Einer der Hochzeitsbitter lief davon, der andere blickte ihn an und fragte: »Was hast du da getan, Santa Lucia?«
Damit wollte er nach Corte laufen und Hilfe holen. Aber Santa Lucia wetterte ihn an: »Steh oder ich schieße dir dein Bein entzwei!« Der andere, der seine bisherige Furchtsamkeit kannte, erwiderte geringschätzig: »Das wagst du ja doch nicht!« und ging. Aber da krachte schon der Schuss und er brach zusammen; die Kugel hatte ein Bein zerschmettert.
Santa Lucia kam näher. »Ich will deine Wunde besehen«, sagte er. »Ist sie nicht schwer, so werde ich dich hier liegen lassen; ist sie tötlich, so werde ich dir den Rest geben.«
Damit untersuchte er die Wunde, und da er sie für tötlich befand, lud er sein Gewehr noch einmal, forderte den Verwundeten auf, sein Paternoster zu beten, und schoss ihm dann durch den Schädel. Am nächsten Morgen war er in den Bergen.
Und wissen Sie, was er da getan hat, dieser Santa Lucia?
Seine ganze Familie wurde von Gendarmen festgenommen. Selbst sein Onkel, der Pfarrer, den man als Anstifter des Mordes im Verdacht hatte, wurde ins Gefängnis geworfen und von den Verwandten des Erschossenen angeklagt. Es gelang ihm indessen, zu entfliehen; er griff gleichfalls zur Flinte und tat sich mit seinem Neffen zusammen.
Lucia tötete nun nacheinander die Ankläger seines Oheims und riss ihnen die Augen aus, um den anderen die Lehre zu geben, dass sie nichts behaupten sollten, was sie nicht mit eigenen Augen gesehen hätten.
Er tötete alle Verwandten und den ganzen Anhang der feindlichen Familie. Er brachte in seinem Leben vierzehn Gendarmen um, zündete die Häuser seiner Widersacher an und war bis zu seinem Tode der gefürchteteste Räuber, dessen man sich entsinnen kann. – – –
Die Sonne verschwand hinter dem Monte Cinto, und die mächtigen Schatten des Granitstockes legten sich auf den Granit des Tales. Wir beschleunigten unsern Schritt, um noch vor Anbruch der Nacht nach dem kleinen Dorfe Albertacce zu kommen, das wie ein großer Steinklumpen an den Rändern der wilden Schlucht klebte. Und ich sagte im Gedanken an den Banditen:
– Was für eine schreckliche Sitte ist doch Eure Vendetta!
– Was wollen Sie? entgegnete mein Begleiter. Man tut nur seine Pflicht!
*
Sie war ruhig gestorben, ohne Todeskampf, wie ein Weib, das ein unsträfliches Leben hinter sich hat, und nun lag sie mit geschlossenen Augen und friedlichen Zügen auf ihrem Bette, als ob sie schliefe; ihr langes weißes Haar war sorgfältig frisiert, als ob sie es erst zehn Minuten vor ihrem Tode geordnet hätte. Ihr marmornes Totenantlitz drückte solche Sammlung und Ruhe, eine solche Ergebung aus, dass man sich wohl vorstellen konnte, welche schöne Seele in diesem Körper gewohnt, welches sturmlose Leben diese heitere Greisin geführt, welches friedliche Ende ohne Qualen und Gewissensbisse diese unsträfliche Frau gefunden hatte.
An ihrem Bette knieten in verzweifeltem Schluchzen ihr Sohn, ein Beamter von unbeugsamen Grundsätzen, und ihre Tochter Marguerite, die als Nonne Schwester Eulalia hieß. Sie hatte sie in strenger Moral erzogen, im Glauben ohne Wankelmut unterwiesen und mit unwandelbarem Pflichtgefühl beseelt. Der Sohn war Beamter geworden; er hielt das Gesetz hoch und schlug die Lässigen und Saumseligen mit unerbittlicher Strenge. Und die Tochter war im Drange der Tugend, mit der sie dieses fromme Haus erfüllt hatte, und weil sie die Menschen verschmähte, Gottes Braut geworden.
Ihren Vater hatten sie nicht gekannt; sie wussten nur, dass er ihre Mutter unglücklich gemacht hatte; Einzelheiten hatten sie nie erfahren.
Die Nonne drückte in irrem Schmerz einen Kuss auf die herabhängende Elfenbeinhand der Toten, eine wahre Christushand. Die andere Hand, die auf der anderen Seite des hingestreckten Körpers ruhte, hatte sich noch vom Todeskampf her mit irrendem Tasten in das Betttuch gekrampft, und das Leinen lag noch in kleinen weißen, welligen Falten, wie in Erinnerung an diese letzten Bewegungen, die der ewigen Unbeweglichkeit vorausgehen.
Es klopfte leise an die Tür und die beiden verweinten Gesichter blickten auf. Es war der Priester, der vom Essen kam und eben eintrat. Er war rot und pustete von der beginnenden Verdauung, denn er hatte viel Cognac in den Kaffee gegossen, um die Müdigkeit der letzten verwachten Nächte und der bevorstehenden Nacht zu bekämpfen.
Er blickte traurig drein, mit jener berufsmäßigen Traurigkeit, hinter der die Freude über den einträglichen Todesfall grinst. Er machte das Zeichen des Kreuzes und kam in berufsmäßiger Gangart näher. »Meine lieben Kinder«, hub er an, »lasst mich Euch helfen, diese traurigen Stunden zu verbringen.« Aber Schwester Eulalia richtete sich plötzlich auf und sagte: »Danke, mein Vater, aber es ist unser beider Wunsch, allein bei der Toten zu bleiben. Es sind dies die letzten Augenblicke, wo wir sie sehen, und da wollen wir wieder alle drei zusammen sein, wie einst, als wir… als wir klein waren und unsere arme… arme Mutter…« Weiter kam sie nicht; der Schmerz und die hervorbrechenden Tränen erstickten ihre Stimme.
Der Priester verneigte sich; im Grunde freute er sich auf sein Bett. »Wie Ihr wollt, meine lieben Kinder«, sagte er salbungsvoll, kniete nieder, bekreuzigte sich, verrichtete sein Gebet, stand wieder auf und verließ das Zimmer mit sanften Schritten. »Sie war eine Heilige!« murmelte er.
Nun waren sie wieder allein, die Tote und ihre Kinder. Eine Wanduhr, die man nicht sah, unterbrach das Schweigen mit regelmäßigem Ticken, und durch das offene Fenster quoll der weiche Duft des Heus und der Wälder mit dem sehnsüchtigen Schimmer des Mondes herein. Alles war still; nur zitternde Unkenrufe vernahm man, und zuweilen das nächtliche Surren eines Insekts, das wie eine Kugel hereingeflogen kam und brummend an die Wand stieß. Unendlicher Frieden, himmlische Schwermut und schweigende Heiterkeit waren um diese Tote, sie schienen von ihr auszugehen und sich besänftigend auf die Natur ringsum zu legen.
Da schluchzte der Beamte, der noch immer auf den Knien lag und das Haupt in die Leinentücher des Bettes vergraben hatte, plötzlich mit heiserer, herzbrechender Stimme durch Decken und Tücher hindurch: »O Mutter! Mutter! Mutter!« Und die Schwester warf sich wild auf den Fußboden nieder und schlug mit rasender Stirn gegen den Bettpfosten. Sie wand sich krampfhaft am Boden und zitterte, wie bei einem epileptischen Anfall. »Jesus! Jesus! O Mutter! Jesus!« hauchte sie.
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