Schon im Begriff, herauszugehen, blieb er nochmals stehen:
»Wenn wir allein sind,« sagte er, »können wir uns schon duzen, weißt Du; aber in Gegenwart der Eltern wollen wir lieber noch etwas damit warten. Es macht sich von selbst, wenn wir von der Hochzeitsreise zurückkehren.«
Sie zeigte sich erst zur Stunde des Frühstücks.
Der Tag verlief im Übrigen, als hätte sich inzwischen nichts neues zugetragen. Nur eine Person mehr war im Hause; das war alles.
*
Vier Tage später fuhr die Postkutsche vor, in der sie die Reise nach Marseille antreten wollten.
Nach dem Schrecken der ersten Nacht hatte Johanna sich schon mehr und mehr an das Zusammenleben mit Julius, an seine Küsse und zärtlichen Liebesbezeugungen gewöhnt, wenn auch ihr Widerstreben gegen intimere Beziehungen sich immer noch nicht verloren hatte.
Sie fand ihn sehr schön und gut; sie liebte ihn von Herzen. Im Ganzen fühlte sie sich glücklich und zufrieden.
Der Abschied war kurz und verlief ziemlich schmerzlos. Nur die Baronin schien bewegt. Im Augenblick der Abfahrt drückte sie eine große wohlgefüllte Börse ihrer Tochter in die Hände.
»Für Deine kleinen Nebenausgaben« sagte sie.
Johanna steckte die Börse ein und die Pferde zogen an.
»Wie viel hat Dir Deine Mutter in der Börse zugesteckt?« fragte Julius sie gegen Abend.
Sie hatte schon gar nicht mehr daran gedacht und schüttete jetzt den Inhalt in ihren Schoss aus. Es war ein ganzer Haufen Gold: Zweitausend Francs.
»Ich werde da noch die schönsten Torheiten begehen« sagte sie die Hände zusammenschlagend. Dann steckte sie das Geld wieder ein.
Nachdem sie acht Tage bei einer wahren Gluthitze auf der Landstrasse gefahren waren, kamen sie glücklich in Marseille an.
Am anderen Morgen trug sie der »König Ludwig«, ein kleines Packetboot, welches über Ajaccio nach Neapel fuhr, an die Gestade Korsikas.
Korsika! mit seinen Makis! seinen Räubern! seinen Bergen! Das Vaterland Napoleons! Es kam Johanna vor, als verliesse sie die Welt der Wirklichkeit, um wachenden Sinnes das Land der Träume zu betreten.
Auf dem Verdeck nebeneinander sitzend sahen sie die Küste der Provence an ihren Augen vorüberziehen. Ruhig, unbeweglich, in prächtig azurner Färbung lag das Meer, wie zu einer festen Masse erstarrt, unter den heissen Sonnenstrahlen, die von dem tiefblauen Himmel herniedersanken.
»Erinnerst Du Dich noch unserer Fahrt damals im Boote des Papa Lastique?« fragte sie ihn.
Statt aller Antwort drückte er einen Kuss auf ihre Wange.
Die Schaufeln der Räder weckten das Wasser aus seinem stillen Traume. Ein langer schäumender Streifen erstreckte sich vom Hinterteil des Schiffes aus soweit das Auge reichte, und das geteilte Wasser brauste zu beiden Seiten auf wie Champagner.
Plötzlich schnellte vorn, nur einige Fadenlängen vor dem Schiff, ein riesiger Fisch aus dem Wasser, tauchte dann den Kopf unter und verschwand wieder gänzlich. Johanna war so erschreckt, dass sie mit einem Angstruf ihr Gesicht an Julius’ Brust verbarg. Dann musste sie selbst über ihre Furcht lachen und wartete gespannt, ob das Tier nicht wieder zum Vorschein kam. Nach einigen Minuten tauchte es wieder auf wie ein großes künstliches Spielzeug. Jetzt verschwand es wieder, kam abermals herauf; dann waren es ihrer zwei, dann drei, endlich sechs, welche um das Schiff herumzuhüpfen schienen, als wollten sie dem grösseren Gefährten, dem hölzernen Fisch mit den eisernen Flossen, das Geleit geben. Bald waren sie rechts, bald links, bald einzeln, bald zusammen, dann einer hinter dem anderen wie in lustiger Verfolgung beim tändelnden Spiel. Zuweilen schnellten sie sich mit einem großen Sprung in die Luft, um dann eins nach dem anderen wieder in einem großen Bogen ins Wasser zurückzufallen.
Johanna klatschte vor Vergnügen in die Hände, trotzdem sie jedes Mal beim Erscheinen der großen Fische aufs neue schauderte.
Plötzlich verschwanden sie. Man sah sie noch einmal ziemlich weit in der offenen See; dann kehrten sie nicht wieder. Johanna wurde eine Zeit lang ganz traurig über ihr Verschwinden.
Der Abend kam heran, ein ruhiger, milder, strahlender Abend voll Glanz und süssem Frieden. Luft und Wasser waren in stiller Ruhe, und diese unbegrenzte Ruhe des Meeres und des Himmels teilte sich auch dem Herzen mit.
Langsam versank die Sonne da drüben in der Gegend von Afrika, dem unsichtbaren heissen Afrika, dessen Glut man schon zu spüren glaubte, wenn nicht ein schmeichelnder kühler Luftzug, der jedoch keineswegs einem Windhauche glich, die Gesichter der Reisenden umspielt hätte, nachdem die Sonne untergegangen war.
Sie hatten keine Lust, in ihre Kabine herunterzugehen, die mit allen Düften eines Packetbootes angefüllt war. So wickelten sie sich denn beide dicht in ihre Mäntel ein und legten sich nebeneinander aufs Verdeck. Julius schlief sofort ein, während Johanna noch eine Weile unter den ungewohnten Reise-Eindrücken wach blieb.
Das gleichförmige Geräusch der Schaufelräder hielt sie wach, und sie betrachtete mit Interesse die Legion von Sternen, so hell, so klar und funkelnd, wie man sie eben nur am südlichen Himmel erblickt.
Gegen Morgen schlief sie indessen ein, bis ein Geräusch von Stimmen sie weckte. Die Matrosen reinigten unter einförmigem Gesange das Schiff. Sie rüttelte ihren immer noch regungslos schlafenden Mann und beide erhoben sich.
Mit Entzücken sog sie den salzigen Duft ein, der ihr bis in die Fingerspitzen drang. Rings umher sah sie nichts als Meer. Indessen da vorn zeigte sich etwas graues, noch unbestimmt in der Morgendämmerung; es sah aus wie einzelne aufgetürmte zackige zerrissene Wolken, die auf den Wogen zu lagern schienen.
Dann konnte man genauer unterscheiden; die Formen traten mehr hervor, je mehr der Himmel sich aufklärte. Eine lange Reihe sonderbar gezackter Berge erhob sich aus dem Meere. Es war Corsika, noch verhüllt in einer Art leichtem Nebelschleier.
Dahinter stieg langsam die Sonne auf. Anfangs lagen die Kämme der Berge noch in tiefem Schatten, dann schien es, als ob auf allen Gipfeln strahlende Lichter entzündet würden, während der untere Teil der Insel noch in dichtem Nebel lag.
Der Kapitän, ein altes gelbliches, von den scharfen salzhaltigen Winden vertrocknetes, verschrumpftes und ausgedörrtes, aber zähes Männchen wurde auf der Steuerbrücke sichtbar.
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