Die Hochzeit fand statt.
Sie werden begreifen, bis zu welchem Grade meine Neugierde angestachelt war.
Ich besuchte Bertha am anderen Morgen, um auf ihrem Gesichte zu lesen, ob sie in irgend einer Weise erschüttert zu sein schiene. Aber ich fand sie ganz so wie alle Tage, lediglich mit der Uhr und dem Essen beschäftigt. Er schien dagegen sehr verliebt und suchte die Heiterkeit und Zärtlichkeit seiner Frau durch allerlei Scherze und Tändeleien zu erwecken, so wie man es etwa mit kleinen Katzen macht.
Er hatte eben nichts besseres zu finden gewusst.
Von jetzt an machte ich bei den jungen Ehegatten häufig meine Visiten und überzeugte mich bald, dass die junge Frau ihren Mann sehr gut als solchen erkannte und ihm dieselben begehrlichen Blicke zuwarf wie vorher den süssen Schüsseln.
Sie folgte allen seinen Bewegungen, unterschied seinen Schritt auf der Treppe oder in den benachbarten Zimmern, klatschte in die Hände, wenn er eintrat, und ihr ganzes Gesicht übergoss ein Schimmer von Glück und Begehrlichkeit.
Sie liebte ihn von ganzem Herzen und mit ihrer ganzen armen kindlichen Seele, mit diesem armen Gemüte, das die Erkenntlichkeit und Anhänglichkeit eines treuen Tieres empfand.
Es war in der Tat ein wunderbares und rührend harmloses Bild: Diese einfache Zuneigung, noch ganz so sinnlich und doch dabei schamhaft, wie die Natur sie allen Wesen eingepflanzt hatte, ehe der Mensch anfing, ihren Begriff durch alle möglichen Gefühlsduseleien zu verwirren und ausarten zu lassen.
Er aber wurde dieses schönen Geschöpfes, das so hingebend, aber leider stumm war, sehr bald müde. Er blieb nur einige Stunden des Tages bei ihr und fand es völlig genügend, wenn er ihr seine Nächte widmete.
Sie begann hierunter zu leiden.
Sie wartete auf ihn von früh bis spät, die Augen auf die Uhr geheftet, und ohne noch ans Essen zu denken; er aber ass fast immer auswärts, in Clermont, in Chatel-Guyon, in Rojat, kurz irgendwo, und vermied es, nach Hause zu kommen.
Sie wurde immer magerer.
Jeder andere Gedanke, jedes Verlangen, jede Erwartung, jede auch noch so unbestimmte Hoffnung verschwand aus ihrem Herzen, und die Stunden, in denen sie ihn nicht sah, wurden für sie Stunden des bittersten Schmerzes. Bald fing er auch an, die Nächte auswärts zuzubringen. Er trieb sich mit Weibern im Kasino von Royat herum und kehrte erst bei Tagesgrauen heim.
Sie weigerte sich zu Bett zu gehen, ehe er wiederkam. Unbeweglich sass sie in ihrem Stuhle, stets die Augen auf die kleinen Zeiger der Uhr geheftet und deren langsamen Gang auf dem Zifferblatt von Stunde zu Stunde verfolgend.
Wenn sie dann von Weitem den Schritt seines Pferdes hörte, so sprang sie auf und wies bei seinem Eintritt mit der Miene einer Erscheinung auf den Zeiger, als wollte sie sagen: ›Sieh nur, wie spät es ist.‹ Und er fing an, einen Widerwillen gegen diese liebesbedürftige und eifersüchtige Idiotin zu empfinden; er geriet in eine tierische Wut, und eines Nachts schlug er sie.
Man ließ mich holen. Sie quälte sich unter wildem Heulen in einer furchtbaren Krisis des Schmerzes, des Zornes, der Leidenschaft und aller möglichen Gefühle. Wer konnte wissen, was in diesem verkümmerten Gehirn alles vor sich ging?
Ich beruhigte sie mit Morphium-Pillen und verbot dann ein für alle Mal ein Wiedersehen mit diesem Menschen; denn ich sah ein, dass die Ehe ihr unfehlbar den Tod bringen müsse.
Dann wurde sie ganz närrisch! Ja, mein Lieber, diese Idiotin ist närrisch geworden. Sie denkt unausgesetzt an ihn und wartet auf ihn Tag und Nacht, schlafend und wachend, heute wie gestern und morgen wie alle Tage. Als ich sah, dass sie immer mehr abmagerte und ihr unruhiger Blick nicht mehr vom Zifferblatt der Uhr wich, ließ ich alles fortnehmen, was an Uhren im Hause hing. So raubte ich ihr die Möglichkeit, die Stunden zu zählen und in der dunklen Erinnerung an die Zeit, wo er sonst heimzukehren pflegte, sich abzugrämen. Ich hoffe, auf die Dauer in ihr die Erinnerung zu ertöten und jenes Licht des Geistes wieder auszulöschen, das ich einst mit so vieler Mühe erweckt hatte.
Und dann machte ich einige Zeit später einen Versuch: Ich zeigte ihr meine Taschenuhr. Sie nahm sie und sah sie lange an. Dann schrie sie plötzlich auf eine furchtbare Art, als wenn der Anblick dieses kleinen Gegenstandes mit einem Male das bereits einschlummernde Gedächtnis wieder aufgeweckt hätte.
Sie ist jetzt mager, so mager, dass man von Mitleid bewegt wird; ihre Augen sind hohl und funkelnd. Und sie geht ohne Unterlass hin und her, wie ein wildes Tier im Käfig.
Ich habe die Fenster vergittern, mit hohen Laden versehen und die Stühle am Boden befestigen lassen, um zu verhindern, dass sie auf die Strasse schaut, ob er wiederkomme.
Ach die armen Eltern! Was für ein Leben müssen sie führen!
Wir hatten inzwischen den Hügel erreicht und der Doktor wandte sich mit den Worten um:
»Sehen Sie, hier haben Sie Riom vor sich.«
Die Stadt hatte das finstere Aussehen aller alten Städte. Nach hinten zu breitete sich unabsehbar eine grüne, waldige, mit zahlreichen Dörfern und Städten übersäete Ebene aus; der blaue Dunst, in dem sie gebadet war, bildete einen wunderbaren Hintergrund.
Der Doktor begann mir die verschiedenen Orte der Reihe nach zu nennen und mir die Geschichte jedes einzelnen zu erzählen.
Aber ich hörte nicht recht zu; ich dachte nur an die Wahnsinnige, die mir immer vor Augen stand. Sie schien mir wie ein trauriger Geist über der ganzen weiten Gegend zu schweben.
Und plötzlich unterbrach ich den Erzähler mit der unvermittelten Frage:
»Und was ist aus ihm, dem Ehemann, geworden?«
»Er lebt in Royat von der Pension, die ihm ausgezahlt wird. Er ist glücklich und amüsiert sich«, antwortete etwas überrascht mein Freund nach einigem Zögern.
Als wir beide, traurig und schweigsam, langsamen Schrittes heimkehrten, fuhr plötzlich ein englisches Dog-Kart, von rückwärts kommend, in sausendem Tempo an uns vorüber.
»Das ist er!« sagte der Doktor, meinen Arm ergreifend.
Ich sah nur einen grauen Filzhut, schief auf einem Ohre sitzend, über zwei breiten Schultern, in einer Staubwolke verschwinden.
*
Die Geschichte einer Bauernmagd
Da das Wetter sehr schön war, so hatten die Bauersleute schneller als sonst gegessen und waren aufs Feld gegangen.
Rose, das Dienstmädchen, blieb ganz allein in der großen Küche zurück, auf deren Herd noch einige Kohlen in der Asche unter dem vollen Wasserkessel glimmten. Sie goss hin und wieder etwas von diesem Wasser in einen Zuber und wusch langsam ihre Schüsseln auf; während sie zuweilen einen Blick auf die zwei hellen Vierecke warf, welche die Sonne durch das Fenster auf dem länglichen Tische bildete, und in denen sich deutlich die schadhaften Stellen der Scheiben abhoben.
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