Sie kehrten hierauf zum Essen heim und die kleine Korsin behandelte sie, als ob sie schon seit zwanzig Jahren mit ihnen bekannt wäre.
Johanna wurde von peinlicher Unruhe gequält, ob sie auch in Julius’ Armen jene seltsame und heftige Liebe wiederfinden würde, die sie auf dem Moosteppich bei der Quelle am Morgen empfunden hatte.
Als sie allein im Zimmer waren, zitterte sie bei dem Gedanken an eine Enttäuschung. Aber es kam anders, und diese Nacht wurde im wahren Sinne des Wortes ihre Brautnacht.
Am anderen Morgen, als die Stunde der Abreise nahte, konnte sie sich kaum entschliessen, das kleine Haus zu verlassen, wo ihr ein neues Glück für sie aufgegangen zu sein schien.
Sie zog die kleine Frau ihres freundlichen Gastgebers ins Zimmer und versicherte ihr, dass sie ihr durchaus kein Geschenk machen wolle, sich aber glücklich fühlen würde, wenn sie ihr nach ihrer Rückkehr von Paris aus ein kleines Andenken schicken dürfte. Fast mit abergläubischer Hartnäckigkeit bestand sie auf der Übersendung dieses Andenkens.
Die junge Korsin sträubte sich lange und wollte absolut nichts annehmen.
»Nun gut«, sagte sie endlich, »schicken Sie mir eine kleine Pistole, eine ganz kleine.«
Johanna machte große Augen.
»Ich möchte meinen Schwager töten«, sagte sie ganz leise, ihr ins Ohr flüsternd, wie man Jemanden ein süsses Geheimnis anvertraut. Und unter fortwährendem Lächeln löste sie hastig die Binde von ihrem Arm und zeigte ihre runde weiße Hand, welche deutlich die Spuren von mehrfachen Dolchstichen aufwies.
»Wenn ich nicht ebenso stark wäre wie er, so hätte er mich umgebracht. Mein Mann ist nicht eifersüchtig; er kennt mich. Und zudem ist er krank, wissen Sie, und das lässt sein Blut nicht aufwallen. Übrigens bin ich eine ehrbare Frau, Madame! Aber mein Schwager glaubt alles, was man ihm sagt. Er ist eifersüchtig für meinen Mann und er wird sicher wieder von Neuem anfangen. Wenn ich indessen eine kleine Pistole hätte, wäre ich beruhigt und könnte mich vor ihm schützen.«
Johanna versprach, ihr die Waffe zu senden, küsste zärtlich ihre neue Freundin und setzte ihren Weg mit Julius fort.
Der Rest ihrer Reise verging ihnen wie ein Traum, wie ein endloser Liebesrausch. Sie hatte kein Auge mehr für Land und Leute; sie sah nur noch Julius.
Von nun an begann für sie jene kindliche liebliche Zeit der Liebeständelei, kleiner zarter Kosenamen, scherzhafter Neckereien, die Zeit, wo sie alles, was sie umgab und was sie genossen, mit einer besonderen Bezeichnung belegten.
Da Johanna auf der rechten Seite schlief, so war ihre linke Brust beim Erwachen zuweilen entblöst. Julius, der dies bemerkt hatte, nannte das den »Herrn Freischläfer«, während er die andere Seite als den »Herrn Verliebten« bezeichnete, weil dieselbe mit ihrer rosigen Knospe sich für seine Küsse empfindlicher erwies.
Jener Platz, wo Julius am liebsten und häufigsten bei ihr verweilte, wurde von ihnen »Mütterchens Allee« getauft; eine andere geheimnisvollere Stelle nannten sie den »Damas-Weg« zur Erinnerung an das Tal von Ota.
Als sie in Bastia anlangten, musste der Führer entlohnt werden. Julius griff in seine Tasche, konnte aber das Gewünschte nicht gleich finden.
»Da Du die zweitausend Francs Deiner Mutter doch nicht brauchst, so könntest Du sie mir zu tragen geben. Sie sind in meinem Gürtel besser aufgehoben, und ich brauche dann kein Geld wechseln zu lassen.«
Sie reichte ihm die Börse hin.
Hierauf reisten sie über Livorno, Florenz, Genua und besuchten das ganze Alpengebiet.
Bei einem heftigen Nordwest-Winde langten sie eines Morgens in Marseille an.
Man schrieb den 15. Oktober; seit ihrer Abreise von Peuples waren zwei Monate vergangen.
Johanna fühlte sich traurig; der heftige kalte Wind erinnerte sie an ihre Heimat, die Normandie. Julius schien seit einiger Zeit sehr verändert, müde und gleichgültig. Sie hatte Furcht, ohne zu wissen wovor.
Sie verzögerte ihre Heimreise noch um vier Tage, weil sie sich nicht entschliessen konnte, dies schöne sonnige Land zu verlassen. Es war ihr, als ob mit der Reise auch ihr Glück zu Ende ging.
Schliesslich fuhren sie ab.
Sie mussten noch in Paris alle ihre Einkäufe für ihren endgültigen Aufenthalt in Peuples besorgen. Johanna freute sich darauf, dank der wohlgefüllten Börse von ihrer Mutter, allerhand Wunderdinge mit heim zu bringen. Das erste aber, woran sie dachte, war die Pistole für die kleine Korsin in Evisa.
»Möchtest Du mir das Geld von Mama zurückgeben, Herz, damit ich meine Einkäufe machen kann?« sagte sie am Tage nach ihrer Ankunft zu Julius.
»Wie viel brauchst Du?« wandte er sich stirnrunzelnd zu ihr.
»Aber … so viel Du meinst,« stammelte sie überrascht.
»Ich werde Dir hundert Francs geben, aber verschleudere sie nicht« entgegnete er.
Sie war so überrascht und verwirrt, dass sie anfangs keine Worte fand; endlich sagte sie zögernd:
»Aber … ich … ich hatte Dir doch das Geld gegeben, um …«
»Ich weiß schon« unterbrach er sie. »Es ist doch ganz egal, wer von uns beiden es in der Tasche hat, da wir doch von jetzt ab gemeinsame Kasse führen. Du kannst haben, was Du willst, aber ich meine, hundert Franks wäre vorläufig genug.«
Ohne weiter ein Wort zu sagen, nahm sie die fünf Goldstücke; aber sie wagte nicht, noch um mehr zu bitten und kaufte nur die Pistole.
Acht Tage später traten sie die Rückreise nach Peuples an.
*
1 Eine speziell auf Corsika gebräuchliche Bezeichnung für unkultivierte wilde, mit dichtem Gestrüpp bedeckte Strecken. (Anm. d. Übers.) <<<
Bei dem weißen Tor, welches zwischen den Ständern aus Backstein hing, wurden sie von der Familie und der Dienerschaft empfangen. Der Postwagen hielt an und es erfolgten lange herzliche Umarmungen. Mütterchen weinte, und auch Johanna wischte sich einige Tränen; der Papa ging aufgeregt hin und her.
Dann erfolgte im Salon vor dem Kaminfeuer die Aufzählung der Reiseerlebnisse, während draussen das Gepäck abgeladen wurde. Unaufhörlich flossen die Worte von Johannas Lippen und alles wurde erzählt, die ganze Reise, in einer halben Stunde. Einige Kleinigkeiten vielleicht wurden übergangen.
Dann ging die junge Frau daran, ihre Pakete und Paketchen auszukramen, wobei Rosalie voll tiefer Bewegung mithalf. Als dies zu Ende war, als das Leinenzeug, die Kleider und alle möglichen Toilettegegenstände an ihrem Platze lagen, verliess die Kammerjungfer ihre Herrin, und Johanna, allein gelassen, setzte sich nieder.
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