»Riechen Sie das, diesen Duft?« sagte er mit seiner durch dreissigjähriges Kommandieren rau gewordenen und im Gebrüll der Stürme verschlissenen Stimme.
In der Tat nahm sie einen eigentümlichen seltsamen Pflanzenduft von ungewöhnlicher Würze wahr.
»Das ist Corsika in der Blüte, Madame«, fuhr der Kapitän fort. »Es ist wie der Duft einer hübschen jungen Frau. Ich würde ihn noch nach zwanzig Jahren auf fünf Meilen Entfernung wiedererkennen. Ich stamme von dort. Er, da unten auf St. Helena, spricht wie es heisst, stets von dem Dufte seines Vaterlandes. Wir sind mit ihm verwandt.«
Und der Kapitän lüftete seinen Hut, grüsste Corsika und grüsste da unten, weit im Ozean den großen gefangenen Kaiser, der zu seiner Familie gehörte.
Johanna fühlte sich so bewegt, dass sie beinahe geweint hätte.
Dann breitete der Seemann die Arme gegen den Horizont aus.
»Die Blutsteine!« sagte er.
Julius stand neben seiner Frau und hielt sie umschlungen; beide schauten in die Ferne, um den angedeuteten Punkt zu erkennen.
Endlich bemerkten sie einige Felsen in Gestalt von Pyramiden, welche bald darauf das Schiff umfuhr, um in einen ungeheuren ruhigen Golf einzulaufen, der von zahlreichen hohen Gipfeln umsäumt war, deren grüne Hänge mit Moos bedeckt schienen.
»Die Makis!« 1sagte der Kapitän, auf die grünen Hänge deutend.
Je näher man kam, desto mehr schien sich der Kreis von Bergen hinter dem Schiff zusammenzuschliessen, welches langsam dahin glitt. Die azurblaue Flut war so klar, dass man fast bis auf den Grund sehen konnte.
Und plötzlich zeigte sich im Hintergrunde der Bucht am Rande der Wogen zu Füssen der Berge die weißschimmernde Stadt.
Einige kleine italienische Schiffe lagen im Hafen vor Anker. Vier oder fünf Barken umkreisten den »König Ludwig«, um seine Passagiere aufzunehmen.
»Was meinst Du«, sagte Julius, das Gepäck zusammenlegend, leise zu seiner Frau, »zwanzig Sous wird für den Träger wohl genug sein?«
Seit acht Tagen stellte er jeden Augenblick die gleiche Frage, die ihr schrecklich peinlich war.
»Wenn man nicht weiß, ob es genug ist, gibt man lieber etwas mehr«, sagte sie ziemlich ungeduldig.
Unaufhörlich handelte er mit Wirten und Kellnern, mit Kutschern und Geschäftsleuten aller Art. Wenn er dann mit Hilfe seiner Zungenfertigkeit einen billigeren Preis erzielt hatte, so sagte er zu Johanna, sich vergnügt die Hände reibend:
»Ich lasse mich nicht gern übers Ohr hauen.«
Sie zitterte jedes Mal, wenn sie die Rechnungen kommen sah, denn sie wusste, dass er zu jedem Posten seine Einwendungen machen würde. Sie fühlte sich durch diesen Krämergeist erniedrigt und errötete jedes Mal bis über die Ohren, wenn sie den missvergnügten Blick der Angestellten bemerkte, mit welchem dieselben aus der Hand ihres Mannes das stets sehr spärliche Trinkgeld empfingen.
Nun hatte er noch einen längeren Streit mit dem Barkenführer, der sie an Land brachte.
Der erste Baum, den sie sah, war eine Palme.
Sie stiegen in einem großen stattlichen Hotel an der Ecke eines geräumigen Platzes ab und liessen sich ein Frühstück servieren.
Als sie mit dem Nachtisch fertig waren und Johanna sich gerade erheben wollte, um ein wenig durch die Stadt zu streifen, schloss sie Julius in seine Arme und flüsterte ihr zärtlich zu:
»Wollen wir uns nicht etwas niederlegen, mein Schatz?«
»Uns niederlegen?« fragte sie überrascht. »Aber Ich bin durchaus nicht müde!«
»Aber ich möchte … Du weißt schon«, sagte er, »seit zwei Tagen! …«
»Ach, zu dieser Stunde?« stammelte sie schamrot. »Was wird man davon denken? Wie würdest Du den Mut finden, am hellen Tage ein Zimmer zu verlangen? Ach, Julius, ich bitte Dich!«
»Ich mache mir den Kuckuck daraus, was die Leute denken oder sagen werden«, unterbrach er sie. »Du wirst sehen, wie gleichgültig mir das ist.« Und er schellte.
Sie wagte nichts mehr einzuwenden und sass mit niedergeschlagenen Augen da; ihr Herz und ihr ganzes Gefühl sträubte sich gegen dieses unbezähmbare Verlangen ihres Gatten. Nur widerstrebend fügte sie sich in das Unvermeidliche, aber sie fühlte sich erniedrigt und herabgewürdigt durch ein Begehren, welches ihr tierisch und unendlich unrein vorkam.
Ihre Gefühle waren noch nicht erwacht und doch tat ihr Mann, als ob sie schon ganz sein Feuer teile.
Als der Kellner kam, verlangte Julius auf ihr Zimmer geführt zu werden. Der Mann, ein echter Corse, haarig bis an die Augen, schien anfangs nicht recht zu begreifen; er versicherte, dass das Zimmer für die Nacht bereit stehen werde.
»Nein, ich wünsche es sofort!« sagte Julius ungeduldig. »Wir sind müde von der Reise und wollen uns ausruhen!«
Ein Lächeln huschte über die bärtigen Lippen des Kellners. Johanna wäre am liebsten davongelaufen.
Als sie eine Stunde später wieder herunterkamen, wagten sie nicht, die Leute anzusehen, die an ihnen vorübergingen; sie glaubte ein Lächeln und Tuscheln hinter ihrem Rücken zu bemerken. Es war ihr unbegreiflich, wie Julius dafür kein Gefühl hatte; sie ärgerte sich, dass er nicht mehr Rücksicht und zartere Scham besass. Wie ein Schleier, wie eine Scheidewand, legte es sich zwischen ihr und ihm, als sie jetzt zum ersten Mal die Überzeugung fasste, dass zwei Personen sich niemals wirklich bis auf den Grund der Seele dringen, um dort die verborgensten Gedanken zu lesen; dass sie nebeneinander, eng an einander geschmiegt sogar, gehen können, aber niemals ganz miteinander vermengt sind und dass die Seele eines jeden doch sozusagen ihre eigenen Wege wandelt.
Drei Tage verbrachten sie in der kleinen Stadt am blauen Golfe, die hinter dem Bergvorhang von jedem kühlen Luftzug abgesperrt, vor Hitze beinahe kochte.
Dann entwarfen sie einen Reiseplan und beschlossen, um auch die schwierigsten Touren machen zu können, sich Pferde zu mieten. So nahmen sie also zwei kleine korsische Hengste mit feurigen Augen, zäh und unermüdlich, und begaben sich eines Morgens bei Tagesanbruch auf den Weg. Ein Führer auf einem Maulesel, der zugleich mit Proviant beladen war, bildete ihre Begleitung; denn auf Gasthäuser durften sie in dem unwirtlichen Lande nicht rechnen.
Die Strasse führte zuerst dem Golf entlang und dann durch ein mässig tiefes Tal gegen die großen Berge zu. Zuweilen musste man halbausgetrocknete Ströme überschreiten; nur dünn rieselte unter den Kieseln ihres Bettes das Wasser dahin, und ließ ein schwaches Plätschern vernehmen.
Das unbebaute Land schien fast nackt zu sein. Die Berghänge waren mit hohen, bei der heissen Jahreszeit fast braunen Kräutern, bewachsen. Hin und wieder begegnete man einem Bergbewohner entweder zu Fuss oder zu Pferd, oder rittlings auf einem rundbauchigen Esel sitzend.
Читать дальше