Als das Blut zu tropfen aufgehört hatte, schlug er ihr vor, einen kleinen Gang zu machen, denn er fürchtete die starke Hand seiner Nachbarin, wenn sie so nahe beisammen geblieben wären. Aber sie nahm von selbst seinen Arm, wie es die Verlobten bei ihren abendlichen Spaziergängen machen und sagte:
»Das ist nicht brav von Dir, Jacques, dass Du so wenig Achtung vor mir hast.«
Er widersprach. Nein, an Achtung fehle es ihm nicht; aber er sei eben furchtbar verliebt.
»Du willst mich also wirklich heiraten?« fragte sie ihn.
Er zögerte anfangs, dann sah er sie von der Seite an, während ihre Augen wieder traumverloren in die Ferne schweiften. Sie hatte rote volle Wangen, ihr kattunenes Leibchen umschloss eine volle, üppige Brust, ihre Lippen waren frisch und an ihrem halboffenen Halse glänzten kleine Schweißperlchen. Er fühlte sich von neuer Leidenschaft bewältigt, und indem er seinen Mund ihrem Ohre näherte, flüsterte er:
»Ja, ich werde Dich heiraten.«
Da umschlang sie seinen Hals mit beiden Armen und küsste ihn so lange, bis sie beide fast den Atem verloren.
Von dieser Zeit an begann für sie die alte und doch ewig neue Liebesgeschichte. Sie hockten in allen Winkeln zusammen, sie trafen sich beim Mondenschein im Schutze eines Heuschobers und traten sich beim Essen mit ihren schweren beschlagenen Schuhen unter dem Tische fast die Knie blau.
Dann schien Jacques allmählich die Geschichte langweilig zu finden; er ging Rose aus dem Wege, sprach nicht mehr mit ihr und vermied es, allein mit ihr zusammen zu sein. In ihr stiegen langsam Zweifel an seiner Treue auf und es bemächtigte sich ihrer eine tiefe Traurigkeit. Nach einiger Zeit fühlte sie, dass ihr Umgang mit Jacques nicht ohne Folgen geblieben war.
Anfangs wusste sie in ihrer Bestürzung keinen Rat, dann aber geriet sie in heftigen Zorn, der sich von Tag zu Tag steigerte, weil er sorgfältig jedes Zusammentreffen mit ihr vermied.
Schliesslich eines Nachts, als alles im Hofe schlief, schlüpfte sie leise nur im Rock aus ihrer Kammer, huschte mit blossen Füssen über den Hof und stiess die Tür des Stalles auf, wo Jacques auf einem ganz mit Stroh gefüllten Hängeboden über seinen Pferden schlief. Als er sie kommen hörte, stellte er sich laut schnarchend, aber sie schwang sich hinauf, und neben ihm niederkniend weckte sie ihn mit derben Püffen.
»Was willst Du?« fragte er sich aufrichtend.
»Ich will«, sagte sie laut, vor Wut zitternd und mit den Zähnen knirschend, »ich will, dass Du mich heiratest, denn Du hast mir die Ehe versprochen.«
»Sehr gut«, sagte er lachend, »man hätte viel zu tun, wenn man jedes Mädchen heiraten wollte, mit dem man sich eingelassen hat.«
Aber mit einem Griff hatte Rose ihn an der Gurgel gepackt, warf ihn hintenüber, ehe er sich von seiner Bestürzung erholen konnte und würgte ihn, während sie über ihn gebeugt ihm ins Gesicht schrie:
»Ich bin schwanger, hörst Du? ich bin schwanger!«
Er holte stöhnend Atem und so blieben sie alle beide eine Zeit lang fast regungslos und stumm in dieser nächtlichen Stille, die nur durch das Schnauben eines Pferdes unterbrochen wurde, welches sich einen Strohhalm aufsuchte und denselben langsam zerkaute. Da Jacques einsah, dass sie die Stärkere war, so stammelte er endlich:
»Nun gut, da es so steht, muss ich Dich heiraten.«
Aber sie traute seinen Versprechungen nicht:
»Aber sofort!« sagte sie; »Du wirst das Aufgebot gleich verkündigen lassen.«
»Sofort!« antwortete er.
»Schwöre es beim ewigen Gott!«
Nach kurzem Zögern sagte er:
»Ich schwöre es beim ewigen Gott!«
Da ließ sie seine Kehle los und ging, ohne noch ein Wort zu sagen, hinaus.
Einige Tage verstrichen, ohne dass sie ihn sprechen konnte und die Stalltüre war seit jener Nacht jedes Mal sorgfältig verschlossen; aus Furcht vor einem Skandal wagte sie kein Geräusch zu machen.
Dann sah sie eines Morgens zur Frühsuppe einen anderen Knecht eintreten.
»Ist Jacques fort?« fragte sie.
»Allerdings; ich bin an seine Stelle gekommen.«
Sie begann so heftig zu zittern, dass sie den Wasserkessel nicht loshaken konnte; dann ging sie, als alles bei der Arbeit war, in ihre Kammer hinauf und weinte, das Gesicht in ihre Kissen vergrabend, damit sie niemand hörte. Im Laufe des Tages suchte sie sich zu erkundigen; aber sie hatte so das Bewusstsein ihres Unglücks, dass sie ein malitiöses Lächeln auf den Gesichtern aller Leute zu sehen glaubte, die sie fragte. Im Übrigen brachte sie nur in Erfahrung, dass er die Gegend für immer verlassen habe.
Nun begann für sie ein Leben der fortgesetzten Qual. Sie arbeitete maschinenmässig, ohne sich etwas bei ihrer Arbeit zu denken. Die einzige Idee, die sie beständig beherrschte, war: »Wenn man es erfahren würde.«
Diese fortwährende Besorgnis machte sie so unfähig, ruhig nachzudenken, dass sie nicht einmal auf ein Mittel sann, um den Skandal zu vermeiden, den sie von Tag zu Tag unwiderruflich und sicher, wie den Tod, herankommen sah.
Jeden Tag, wenn die Andren noch schliefen, stand sie auf und suchte mit ängstlicher Beharrlichkeit den Umfang ihrer Taille in einem kleinen Glasscherben zu studieren, welcher ihr als Spiegel diente; immer fürchtend, dass es der heutige Tag sei, an dem man ihre Schande bemerken würde.
Und tagsüber unterbrach sie alle Augenblicke ihre Arbeit und schaute nach unten, ob ihre zunehmende Stärke nicht schon an der Lage der Schürze kenntlich würde.
Monate vergingen. Sie sprach fast nicht mehr, und wenn man sie nach etwas fragte, so begriff sie kaum, schreckte zusammen, riss die Augen auf und zitterte an den Händen, sodass ihr eines Tages der Herr sagte:
»Armes Mädchen! Wie einfältig bist Du doch seit einiger Zeit!«
In der Kirche verbarg sie sich hinter einem Pfeiler und wagte nicht mehr zur Beichte zu gehen, aus Furcht vor dem Pfarrer, dem sie die übermenschliche Gabe zutraute, im Herzen seiner Pfarrkinder lesen zu können.
Bei Tisch verging sie fast vor Angst, wenn ihre Gefährtinnen sie anschauten, und glaubte sich fortwährend von dem Kuhjungen entdeckt, einem vorlauten, listigen Burschen, dessen lauerndes Auge stets auf ihr ruhte.
Eines Morgens brachte ihr der Postbote einen Brief. Noch niemals hatte sie einen bekommen, und sie war so erschrocken, dass sie sich hinsetzen musste. War er vielleicht von ihm? Aber weil sie nicht lesen konnte, so hielt sie angstvoll zitternd das tintenbefleckte Papier in der Hand. Sie steckte es in die Tasche; da sie Niemandem ihr Geheimnis anzuvertrauen wagte, hielt sie öfters in der Arbeit inne, um längere Zeit diese gleichmässigen Linien zu betrachten, unter welchen sich ein amtlicher Stempel befand; sie hatte eine stille Hoffnung, dass es ihr plötzlich gelingen würde, den Sinn zu erraten. Endlich, da sie vor Unruhe und Ungeduld beinahe verging, suchte sie den Schulmeister auf und dieser las ihr, nachdem er ihr einen Stuhl angeboten hatte, Folgendes vor:
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