Die Stimme versagte ihm. »Ich wünsche Euch Allen Gottes reichsten Segen. Amen«, fügte er noch hinzu. Und er stieg wieder zum Altar empor, um die heilige Handlung zu vollenden.
Als der Priester zur Sakristei schritt, beeilte sich alles herauszukommen. Die Kinder sogar waren unruhig, nachdem die Spannung ihres Geistes etwas nachgelassen hatte; und ausserdem begannen sie auch hungrig zu werden. Einzelne Mütter hatten sich schon vor dem letzten Evangelium entfernt, um die Vorbereitungen zum Mittagessen zu treffen.
War das ein Gedränge an der Kirchentür! ein lärmendes Gedränge, ein Stimmengewoge in der singenden normannischen Mundart. Schliesslich bildeten sich zwei Haufen, um die Kinder durchzulassen, und als diese endlich erschienen, wurde ein jedes sofort von seiner Familie mit Beschlag belegt.
Constanze war natürlich gleich herausgeholt, umringt und von der ganzen weiblichen Schar umarmt und geküsst; besonders Rosa hörte nicht auf, sie stets von Neuem an ihre Brust zu drücken. Schliesslich nahm sie das Kind an der einen Hand, Madame Tellier ergriff Constanzens andere, Raphaële und Fernande fassten den Zipfel seiner langen Mousselin-Schleppe, damit sie nicht staubig würde, Louise und Flora folgten mit Madame Rivet; und so ging nun das Kind, noch ganz durchdrungen und ergriffen von dem hohen Geheimnisse, dessen es vor Kurzem gewürdigt war, inmitten dieser Ehrenbegleitung dem elterlichen Hause zu.
Das Festmahl fand in der Werkstatt an langen Brettern statt, die man über zwei Böcke gelegt hatte.
Durch die offene Tür, welche auf die Strasse führte, drang die fröhliche Stimmung des ganzen Dorfes herein. Durch jedes Fenster konnte man festlich gekleidete Menschen bei der Tafel sitzen sehen, und lautes Lachen und Scherzen war überall vernehmlich. Die Bauern in Hemdsärmeln tranken den Cider aus vollen Gläsern, und inmitten einer jeden Gesellschaft bemerkte man zwei Kinder, bald Knaben, bald Mädchen, die mit ihrer Familie als die Gefeierten des Tages das Festmahl einnahmen.
Hin und wieder fuhr ein Bauernwagen, von einer alten Mähre gezogen, in langsamen Trabe durch das Dorf, auf welches die Mittagssonne ihre brennenden Strahlen herabsandte, und der Mann im Kittel, der ihn lenkte, warf einen neidischen Blick auf alle diese Herrlichkeiten.
In der Behausung des Tischlers hielt sich die Festfreude in gemessenen Grenzen; eine Nachwehe der bewegten Stimmung in der Kirche. Nur Rivet war im besten Zuge und trank über Gebühr. Madame Tellier schaute alle Augenblicke auf die Uhr, denn man musste den 4 Uhr-Zug, der sie abends nach Fecamp brachte, erreichen, um das Haus nicht zwei Tage hintereinander leer stehen zu lassen.
Der Tischler gab sich alle Mühe, seinen Besuch umzustimmen und bis zum andren Morgen dazubehalten, aber Madame war unerbittlich. In Geschäftssachen pflegte sie nicht zu spaßen.
Sobald man den Kaffee genommen hatte, befahl sie ihren Pensionärinnen, sich schnell bereit zu machen; dann wandte sie sich an ihren Bruder und bat ihn, nur rasch anzuspannen, worauf sie selbst ihre letzten Vorbereitungen vollendete.
Als sie wieder herunter kam, wartete schon ihre Schwägerin auf sie, um mit ihr von der Tochter zu sprechen; indessen kam bei der ganzen Unterredung nichts Bestimmtes heraus. Die Bäuerin, welche das Vergebliche ihrer Bemühungen einsah, hörte schliesslich auf; Madame Tellier, auf deren Schoss das Kind sass, verpflichtete sich zu nichts und machte nur allerhand leere Versprechungen: Man würde sie nicht vergessen, es habe ja noch Zeit und übrigens werde man sich bald wieder sehen.
Der Wagen fuhr indessen nicht vor und die Mädchen kamen nicht herunter. Man hörte sogar von oben lautes Gelächter, Stampfen, einzelne Schreie und lebhaftes Händeklatschen. Während die Frau des Tischlers zum Stall ging, um nach dem Wagen zu sehen, stieg Madame schleunigst die Treppe wieder herauf.
Rivet, sehr erregt und in sehr mangelhafter Toilette, suchte, wenn auch vergeblich, Rosa, die vor Lachen erstickte, in seine Gewalt zu bekommen. Die beiden Feuerspritzen hielten ihn an den Armen zurück und suchten ihn zu beruhigen, abgestossen von einem solchen Benehmen nach der ernsten Feier des Tages, während Raphaële und Fernande ihn ermunterten und sich vor Lachen die Seiten hielten. Bei jedem seiner nutzlosen Versuche kreischten sie laut auf vor Vergnügen. Der Mann war ganz ausser sich; mit hochrotem Kopf, fast ohne jede Bekleidung suchte er vergeblich unter Aufbietung aller Kräfte die beiden Mädchen, die sich an ihn klammerten, los zu werden und sich Rosas zu bemächtigen, indem er heftig hervorstiess: »Du willst nicht, Du Schlange?« -- Aber schon stürzte Madame voll Entrüstung herbei, fasste ihren Bruder an den Schultern und warf ihn so heftig aus dem Zimmer, dass er an die Wand taumelte.
Einige Minuten später hörte man schon, wie er sich am Brunnen im Hofe den Kopf wusch; und als er bald darauf mit dem Wagen erschien, war er wieder ganz nüchtern.
Man fuhr in derselben Weise fort wie tags zuvor, und der kleine Schimmel bewegte sich in demselben lebhaften und schaukelnden Tempo.
Trotz der warmen Sonne erwachte jetzt die während des Mahles gedämpft gewesene Munterkeit. Den Mädchen machten jetzt die Sprünge des Wagens Freude, sie stiessen selbst an die Stühle ihrer Nachbarinnen, und brachen bei der Erinnerung an Rivet’s vergebliche Anstrengungen jedes Mal wieder in ein lautes Gelächter aus.
Auf den Fluren lag eine Luft, die zur Ausgelassenheit reizte, eine Luft, die einem vor den Augen tanzte; unter den Rädern stiegen zwei mächtige Staubwolken hervor, die lange Zeit hinter dem Wagen herliefen, wie zwei übermütige Clowns.
Fernande, eine große Musikfreundin, bat plötzlich Rosa, etwas zu singen; diese ließ sich das nicht zweimal sagen und wollte eben das Lied: »Der dicke Pfarrer von Meudon« anstimmen, als Madame ihr sofort Schweigen gebot. Sie hielt den Text des Liedes für den heutigen Tag nicht passend und sagte: »Sing uns lieber etwas von Beranger.« -- Rosa sann einen Augenblick nach und hob dann mit ihrer etwas verrosteten Stimme die »Großmutter« an:
Großmütterchen hatte am Namensfest kaum
Zwei Schlückchen vom Wein nur genippt;
Da sprach sie und nickt mit dem Kopf wie im Traum:
»Wie hab’ ich doch einst viel geliebt!
Doch verdorrt ist der Arm,
So rosig und warm:
Und verwelkt ist das Herz,
Nur geblieben der Schmerz.«
Und von Madame selbst geleitet, fiel der Chorus der Mädchen ein:
»Doch verdorrt ist der Arm,
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