Ein kleines unglaublich dummes Dienstmädchen aus der Normandie besorgte den Haushalt und schlief des Nachts im zweiten Stock bei der Alten, für den Fall, dass dieser etwas zustossen sollte.
Als Caravan nach Hause kam, fand er seine Frau damit beschäftigt, mittels eines Flanelllappens die vereinzelt im Zimmer stehenden Mahagonistühle wieder aufzupolieren; sie litt nämlich an chronischer Putzsucht. Ihre Hände waren stets von Zwirnhandschuhen bedeckt, ihr Haupt war mit einer Mütze geschmückt, von welcher bunte Bänder herabflatterten und die stets schief auf einem Ohre sass. Jedes Mal wenn sie bohnend, bürstend, firnissend oder seifend angetroffen wurde, pflegte sie zu sagen: »Ich bin nicht reich, bei mir ist alles einfach; aber die Reinlichkeit ist mein Luxus und darin bin ich mancher andren über.«
Mit praktischem Verstande begabt, beherrschte sie ihren Mann in allem. Jeden Abend bei Tisch und später noch im Bett sprachen sie lange noch von Büro-Angelegenheiten, und obschon sie zwanzig Jahr jünger war wie er, so vertraute er sich ihr wie einem Beichtvater an und folgte in allem ihren Ratschlägen.
Sie war niemals hübsch gewesen; jetzt war sie sogar hässlich, von kleiner schmächtiger Figur. Ihre unscheinbare Kleidung ließ bei ihr jene äusseren weiblichen Formen völlig verschwinden, welche ein gut sitzender Anzug künstlich hervorheben kann. Ihre Kleiderröcke waren stets an irgend einer Stelle in die Höhe geschlagen und sie pflegte sich häufig, ganz gleichgültig wo, zu kratzen, ohne jede Rücksicht auf etwaige Anwesende und mit einer Intensivität, die geradezu etwas krankhaftes hatte. Der einzige Schmuck, den sie sich leistete, war jener Aufputz von seidenen Bändern verschiedenartigster Farben auf den stolzen Häubchen, die sie zu Hause zu tragen pflegte.
Sobald sie ihren Mann bemerkte, erhob sie sich, küsste ihn auf beide Wangen und fragte ihn dann: »Hast Du an Potin gedacht, lieber Freund?« (Es handelte sich um eine Bestellung, die er auszurichten versprochen hatte.) Er ließ sich erschreckt auf einen Stuhl fallen, denn er hatte es jetzt gerade zum vierten Male vergessen. -- »Es ist ein Elend« sagte er, »ein wahres Elend! Ich kann den ganzen Tag mich dran erinnern, und abends vergesse ich es doch jedes Mal.« Aber als sie sah, dass es ihn alterierte, suchte sie ihn schnell zu trösten: »Lass doch nur! Morgen besorgst Du’s mir schon. Nichts Neues im Ministerium?«
»Allerdings, eine große Neuigkeit sogar; noch ein Klempner ist Sous-Chef geworden.«
Sie wurde sehr erregt.
»In welcher Abteilung?«
»In der Abteilung für auswärtige Erwerbungen.«
»An Stelle Ramon’s also«, sagte sie ärgerlich, »gerade die ich mir für Dich ausgedacht hatte. Und Ramon? Pensioniert?«
»Pensioniert«, stammelte er.
»Damit ist’s nun aus, mit dieser schönen Gelegenheit;« sagte sie heftig, während ihr Häubchen auf die Schulter rutschte. »Es lässt sich im Augenblick nichts machen. Und wie heisst er denn, Dein Kommissair?«
»Bonassot«.
Sie nahm die Marine-Rangliste, die sie stets zur Hand hatte, und schlug nach:
»Bonassot. -- Toulon. -- Geb. 1851. -- Kommissariats-Eleve 1871, Unter-Kommissar 1875. -- Hat er zur See gedient, der da?«
Bei dieser Frage heiterte sich Caravan’s Antlitz wieder auf. Er lachte, dass ihm der Bauch wackelte.
»Wie Balin, genau wie sein Chef Balin.«
Und mit noch stärkerem Lachen fügte er einen alten Witz hinzu, der im ganzen Ministerium kursierte:
»Man dürfte sie ja nicht einmal ausschicken, um die Marinestation Point-Du-Jour zu inspizieren; sie würden unterwegs an der Seekrankheit sterben.«
Aber sie blieb ernst, als hätte sie nichts gehört; dann murmelte sie, sich langsam am Kinn kratzend:
»Wenn man nur einen Deputierten an der Hand hätte! Wüsste die Kammer alles, was da drinnen vorgeht, so müsste das Ministerium auf der Stelle springen …«
Lautes Schreien auf der Treppe schnitt ihr die weiteren Worte ab. Marie-Louise und Philipp-August, welche von der Gasse heraufkamen, bearbeiteten sich gegenseitig auf jeder Treppenstufe mit Püffen und Fusstritten. Ihre Mutter rannte zornig heraus, nahm Jedes am Arme und stiess sie beide ins Zimmer, wobei sie sie kräftig schüttelte.
Sobald sie ihren Vater sahen, stürzten sie auf ihn los und er küsste sie lange zärtlich; dann nahm er beide auf seine Knie und plauderte mit ihnen.
Philipp-August war ein garstiger blasser Bursche, schmutzig von oben bis unten und hatte ein Gesicht wie ein Kretin. Marie-Louise glich jetzt schon sehr ihrer Mutter; sie sprach wie diese, indem sie deren Worte wiederholte und sogar ihre Gebärden nachahmte: »Was gibt’s Neues im Ministerium?«
»Dein Freund Ramon«, sagte er scherzend, »der jeden Monat bei uns isst, wird uns verlassen, Töchterchen! Ein anderer Souschef tritt an seine Stelle.«
Sie hob die Augen zu ihrem Vater empor und sagte mit einem für ihr Alter frühreifen Mitleid:
»Noch einer also, der Dir über den Kopf geklettert ist!«
Er hörte auf zu lachen und antwortete nicht; dann brachte er das Gespräch auf ein andres Thema, indem er sich zu seiner Frau wandte, die jetzt Fensterscheiben putzte:
»Der Mutter geht’s gut oben?« fragte er.
Madame Caravan hörte auf zu reiben, wandte sich um und brachte mit einem Ruck das Häubchen, welches ihr jetzt vollständig auf dem Rücken hing, wieder in Ordnung.
»Ach ja,« sagte sie mit zuckenden Lippen, »lass uns von Deiner Mutter sprechen. Sie hat mir einen netten Ärger bereitet. Denke Dir, als heute Madame Lebaudin, die Frau des Friseurs, während ich ausgegangen war, heraufkommt, um von mir ein Packet Stärke zu leihen, hat Deine Mutter sie fortgejagt und sie eine ›Bettlerin‹ geschimpft. Aber ich habe ihr meine Meinung gesagt, der Alten. Sie tat natürlich wieder, als höre sie nichts, wie immer, wenn man ihr mal die Wahrheit sagt, aber sie ist nicht tauber, weißt Du, wie ich; es ist Verstellung und weiter nichts. Der Beweis dafür ist der, dass sie sofort nach oben in ihr Zimmer gegangen ist, ohne weiter ein Wort zu reden.«
Caravan, dem diese Wendung des Gespräches peinlich war, schwieg klüglich still, zumal jetzt das Dienstmädchen meldete, es sei angerichtet. Dann nahm er, um seine Mutter hiervon zu benachrichtigen, einen Kehrbesen aus der Ecke, wo er immer ruhte, und klopfte damit dreimal an die Zimmerdecke. Hierauf ging man ins Speisezimmer und Madame Caravan jr. teilte die Suppe aus, während man auf die Mutter wartete. Diese kam jedoch nicht und die Suppe fing schon an kalt zu werden. Man begann langsam zu essen; aber als die Teller leer waren, wartete man immer noch vergebens.
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