Ich war dermaßen entsetzt, dass ich einen furchtbaren Schrei tat. Aber ehe ich mich umwenden konnte, flammte es vor meinen Augen auf, ein betäubendes Krachen folgte, und der Mann rollte am Boden, wie ein Wolf, der eine Kugel bekommen hat.
Ich stieß ein schrilles, entsetztes, wahnsinniges Geschrei aus. Eine wütende Hand, Hervés Hand, packte mich an der Gurgel. Ich wurde zu Boden geworfen und von starken Armen hochgehoben. Er lief, während er mich hoch in der Luft hielt, auf den ins Gras gestreckten Körper zu und warf mich gewaltsam darauf, als ob er mir den Kopf zerbrechen wollte.
Ich hielt mich für verloren; er wollte mich töten. Schon setzte er den Hacken auf meine Stirn, – als er selber umschlungen und niedergeworfen wurde, ohne dass ich noch begriff, was geschah.
Ich fuhr jäh auf und sah Paquita, meine Zofe, auf ihm knien. Sie hatte sich festgekrallt wie eine wütende Katze, und riss ihm in rasender Wut den Bart und die Haut vom Gesichte.
Dann schnellte sie, wie von einem anderen Gedanken ergriffen, wieder empor, warf sich über den Leichnam, umschlang ihn mit beiden Armen, küsste ihn auf die Augen, auf den Mund, schob seine Lippen mit den ihren auseinander und suchte einen letzten Lebenshauch, eine innige Liebkosung in des Toten Munde.
Mein Mann war aufgesprungen und blickte starr zu. Er begriff und fiel mir zu Füßen. »Verzeihung, meine Teuerste!« flehte er. »Ich hatte dich im Verdacht und ich habe den Geliebten dieses Mädchens getötet. Mein Wächter hat mich betrogen.«
Ich schaute den seltsamen Küssen dieses Toten und dieser Lebenden zu und hörte ihr Schluchzen und die Ausbrüche ihrer verzweifelten Liebe.
Und von Stund’ an begriff ich, dass ich meinem Manne untreu sein würde.
*
Frau Julie Roubère erwartete ihre ältere Schwester, Frau Henriette Létoré, die von einer Schweizer Reise zurückkehrte.
Létorés waren seit etwa fünf Wochen verreist, und Frau Henriette hatte ihren Gatten allein nach seiner Besitzung bei Calvados zurückkehren lassen, wo er geschäftlich zu tun hatte, um selbst auf ein paar Tage nach Paris zu gehen und ihre Schwester zu besuchen.
Es war schon Abend. In dem kleinen bürgerlichen Wohnzimmer war es bereits recht dämmerig. Frau Roubère saß am Fenster und las zerstreut, um bei jedem Geräusche den Kopf zu heben.
Endlich klingelte es und ihre Schwester erschien in ihren wallenden Reisekleidern. Sie flogen sich gleich in die Arme, noch ehe sie sich wiedererkannt hatten, und hielten mit Küssen nur inne, um gleich wieder anzufangen.
Dann sprachen sie und befragten sich über ihr Befinden, ihre Familie und tausend andere Dinge; sie schwatzten hastig, mit eiligen, abgerissenen Worten und sprangen vom einen zum anderen über, während Henriette ihren Schleier und Hut ablegte.
Die Nacht brach herein. Frau Roubère schellte nach der Lampe, und als sie gebracht war, blickte sie ihre Schwester aufmerksam an und wollte sie von Neuem umarmen. Aber plötzlich hielt sie betroffen, starr und sprachlos inne: auf den Schläfen ihrer Schwester schlängelten sich zwei große weiße Locken. Ihr übriges Haar war kohlschwarz und von tiefem Glanze, aber da – nur da – an den beiden Seiten zogen sich zwei Silberflechten hin, die sich alsbald in der dunkelen Masse verloren. Und sie war doch kaum vierundzwanzig Jahre alt, und dies war vor ihrer Schweizer Reise auch nicht gewesen. Frau Roubère starrte sie unverwandt an; die Tränen waren ihr nahe, als ob irgend ein geheimnisvolles, furchtbares Unglück über ihre Schwester hereingebrochen wäre.
– Was hast du, Henriette? fragte sie.
– Nichts, antwortete die Gefragte mit traurigem, krankem Lächeln. Ich versichere dir, nichts. Du blickst so auf meine weißen Haare?
Frau Roubère fasste sie ungestüm an der Schulter und blickte sie forschend an.
– Was hast du? wiederholte sie. Wenn du die Unwahrheit sagst – ich merk’ es sogleich.
Sie standen sich Aug’ in Auge gegenüber. Frau Henriette war blass geworden, als ob sie ohnmächtig würde; sie senkte die Augen, deren Winkel sich mit Tränen füllten.
– Was ist dir zugestoßen? wiederholte ängstlich die Schwester. Was sagst du? Gib mir Antwort!
Frau Henriette schien besiegt und legte schluchzend die Stirn auf die Schulter ihrer jüngeren Schwester.
– Ich habe einen Liebhaber, flüsterte sie.
Dann, als sie sich ein wenig beruhigt hatte und das krampfhafte Schluchzen nachließ, begann sie plötzlich mitteilsam zu werden. Es war, als ob sie ein lastendes Geheimnis loswerden und ihr Herz einem teuren Menschen ausschütten wollte.
Die beiden Frauen schritten, sich mit verschlungenen Händen haltend, auf das Sofa zu, das im Grunde des Zimmers stand, und ließen sich darauf nieder. Die jüngere Schwester schlang ihren Arm um den Hals der älteren und zog deren Kopf an ihr Herz, während sie aufmerksam zuhörte.
– Ja, begann jene, ich bekenne mich ohne Umschweife schuldig. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Seit jenem Tage bin ich wie toll. Sieh du dich nur vor, Kleine, pass auf dich auf. Wenn du wüsstest, wie schwach wir sind, wie leicht wir nachgeben, wie schnell wir fallen! Ein Nichts, ein ganzes kleines Nichts genügt, eine zärtliche Regung, eine jener plötzlichen Anwandlungen von Schwermut, die unsre Seele durchziehen, ein Bedürfnis, die Arme aufzutun, zu küssen und zu herzen, wie wir es alle in gewissen Augenblicken verspüren.
Du kennst meinen Gatten, und du weißt, wie lieb ich ihn habe, aber er ist gesetzt und verständig, und ahnt nichts von all den zärtlichen Regungen eines Frauengemütes. Er ist sich immer gleich, immer gütig und lächelnd, immer gefällig, immer vollkommen. O wie gern möchte ich, dass er mich manchmal jäh in seine Arme risse, dass er mich mit jenen langsamen und tiefen Küssen beglückte, die zwei Seelen vereinen und wie stumme Liebesschwüre sind; wie wünschte ich, dass er sich manchmal vergäße und Schwächen zeigte, dass er ein Bedürfnis nach mir und meinen Liebkosungen, meinen Tränen hätte!
Das alles ist dumm, wie er sagt, aber wir sind doch nun einmal so. Was können wir dafür?
Und doch ist es mir nie in den Sinn gekommen, ihn zu betrügen. Heute ist es nun so gekommen, ohne Liebe, ohne Grund, ohne Ursache, nur weil es in einer Mondnacht am Vierwaldstättersee war.
Den ganzen Monat lang, wo wir auf Reisen waren, hatte mir mein Mann mit seiner ewigen Gleichmütigkeit alle Begeisterung genommen, alles Hochgefühl erstickt. Wenn wir so morgens bei Sonnenaufgang die steilen Hänge im Galopp herunterfegten, vier Pferde vor der Postkalesche, und ich durch den durchsichtigen Frühnebel hindurch die langgestreckten Täler und Wälder, die Flüsse und Städte erblickte, und entzückt in die Hände klatschte und sagte: »Wie schön ist das! Mein Freund, küsse mich doch!« – dann antwortete er mit wohlwollendem, frostigen Lächeln und zuckte dabei mit den Achseln: »Das ist doch kein Grund, sich zu küssen, weil die Landschaft dir gefällt!«
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