Anfangs hatte Johanna versucht, ihm einige zärtliche Vorstellungen zu machen; aber er hatte sie in so rauem Tone ersucht, ihn in Ruhe zu lassen, dass sie in Zukunft auf weitere Versuche verzichtete.
Die Wirkung dieser Veränderungen auf ihr eigenes Gemüt setzten sie selbst manchmal in Erstaunen. Er war für sie wieder ein völlig Fremder geworden, dessen Herz und Gemüt ihr noch verschlossen waren. Sie dachte oft hierüber nach und wunderte sich, wie es möglich sei, dass nach so zärtlichen Stunden, wie sie beide sie zusammen verlebt, sie sich plötzlich wie zwei Unbekannte gegenüberstanden, die nie das Bett miteinander geteilt hätten.
Und warum litt sie eigentlich gar nicht so sehr durch seine Vernachlässigung? War das immer so im Leben oder hatte man sie getäuscht? Würde es auch in Zukunft weiter nichts mehr für sie geben?
Wenn Julius hübsch, elegant, sauber und vornehm in seinen Manieren geblieben wäre, hätte sie wahrscheinlich mehr gelitten.
Man hatte beschlossen, dass von Neujahr an die jungen Leute allein bleiben sollten, während Mama und Papa zu einem mehrmonatlichen Aufenthalt nach Rouen zurückkehrten, wo sie ja ihr Hotel hatten. Das junge Paar wollte diesen Winter Peuples nicht verlassen, um sich dort völlig einzurichten und sich allmählich an die Stätte zu gewöhnen, wo sie ihr ganzes ferneres Leben zubringen würden. Ausserdem musste Julius seine junge Frau doch einigen Familien in der Nachbarschaft, wie den Brisevilles, den Couteliers und den Fourvilles vorstellen.
Aber die jungen Leute konnten mit ihren Besuchen noch nicht beginnen, weil es bis dahin nicht möglich gewesen war, den Maler zu bekommen, der die Wappenschilder an der großen Kalesche verändern sollte.
Die alte große Familien-Equipage war seiner Zeit vom Baron in aller Form dem Schwiegersohn abgetreten worden. Und Julius hätte um keinen Preis der Welt eingewilligt, seine Antritts-Besuche auf den Nachbarschlössern zu machen, wenn das Wappen der Lamare nicht neben dem der Le Perthuis des Vauds geglänzt hätte.
Nun gab es aber auf dem Lande dort weit und breit nur einen Mann, der sich noch speziell mit der Kunst der Wappenmalerei beschäftigte, ein Maler aus Bolbec, Namens Bataille, der der Reihe nach auf allen Schlössern der Normandie beschäftigt war, die kostbaren Schildereien auf Kutschenschlägen zu erneuern.
Endlich eines Morgens im Dezember, gegen Schluss des Frühstücks, sah man ein Individuum das Tor öffnen und direkt auf das Schloss zuschreiten. Er trug einen Kasten auf dem Rücken. Das war Bataille.
Man ließ ihn in den Speisesaal eintreten und setzte ihm wie einem Herrn zu essen vor. Seine Kunst, seine fortwährenden Beziehungen zu der gesamten Aristokratie des Landes, seine heraldischen Kenntnisse mit einem Worte, hatten ihn zu einem aussergewöhnlichen Manne gestempelt, dem die Edelleute die Hand drückten.
Es wurde sofort Papier und Bleistift herbeigeschafft, und während Bataille ass, entwarfen der Baron und Julius ihre Wappen mit allen Einzelnheiten. Die Baronin, die, sobald es sich um solche Dinge handelte, ganz lebendig wurde, gab ihre Ratschläge dazu. Sogar Johanna nahm an der Beratung Teil, als ob plötzlich irgend ein geheimnissvolles Interesse in ihr wach gerufen wäre.
Bataille gab, ruhig weiterkauend, seinen Senf dazu, nahm dazwischen mal einen Bleistift, zeichnete einen Entwurf, nannte dieses oder jenes Beispiel und beschrieb alle herrschaftlichen Equipagen des Landes. Sein ganzes Wesen, sein Geist, seine Art zu sprechen schienen selbst von dieser vornehmen Atmosphäre durchsetzt zu sein.
Es war ein kleiner Mann mit kurz geschorenen grauen Haaren, farbenbeschmutzten Händen und einem durchdringenden Firnisduft. Wie man sagte, hatte er früher mal eine hässliche Skandalgeschichte gehabt; aber die Achtung, mit der ihn alle vornehmen Familien des Landes schon behandelten, hatte längst diesen dunklen Fleck verwischt.
Nachdem er mit seinem Kaffee zu Ende war, führte man ihn zu der Remise, wo der Wachstuch-Überzug von der Kalesche abgezogen wurde. Bataille besichtigte sie genau, verbreitete sich mit wichtiger Miene über die Grössenverhältnisse, welche er seinem Entwurfe geben würde und begab sich schliesslich an die Arbeit, nachdem er noch dies und jenes an seinem Plane geändert hatte.
Die Baronin ließ sich trotz der Kälte einen Sessel bringen, um der Arbeit zuzusehen; und nachdem man ihr eine Wärmflasche unter die Füsse gelegt hatte, begann sie gemächlich eine Plauderei mit dem Maler. Er musste ihr von Verbindungen erzählen, die sie noch nicht kannte, von Sterbefällen und Geburten, während sie hin und wieder aus ihren genealogischen Kenntnissen die notwendigen Ergänzungen dazu gab.
Julius war bei seiner Schwiegermutter geblieben. Er sass rittlings auf einem Stuhle, seine Pfeife rauchend und hin und wieder ausspuckend, während er aufmerksam zusah, wie sein Wappen gemalt wurde.
Bald machte auch Papa Simon, der sich gerade mit dem Spaten auf der Schulter zum Küchengarten begab, einen Augenblick Halt, um die Arbeit zu betrachten. Da die Nachricht von der Ankunft Batailles selbst bis zu den beiden Pachthöfen gedrungen war, so erschienen auch bald die beiden Pächtersfrauen. Sie standen ausser sich vor Entzücken zu beiden Seiten der Baronin.
»Nein, welche Kunst das erfordert, um diese zierlichen Schnörkeleien fertig zu bringen« wiederholten sie unaufhörlich.
Selbstredend dauerte es bis zum anderen Morgen gegen elf Uhr, bis die Schilder auf beiden Schlägen vollendet waren. Alle Welt war schliesslich dabei zugegen, und man zog die Kalesche heraus, um sie bewundern zu können, als alles fertig war,
Man beglückwünschte Bataille, der bald darauf, seinen Kasten auf dem Rücken, wieder seines Weges zog. Der Baron und seine Frau, Julius und Johanna waren darin einig, dass der Maler ein Mann von ganz ausserordentlichen Talenten sei und es unter anderen Umständen gewiss zu einem großen Künstler gebracht hätte.
Julius hatte aus Sparsamkeits-Rücksichten eine Menge Reformen eingeführt, welche jetzt wieder weitere Veränderungen notwendig machten.
Der alte Kutscher war Gärtner geworden, da der Vicomte selbst die Zügel zu führen pflegte. Die Kutschpferde waren verkauft, um sie nicht unnötig füttern zu müssen. Damit aber jemand die Zügel hielt, wenn die Herrschaft abgestiegen war, so hatte Julius einen kleinen Viehjungen Namens Marius zum Diener ausgebildet.
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