– Leider! brummte der eine Nichtstuer. Dann ließ er eine Minute verstreichen und fuhr fort: Wenn man nur wenigstens schlafen könnte, ohne irgendetwas zu empfinden; so schön schlafen, wie nach großen Anstrengungen, ganz fort sein, ohne Träume…
– Warum ohne Träume? fragte sein Nachbar.
– Weil Träume nie angenehm sind, erwiderte jener. Außerdem sind sie stets verdreht und unmöglich, ja ganz ungereimt, und im Schlafe können wir die besten nicht mal nach unserm Wunsche auskosten. Man muss im Wachen träumen!
– Wer hindert Sie denn daran? fragte der Schriftsteller.
– Mein Freund, sagte der Arzt, indem er seine Zigarre wegwarf, um im Wachen zu träumen, bedarf es einer großen Kraft- und Willensanstrengung, und darauf folgt dann eine große Schwäche. Gewiss gehört der wirkliche Traum, dieses Schweifen unserer Gedanken durch die Gefilde der Einbildung, zum Schönsten auf Erden, aber er muss von selbst kommen und nicht mühsam hervorgerufen werden. Auch muss er bei völligem leiblichen Wohlbefinden kommen und gehen. – Und diesen Traum, setzte er hinzu, kann ich Ihnen verschreiben, vorausgesetzt, dass Sie mir versprechen, keinen Missbrauch damit zu treiben.
Der Schriftsteller zuckte die Achseln.
– Jawohl, weiß schon, Haschisch, Opium, grünes Konfekt und künstliche Paradiese. Ich habe Baudelaire gelesen und selbst das berüchtigte Zeug genommen; und tüchtig krank bin ich davon geworden.
Der Arzt hatte sich wieder gesetzt.
– Nein, sagte er, Äther, nichts als Äther. Und zwar sollten gerade Sie, die Schriftsteller, zuweilen Gebrauch davon machen.
Die drei wohlhabenden Herren drängten sich wissbegierig heran.
– Erzählen Sie uns doch, welche Wirkungen das hat, bat der eine.
Und der Arzt begann.
– Zunächst wollen wir die großen Worte lassen, nicht wahr? Ich spreche weder medizinisch, noch moralisch, sondern einfach praktisch. Sie leisten sich jeden Tag Ausschweifungen, die Ihre Gesundheit zerrütten. Ich will Ihnen ein neues Gefühl sagen, das nur intelligenten, vielleicht nur sehr intelligenten Menschen zugänglich ist. Es ist gefährlich, wie alles, was unsre Organe reizt, aber großartig. Ich bemerke noch, dass es einer gewissen Vorbereitung bedarf, d. h. einer gewissen Gewohnheit, damit man die eigentümlichen Wirkungen des Äthers voll genießen kann.
Sie sind anders als die Wirkungen des Haschisch oder Morphium und dauern nur so lange, als der Genuss des Medikamentes anhält. Wogegen die Wirkungen der anderen Traumerzeuger Stunden lang fortdauert, wie Sie wissen.
Ich will nun versuchen, Ihnen so deutlich wie möglich zu machen, was man dabei empfindet. Es ist dies nämlich keine leichte Sache: so delikat, so unfasslich sind diese Empfindungen.
Was mich zu diesem Mittel greifen ließ, das ich in der Folge vielleicht etwas missbraucht habe, waren heftige neuralgische Schmerzen. Sie plagten mich in Kopf und Nacken, wärend ich eine unerträgliche Hitze in der Haut und eine fieberhafte Unruhe am ganzen Körper verspürte. Ich nahm mir also eine große Flasche Äther vor, legte mich hin und atmete sie langsam ein.
Nach einigen Minuten glaubte ich ein unbestimmtes Murmeln zu vernehmen, das bald zu einem lauten Schwirren wurde. Dabei war mir, als ob das ganze Innere meines Körpers leicht, federleicht würde und in Dunst zerginge.
Dann kam eine Art seelischer Starre, ein schläfriges Behagen, und trotz alledem dauerten die Schmerzen fort, hörten aber auf, qualvoll zu sein. Es war eine Art von Schmerzen, wie man sie gerne hinnimmt, und nicht mehr dieses schauderhafte Reißen, gegen das der ganze Körper sich sträubt.
Bald verbreitete sich dieses seltsame und angenehme Gefühl von Leere, das ich in der Brust hatte, auch über die Glieder; sie wurden gleichfalls so leicht, als ob Fleisch und Knochen schmölzen und die Haut allein übrig bliebe: gerade so viel Haut, um mich empfinden zu lassen, wie herrlich das Leben ist und das Liegen in diesem seligen Zustand… Ich merkte auch, dass ich nicht mehr litt, dass der Schmerz fort war, wie weggeweht, verdunstet… Ich hörte Stimmen, vier Stimmen, zwei Unterhaltungen, ohne von den Worten etwas zu verstehen. Bald waren es nur unbestimmte Laute, bald fing ich einzelne Worte auf, bis ich schließlich erkannte, dass es einfach das starke Brausen in meinen Ohren war, was sich so anhörte. Ich schlief nicht, ich wachte, ich hatte Verstand und Gefühl, ich dachte mit einer Helligkeit, mit einer tiefen, außerordentlichen Kraft und Lust am Geiste, einer seltsamen Trunkenheit, die von dieser mächtigen Entfaltung meiner mentalen Fähigkeiten herrührte.
Es war kein Haschischtraum noch eine jener krankhaften Visionen des Opiumrausches, sondern eine wunderbare Schärfe des Gedankens, eine neue Art, alle Dinge zu sehen, zu schätzen, zu beurteilen, und dies alles mit einer Sicherheit und dem unbedingten Bewusstsein, dass diese Art die richtige war.
Und plötzlich kam mir das alte Wort der Schrift in den Sinn. Mir war, als hätte ich vom Baum der Erkenntnis gegessen, als enthüllten sich mir alle Geheimnisse der Welt. Ich fühlte mich im Besitz einer neuen, seltsamen, unwiderleglichen Logik. Gründe, Vernunftschlüsse, Beweise strömten mir in Menge zu, um gleich darauf durch stärkere Gründe und Beweise wieder umgestoßen zu werden. Mein Kopf war zum Schlachtfeld von Ideen geworden. Ich war ein höheres Wesen mit unüberwindlicher Intelligenz, und ich hatte einen wunderbaren Genuss daran, meine Macht zu konstatieren…
Das dauerte lange, lange. Ich hatte immer noch das Mundstück meiner Ätherflasche vor dem Munde. Plötzlich merkte ich, dass sie leer war, und eine unglaubliche Traurigkeit überfiel mich.
– Doktor, schrien die vier Herren wie aus einer Kehle, schnell ein Rezept für ein Liter Äther.
Aber der Arzt setzte seinen Hut auf und ging.
– Das… nein! versetzte er. Gehen Sie zu anderen, um sich vergiften zu lassen.
*
Nun, wie wäre es damit, meine Herrschaften? Haben Sie keine Lust darauf?…
*
Sie baten mich, mein Freund, Ihnen die lebhaftesten Erinnerungen meines Daseins zu erzählen. Ich bin sehr alt und habe weder Verwandte noch Kinder; ich fühle mich also frei genug, mich Ihnen anzuvertrauen. Versprechen Sie mir nur, meinen Namen nicht preiszugeben.
Ich bin viel geliebt worden, das wissen Sie, und oft habe ich mich selbst geliebt. Ich war sehr schön, was ich heute unverhohlen sagen kann, da nichts mehr davon übrig ist. Die Liebe gab meiner Seele Leben, wie die Luft dem Körper Leben gibt. Ich wäre lieber gestorben, als ohne Zärtlichkeitsbeweise, ohne jemanden, der an mich dachte, zu leben. Die Frauen behaupten oft, dass sie nur einmal mit ganzer Seele liebten. Mir ist es oft so ergangen, dass ich so heiß liebte, dass ich das Ende meiner Leidenschaft für unmöglich hielt. Und doch verlosch sie allemal, wie ein Feuer, dem es an Holz mangelt.
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