Plötzlich wurde hastig die Tür aufgerissen und Herr Tournevau trat ein.
»Hoch Tournevau!« rief alles begeistert. Raphaële, die sich noch im Walzer wiegte, sank an seine Brust und er riss sie stürmisch an sich. Dann hob er sie, ohne ein Wort zu sagen, wie eine Feder vom Boden auf, trug sie quer durch den Salon, öffnete die Türe im Hintergrund und betrat mit seiner lebendigen Last die Treppe, die zu den Zimmern führte, gefolgt von einem rasenden Beifallsjubel.
Rosa, die den ehemaligen Maire in Flammen setzte, indem sie ihn alle Augenblicke küsste und zugleich seine beiden Koteletten streichelte, nahm sich ein Beispiel hieran. »Komm, mach es ebenso« sagte sie. Schliesslich erhob sich der Brave und, indem er seine Kleider ordnete, folgte er dem Mädchen, dabei mit der Rechten in die Tasche fahrend, wo er sein Geld verwahrte.
Fernande und Madame blieben mit den vier anderen Herren allein, und Herr Philippe rief:
»Ich gebe Sekt; lassen Sie drei Flaschen holen, Madame Tellier!«
Fernande nahm ihn bei Seite und flüsterte ihm ins Ohr: »Spiel’ uns einen Tanz, willst Du?«
Er erhob sich und setzte sich an das alte Spinett, das in einem Winkel ruhte und entlockte demselben einen heiser klingenden, klagenden Walzer. Das große Mädchen engagierte den Einnehmer, Madame ergriff den Arm des Herrn Vasse, und die beiden Paare walzten herum unter lebhaftem Küssen. Herr Vasse, der vor Zeiten mal in der Welt getanzt hatte, machte seine Sache vortrefflich und Madame sah ihn mit trunkenem Blicke an, jenem Blicke, der »ja« sagt; ein »ja«, das viel diskreter und köstlicher ist als ein Wort!
Friedrich brachte den Sekt und nach dem ersten Glase schlug Herr Philippe eine Quadrille vor.
Die zwei Paare führten dieselbe ganz in der üblichen Weise aus, steif und feierlich, mit allen Bewegungen, Neigungen und Komplimenten; worauf man sich wieder zur Flasche setzte.
Da erschien plötzlich Herr Tournevau wieder, strahlend in angenehmer Erschlaffung. »Weiß der Teufel, was das Mädchen, die Raphaële, hat, aber sie ist heute entzückend!« Er trank ein dargebotenes Glas Sekt auf einen Zug aus, indem er murmelte: »Kuckuck auch! So ein Luxus!«
Herr Philippe begann auf der Stelle eine Polka und Herr Tournevau schwenkte die schöne Jüdin herum, welche er hoch in der Luft hielt, sodass ihre Füsse immer über dem Boden schwebten. Auch Herr Pimpesse und Herr Vasse waren mit neuem Eifer losgestürzt. Von Zeit zu Zeit machte ein Paar am Kamine Halt und pfiff schnell ein Glas Sekt.
Der Tanz schien kein Ende nehmen zu wollen, als Rosa mit einem Leuchter in der Hand die Tür öffnete. Sie trug das Haar lose, und war nur in Hemd und Hausschuhen; dabei machte sie einen sehr zufriedenen, wenn auch etwas mitgenommenen Eindruck.
»Ich will tanzen!« rief sie.
»Und Dein Alter?« fragte Raphaële.
Rosa lachte: »Der? Der schläft schon; er schläft immer gleich ein.«
Sie holte sich Herrn Dupuis, der allein auf dem Sopha geblieben war und die Polka begann von Neuem.
Als die Flaschen leer waren, sagte Herr Tournevau: »Ich zahle noch eine!«
»Und ich auch!« riefen Herr Vasse und Herr Dupuis wie aus einem Munde. Alles klatschte Beifall.
Es entwickelte sich nun ein regelrechter Ball. Von Zeit zu Zeit kamen auch Louise und Flora schnell herauf, tanzten in Eile einmal herum und schlürften ein Glas Sekt, während unten die Gäste vor Ungeduld vergingen. Dann stürzten sie wieder ins Café herunter, nicht ohne einen traurigen Seufzer auszustossen.
Um Mitternacht tanzte man immer noch. Zuweilen verschwand eines der Mädchen, und wenn man sie suchte, um ein Gegenüber zu haben, bemerkte man plötzlich, dass auch einer der Herren fehlte.
»Wo kommen Sie nur her?« fragte scherzend Herr Philippe, als Herr Pimpesse und Fernande gerade wieder eintraten.
»Wir besahen uns den schlafenden Herrn Poulin«, antwortete der Einnehmer.
Das Wort hatte eine kolossale Wirkung: Alle gingen hintereinander mit einem der Mädchen, die heute aussergewöhnlich lustig waren, herauf, »um den schlafenden Herrn Poulin zu sehen.« Madame drückte heute ein Auge zu; sie hatte in der Ecke wieder ein langes Gespräch mit Herrn Vasse, um die letzten Punkte einer Angelegenheit zu ordnen, die schon so gut wie abgemacht war.
Endlich um ein Uhr erklärten die beiden Ehemänner, Herr Tournevau und Herr Pimpesse, dass sie fort müssten und zahlen wollten. Madame nahm nur Geld für den Champagner an und rechnete noch dazu die Flasche nur mit sechs Franks, statt der gewöhnlichen zehn Franks. Und als man allseitig diese Großmut bewunderte, sagte sie mit lustigem Lachen:
»Es ist nicht alle Tage Kirchweih!«
*
Die fünf Freunde waren mit ihrem Diner zu Ende. Es waren fünf in den besten Jahren stehende Männer aus der guten Gesellschaft. Drei von ihnen waren verheiratet, während die zwei übrigen dem Junggesellenstande angehörten. Jeden Monat kamen sie einmal in dieser Weise zusammen, um die Erinnerung an ihre Jugendzeit zu feiern und nach dem heiteren Mahle noch unter freundschaftlichem Geplauder bis in die Morgenstunde hinein zu verweilen. Man sprach über dies und Jenes, über alles, was Paris beschäftigt und amüsiert; man trieb es hier nicht anders, wie in den meisten Pariser Salons, wo die Unterhaltung weiter Nichts ist, wie eine mündliche Wiedergabe dessen, was man in den Morgenblättern gelesen hat.
Einer dieser Lustigsten unter ihnen war Joseph de Bardon, ein Junggeselle, der das Pariser Leben so vollständig und vielseitig wie möglich auskostete. Er war weder ein Schwelger, noch ein Wüstling, aber er hatte den Wunsch, alles zu kennen, was das Leben bot; und diese Art von Genuss bereitete ihm eine wirkliche Freude. Seine vierzig Jahre erlaubten ihm das übrigens auch. Ein Weltmann im weitesten und besten Sinne des Wortes, besass er viel Witz ohne besondere Geistestiefe, viele Kenntnisse ohne gründliche Bildung, eine schnelle Auffassungsgabe ohne besonderen Hang zum Studium; er wusste das, was er bei allen seinen Abenteuern und Erlebnissen sah und beobachtete, so hübsch zu scherzhaften und gleichzeitig tiefsinnigen Anekdoten zu verwerten und seine Betrachtungen daran zu knüpfen, dass ihm in der ganzen Stadt der Ruf eines geistreichen Menschen gezollt wurde.
Bei ihren gemeinschaftlichen Diners war er stets der Festredner. Er hatte immer etwas in Bereitschaft und auf irgend eine neue Geschichte konnte man stets bei ihm zählen. Er gab sie zum Besten, ohne sich lange bitten zu lassen.
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