Die Sonne brannte heiss vom Himmel und alles atmete erleichtert auf, als man um ein Uhr die Behausung des Tischlers erreicht hatte.
Die Reisenden waren wie gerädert und blass von Hunger, denn seit der Abfahrt von Fecamp hatten sie noch Nichts wieder zu sich genommen.
Frau Rivet stürzte eilig herbei, half beim Aussteigen und küsste eine nach der anderen, sobald sie auf der Erde standen; sie hörte nicht auf, die Schwägerin abzuschmatzen die sie sich mit Gewalt zur Freundin machen wollte. Man ass in der Werkstatt, die man für das Festmahl des folgenden Tages bereits ausgeräumt hatte.
Eine schmackhafte Omelette, welche auf eine Bratwurst folgte und mit gutem prickelnden Cider gewürzt wurde, gab allen die frohe Stimmung wieder. Rivet schenkte fleissig ein und seine Frau wartete auf, besorgte die Küche, reichte die Schüsseln und trug sie wieder fort, nicht ohne jedem Einzelnen zuzuflüstern, ob auch alles nach Wunsch wäre.
An der Wand standen frischgehobelte Bretter und die Spähne waren noch in der Ecke aufgeschichtet; sie verbreiteten einen ausgesprochenen Geruch, jenen echten harzigen Duft einer Tischlerwerkstatt, der bis in die Lungen dringt.
Man fragte nach der Kleinen; aber sie war in der Kirche und konnte vor Abend nicht zurück sein.
Dann brach die ganze Gesellschaft auf, um einen Gang im Freien zu machen.
Durch das kleine Dörfchen führte eine Hauptstrasse, an der einige zwanzig Häuser lagen, welche die Geschäftsleute des Ortes, den Fleischer, den Krämer, den Tischler, den Kaffeewirt, den Schuster und den Bäcker in Nahrung setzten. Die Kirche am Ende der Strasse war von einem schmalen Kirchhof umgeben; vier Linden, vor dem Eingang hingepflanzt überschatteten sie ganz. Sie war aus behauenem Bruchstein ohne jeden Styl aufgeführt und trug auf dem Schieferdach einen Glockenstuhl. Hinter ihr begann sich das weite Feld auszudehnen, auf welchem der Blick nur hin und wieder einzelne Baumgruppen traf, unter denen Bauernhäuser versteckt lagen.
Rivet hatte ganz zeremoniell den Arm seiner Schwester genommen und führte sie mit königlichem Anstande herum, obgleich er in Werktagskleidern war. Seine Frau, der es die goldgestickte Toilette Raphaëlens angetan hatte, ging zwischen dieser und Fernande. Die rundliche Rosa trippelte hinterher mit Louise Cocote und Schaukel-Flora, welche vor Müdigkeit mehr als je hinkte.
Die Hausbewohner eilten an die Türen, die Kinder unterbrachen ihre Spiele, eine Gardine wurde in die Höhe gezogen und ließ einen Kopf unter einer kattunenen Mütze sehen; ein halbblindes altes Mütterchen an Krücken bekreuzte sich, wie vor einer Prozession und alles verfolgte mit den Blicken lange die schönen Stadtdamen, die zur ersten Kommunion der kleinen Rivet so weit hergekommen waren. Der Tischler wuchs jedenfalls ungeheuer in ihrer Achtung.
Als sie bei der Kirche vorbeikamen, hörten sie den Gesang der Kinder, es war ein einfaches Lied, das aus den jungen Kehlen zum Himmel schallte. Madame war indessen dagegen, dass man hereinging, damit die kleinen Cherubine nicht gestört würden.
Nach einem Rundgang über die Felder, bei welchem Joseph Rivet deren Haupteigenschaft, die Ertragsfähigkeit des Bodens, und die Resultate seiner Viehzucht gepriesen hatte, führte er seine »Damen« ins Haus zurück und zeigte ihnen ihr Quartier.
Da der Platz sehr beschränkt war, so hatte man sie zu zwei und zwei in einem Raume untergebracht.
Rivet sollte diesmal auf den Hobelspähnen in der Werkstatt schlafen, während seine Frau das Bett mit ihrer Schwägerin teilen würde, und im Zimmer daneben Fernande und Raphaële zusammen hausten. Für Louise und Flora hatte man auf dem Boden der Küche Matratzen gelegt und Rosa schlief für sich allein in einem kleinen dunklen Raume oberhalb der Treppe, dem gegenüber sich der Eingang zu einem engen Verschlage befand, in welchem diese Nacht die Kommunikantin schlief.
Als das junge Mädchen zurückkam, regnete es geradezu Küsse auf sie, denn alle Weibsbilder wollten ihr mit demselben Hang zur Zärtlichkeit, mit derselben gewohnheitsmässigen Schöntuerei ihre Liebe beweisen, mit der sie am Morgen in der Bahn die Enten geküsst hatten. Im Übermasse augenblicklicher heftiger Zärtlichkeit nahm sie jede auf den Schoss, strich mit den Händen über ihr feines blondes Haar, und schloss sie in ihre Arme. Das gute liebe Kind, noch ganz unter dem Eindrucke der eben abgelegten Beichte und in frommer andachtsvoller Stimmung, ertrug mit Geduld und Sanftmut diese überschwenglichen Liebkosungen.
Nach den Anstrengungen, die der Tag für alle gehabt hatte, ging man bald nach dem Essen schlafen. Das kleine Dorf lag bald in jenem tiefen, fast weihevollen Schweigen, welches auf dem Lande so ernst und feierlich unter dem Sternenhimmel das Herz zur Andacht stimmt. Die Mädchen, an die geräuschvollen Abende eines öffentlichen Hauses gewöhnt, waren durch diese stille Ruhe eines Abends auf dem Lande eigentümlich bewegt und schliefen unter seltsamen Schauern ein; es war nicht Kälte, die dies hervorrief, sondern das Gefühl der Einsamkeit, das ein unruhiges und verwirrtes Herz so leicht beschleicht.
Sobald sie so zu Zweien im Bett lagen, rückten sie eng aneinander, als wollten sie sich gegen das Eindringen der tiefen Ruhe wahren, welche die Erde befangen hielt. Aber Rosa, die in ihrem dunklen Raume ganz allein lag, was sie doch sonst so gar nicht gewohnt war, fühlte sich von seltsamen, ängstlichen Gefühlen bewegt. Sie wälzte sich schlaflos auf ihrem Lager herum als sie plötzlich hinter dem Holzverschlage ihr gegenüber ängstliches Wimmern, wie das Weinen eines Kindes hörte. Sie rief mit leiser Stimme, wer da sei. Ebenso leise antwortete ihr schluchzend die kleine Tochter Rivets, welche bisher gewohnt war im Zimmer ihrer Mutter zu schlafen und jetzt in ihrem engen Verschlage eine furchtbare Angst ausstand.
Rosa stand von Mitleid bewegt auf und ging leise, um niemand zu wecken zu dem Kinde herüber. Sie holte es in ihr warmes Bett, drückte es unter zärtlichen Umarmungen an sich und schläferte es mit ihren stürmischen Liebkosungen ein, worauf sie selbst ruhiger wurde und endlich den Schlaf fand. Bis zum Morgen ruhte das Gesicht der Kommunikantin an der blossen Schulter der Prostituierten.
Seit fünf Uhr, der Stunde des »Angelus«, läutete die kleine Glocke der Kirche mit aller Kraft und weckte schliesslich alle diese Damen auf, welche gewohnt waren bis in den hohen Tag hinein zu schlafen, um die Erholung von anstrengenden Nächten zu finden.
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