Sie setzte sich auf einen Grashügel, zog die dicken, staubigen Schuhe aus, legte die Strümpfe ab und senkte die blauangelaufenen Unterschenkel in die unbewegliche Flut, aus der einzelne Luftblasen aufstiegen.
Eine erquickende Frische drang langsam von den Fussspitzen bis zu ihrem Kopfe herauf, und während sie noch mit irrem Blick in das tiefe Wasser starrte, überkam sie plötzlich ein unbezähmbares Verlangen, ganz in demselben unterzutauchen. Da drinnen würden ihre Leiden für immer ein Ende haben. Sie dachte nicht mehr an ihr Kind; sie wollte Frieden finden, völlige Ruhe, ewigen Schlaf. Sie richtete sich auf und ging mit hochgehobenen Händen zwei Schritte weiter. Schon stand sie bis am Gürtel im Wasser und war im Begriff, sich vorzustürzen, als brennende Schmerzen an den Füssen sie unwillkürlich zurückspringen liessen. Sie stiess einen lauten Schrei aus, denn von ihren Knien bis zu den Fussspitzen tranken lange schwarze Blutegel ihr Leben und blähten sich, an ihr festgesaugt, mächtig auf. Sie wagte nicht, nochmals hereinzugehen, und heulte vor Schreck. Ihre Verzweiflungsschreie riefen einen Landmann herbei, der in der Nähe vorüberfuhr; dieser nahm die Blutegel, einen nach dem anderen, ab, legte Kräuter auf die Bisswunden und brachte das unglückliche Wesen auf seinem Wagen nach dem Hofe ihres Herrn zurück.
Vierzehn Tage musste sie das Bett hüten, dann stand sie wieder auf und setzte sich vor die Haustür, um die schöne Luft einzuatmen. Es dauerte nicht lange, so stand der Pächter auch schon vor ihr.
»Die Sache ist also abgemacht?« sagte er.
Anfangs wusste sie nichts zu sagen; als er aber so vor ihr stand und sie mit erregtem Blick ansah, hauchte sie mühsam hervor:
»Nein, Herr! ich kann nicht.«
Das machte ihn wütend und er rief heftig:
»Du kannst nicht, Du, die Magd; warum denn nicht?«
Sie fing wieder an zu weinen und sagte nochmals:
»Ich kann nicht.«
Er musterte sie scharf und schrie ihr dann ins Gesicht:
»Du hast also einen Liebhaber?«
»Sehr gut möglich, vielleicht«, sagte sie zitternd vor Scham.
Rot wie ein Puter stotterte er fast vor Zorn:
»Ah! Du gibst es auch noch zu, Dirne! Wer ist es denn, Dein schöner Galan? Ein Kerl ohne Strümpfe und Schuhe, ein Bettler, ein Vagabund, ein Hungerleider? Wer ist es denn, sag’s doch, wer es ist!«
Und als sie schwieg, fuhr er fort:
»Aha! Du willst nicht … dann will ich’s Dir sagen: Es ist Jean Baudu?«
»Oh nein, der nicht«, schrie sie auf.
»Dann ist es Peter Martin?«
»Oh nein, Herr!«
Und so nannte er, ganz ausser sich, der Reihe nach alle Burschen der Umgegend, während sie, ganz aufgelöst und sich alle Augenblicke mit dem Schürzenzipfel die Augen wischend, jedes Mal verneinte. Aber er ließ nicht nach, sein starrer Sinn wollte das Geheimnis ergründen, und wenn er ihr das Herz zerreissen müsste. Er war wie ein Jagdhund, der den ganzen Tag eine Fährte verfolgt, um endlich das Tier zu erhaschen, dessen Spur er wittert. Plötzlich schrie er auf:
»Ah! Mädchen! Es ist Jacques, der Knecht im vorigen Jahr! Man wusste ja, dass Ihr Euch traft und dass er Dir die Ehe versprach.«
Rose erstickte fast; eine Blutwelle ergoss sich über ihr Gesicht und ihre Tränen versiegten plötzlich. Sie trockneten auf ihren Wangen, als wären sie über einen heissen Stein gelaufen.
»Nein!« rief sie laut, »der nicht; der ganz gewiss nicht.«
»Ist das ganz sicher?« fragte der Pächter misstrauisch, der eine Spur von der Wahrheit witterte.
»Ich schwöre es Euch, Herr!« antwortete sie hastig, »ich schwöre es Euch …«
Sie suchte nach etwas, worauf sie schwören könnte; denn sie wagte nicht, das Heiligste mit dieser Sache zu vermischen.
»Er folgte Dir aber doch in alle Ecken«, unterbrach er sie, »und verzehrte Dich bei Tisch mit seinen Blicken. Hast Du ihm Deinerseits Treue gelobt, sprich!«
Dieses Mal schaute sie ihrem Herrn offen ins Gesicht.
»Nein, niemals! niemals! Ich schwöre es bei Gott, wenn er heute um mich anhielte, ich würde ihn nicht nehmen.«
Ihre Miene war so aufrichtig, dass der Pächter inne hielt. Er fuhr wie im Selbstgespräch fort:
»Aber was denn dann? Ein Unglück ist Dir nicht widerfahren, das hätte man ja gehört. Und welches Mädchen würde die Hand seines Herrn zurückweisen, wenn keine Folgen von früher da sind? Aber es muss doch etwas vorliegen?«
Von Angst gefoltert konnte sie nicht mehr antworten.
»Du willst nicht?« fragte er nochmals.
»Ich kann nicht, Herr!« seufzte sie.
Und er drehte ihr den Rücken und ging.
Sie glaubte endlich Ruhe zu haben und verbrachte den Rest des Tages fast in heiterer Stimmung, aber geistig doch so stumpf und gleichgültig, als hätte sie an Stelle des alten Schimmels in der Dreschmaschine gehen müssen.
Sobald als möglich legte sie sich nieder und schlief sogleich ein.
Gegen Mitternacht wurde sie durch ein Zupfen an ihrer Bettdecke wach. Sie zitterte vor Schrecken, hörte aber zugleich die Stimme des Pächters, der ihr sagte:
»Nur ruhig, Rose, ich bin’s, um mit Dir ein Wort zu reden.«
Sie war anfangs erstaunt; als er sich aber dann immer noch an ihrer Decke zu schaffen machte, begriff sie, was er wollte und fing noch heftiger an zu zittern. Was sollte sie machen, so allein in der Dunkelheit, noch halb schlaftrunken, im Bett und unbekleidet, mit diesem Manne, der nach ihr verlangte? Sie willigte nicht ein, wahrhaftig nicht, aber sie widerstand auch nicht energisch. Sie bekämpfte zwar die Begierde, die bei diesen einfachen Naturen immer viel lebhafter ist, aber sie war doch nur ein Weib und ihre Willensstärke war nicht groß genug. Anfangs wich sie den heissen Küssen des Pächters aus, indem sie den Kopf bald rechts, bald links wandte, und sie suchte ihn sich auf alle Weise auch sonst fern zu halten; aber schliesslich siegte die rohe Kraft und die wilde Begehrlichkeit des Mannes, und sie gab ihren Widerstand auf, während sie vor Scham das Gesicht mit den Händen bedeckte.
Der Pächter blieb die Nacht über bei ihr. Er kam den folgenden Abend und dann schliesslich jede Nacht.
So lebten sie nun zusammen.
Eines Morgens sagte er zu ihr:
»Ich werde unser Aufgebot verkündigen lassen. Nächsten Monat soll unsere Hochzeit sein.«
Sie antwortete nicht. Was hätte sie auch noch sagen sollen? Sie wagte keinen Widerspruch; es war ja doch umsonst.
Sie war nun verheiratet. Es war ihr zu Mute, als befände sie sich in einer tiefen Grube, aus der keine Flucht möglich war, und als schwebten über ihrem Kopf alle Arten von Unglück wie riesige Felsen, jeden Augenblick bereit, auf sie nieder zu stürzen. Ihr Gatte kam ihr vor wie jemand, den sie bestohlen hatte und der dies eines Tages merken würde. Und dann dachte sie an ihr Kind, von dem all’ ihr Unglück kam, das aber auch zugleich ihr einziges Glück auf Erden ausmachte.
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