mich dir von Neuem zu eigen. Es ist das letzte und größte Opfer. Ich bin dein für immer!«
Es lief ihm eiskalt über den Rücken, als er das hörte. Eine dumpfe, ingrimmige, ohnmächtige Wut überkam ihn. Trotzdem hielt er an sich und wies ihr Opfer mit sanfter Stimme zurück. Er suchte sie zu beschwichtigen, sie zur Vernunft zu bringen und ihr ihre Torheit auszureden. Sie hörte mit verächtlich aufgeworfener Lippe zu und blickte ihm mit ihren schwarzen Augen ins Gesicht, ohne etwas zu antworten. Als er geendigt hatte, sagte sie nur: »Du bist also so feige, ein Weib zu verführen und es dann bei der ersten besten Laune zu verlassen!«
Renoldi wurde bleich und fing wieder mit Vernunftgründen an. Er stellte ihr die unausbleiblichen Folgen dieser Handlungsweise bis zu ihrem Tode vor Augen; er machte ihr klar, dass sie ihr Lebensglück zerstörte, dass die Welt für sie verschlossen wäre… Aber sie antwortete beharrlich: »Was tut das, wenn man sich liebt?«
Da brauste er schließlich auf. »Nun wohl, ich will nicht! Nein! Verstehst du, ich will nicht, ich verbiete es dir!« Und sein Herz quoll von dem lange genährten Widerwillen über. »Ei zum Himmel, es ist jetzt lange genug, dass du mich gegen meinen Willen liebst. Es fehlte noch, dich mitzunehmen. Ich danke schön!«
Sie antwortete nichts, aber über ihr leichenfahles Gesicht zog ein langsames und schmerzliches Zucken, als ob alle Muskeln und Nerven sich krümmten. Sie ging, ohne Lebewohl zu sagen.
In derselben Nacht vergiftete sie sich. Eine Woche lang hielt man sie für verloren. Und in der Stadt steckte man die Köpfe zusammen, beklagte sie und entschuldigte ihren Fehltritt mit der Macht ihrer Leidenschaft; denn alle bis auf Äußerste gesteigerten Gefühle, die den Menschen zum Heroismus hinreißen, werden immer verziehen, wenn sie an sich auch verwerflich sind. Ein Weib, das in den Tod geht, ist sozusagen keine Ehebrecherin mehr. Und so entstand denn allgemach eine allgemeine Erbitterung gegen den Leutnant Renoldi, der sich weigerte, sie wieder zu sehen, und ein einmütiges Gefühl der Missbilligung.
Man erzählte sich, dass er sie verlassen, verraten und geschlagen hätte. Selbst sein Oberst empfand Mitleid mit der Selbstmörderin und ließ ein paar Worte des Tadels in eine Unterredung mit seinem Untergebenen einfließen. Paul d’Henricel kam zu seinem Freunde und sagte: »Aber zum Henker, mein Lieber, man lässt ein Weib doch nicht in den Tod gehen. Das ist nicht anständig…«
Renoldi war erbittert und hieß seinen Freund schweigen. Der aber ließ das Wort Infamie fallen; es kam zum Duell und Renoldi wurde zur allgemeinen Zufriedenheit verwundet. Er musste lange das Bett hüten.
Als sie es erfuhr, liebte sie ihn noch mehr, denn sie glaubte, er hätte sich ihretwegen geschlagen. Da sie ihr Zimmer indes nicht verlassen durfte, sah sie ihn vor dem Aufbruch des Regiments nicht wieder.
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