Die Leute im Dorfe waren schon auf. Die Frauen gingen geschäftig an die Haustüren und plauderten über die Strasse herüber mit der Nachbarin; die eine brachte vorsichtig einen Mousselinrock, der steif wie Pappe gestärkt war, die andere trug eine Kerze von ungeheurer Dimension um die in der Mitte eine seidene Schleife mit Goldfransen geknöpft war und an deren unterem Ende Vertiefungen zum Halten angebracht waren. Die Sonne stand schon hoch am blauen Himmel, dessen äusserster Rand noch einen rosigen Schimmer als letzte Spur des Morgenrotes hatte. Zahlreiche Hühnervölker trippelten vor ihren Ställen umher, und hin und wieder erhob ein schwarzer schillernder Hahn den rotkämmigen Kopf, schlug die Flügel und schmetterte seinen Morgenruf in die Luft, dem dann sämtliche Hähne antworteten.
Wagen und Karren fuhren vor und brachten aus den benachbarten Gemeinden die hochgewachsenen Normanninnen in schwarzen Kleidern, das Halstuch auf der Brust zusammengeknüpft und mit einer uralten silbernen Schnalle festgehalten. Die Männer hatten über dem neumodischen Überzieher oder auf dem alten grünen Tuchrock mit tief herabhängenden Schössen den blauen Kittel gezogen.
Als die Pferde im Stalle waren, sah man längs der ganzen Hauptstrasse eine doppelte Reihe von ländlichen Fahrzeugen jeder Form und jeden Alters, Karren, Cabriolets, Tilburys, Bankwagen, die entweder vornüber gekippt waren, oder auch hintenüber gestürzt die Deichsel in die Luft streckten.
Im Hause des Tischlers ging es wie in einem Bienenstocke zu. Die »Damen« in Rock und Leibchen, mit losen Haaren, die so dünn und kurz waren, als wären sie vor der Zeit welk und dürr geworden, waren mit der Toilette des Kindes beschäftigt.
Die Kleine stand auf einem Tisch und rührte sich nicht, während Madame Tellier die Arbeiten ihrer fliegenden Schar leitete. Man wusch und putzte sie, man frisierte sie, und zog sie mit Zuhilfenahme zahlloser Stecknadeln an, man ordnete die Falten des Kleides, steckte die viel zu weite Taille enger, kurz man suchte sie so elegant wie möglich auszustaffieren. Dann als man hiermit fertig war, hiess man das arme Opferlamm sich auf einen Stuhl setzen und möglichst regungslos bleiben; worauf die lebhafte Gesellschaft an ihre eigene Toilette eilte.
Auf der kleinen Kirche begann es von Neuem zu läuten. Der wimmernde Ton der Glocke verlor sich in der Luft, wie eine schwache Stimme, die in einem weiten Raume verhallt.
Die Kommunionkinder eilten aus den Türen der Häuser auf das Gemeindehaus zu, welches die beiden Schulen und die Mairie enthielt und an einem Ende des Dorfes lag, während man das »Gotteshaus« am anderen Ende errichtet hatte.
Die Eltern folgten ihren Kleinen in festlicher Kleidung und mit jener linkischen und ungeschickten Haltung, wie sie sich ein an harte Arbeit gewöhnter Körper aneignet. Die kleinen Mädchen verschwanden in Wolken von weißem Tüll, der sie wie geschlagener Schaum umgab, während die kleinen Burschen, die mit ihrem frisierten wohlpommadisierten Haupte wie Piccolos aussahen, beim Gehen die Beine möglichst weit voneinander spreizten, um nur ja die neue schwarze Hose nicht zu beschmutzen.
Es war für jede Familie ein besondrer Stolz, wenn möglichst viele Angehörige auch von weiter her das Kind begleiteten: der Triumph des Tischlers war in dieser Frage also unbestritten. Das ganze Regiment Tellier, die Patronin an der Spitze, begleiteten Konstanze; der Vater führte seine Schwester, die Mutter folgte mit Raphaële, Fernande mit Rosa, und schliesslich kamen die beiden »Feuerspritzen.« So stolzierte man majestätisch dahin wie ein Regiments-Stab in großer Uniform.
Der Eindruck auf die Dorfbewohner war geradezu verblüffend.
Bei der Schule stellten sich die Mädchen unter Leitung einer Schwester auf; die Knaben wurden von dem Schulmeister geordnet, einem ansehnlichen hübschen Menschen. So setzte sich der Zug unter Anstimmung eines Liedes in Bewegung.
Die Knaben an der Spitze ging es durch die doppelte Reihe der ausgespannten Wagen hindurch; den Knaben folgten die Mädchen, und da man den Damen aus der Stadt respektvollst den Vortritt gelassen hatte, so kamen diese, ebenfalls paarweise gehend, dreie rechts und dreie links, unmittelbar hinter den Kleinen in die Kirche.
Ihre Toiletten erweckten den Eindruck eines Brillant-Feuerwerks und ihr Eintritt in die Kirche rief eine große Sensation hervor. Man schob und drängte sich, wandte die Köpfe und stiess sich, um sie nur sehen zu können. Die Andächtigen sprachen beinahe laut, hingerissen von der Pracht dieser Damen, welche die der Kirchengewänder fast übertraf. Der Maire bot ihnen sofort seine Bank, die erste rechts hinterm Chore, an, und Madame Tellier nahm mit ihrer Schwägerin Fernande und Raphaële darin Platz; Rosa und die beiden Feuerspritzen besetzten in Gemeinschaft mit dem Tischler die nächste.
Der Chor der Kirche war mit knienden Kindern, die Knaben rechts, die Mädchen links, angefüllt; und die langen Kerzen, welche sie in Händen hielten, sahen wie emporgestreckte Lanzen aus.
Vor dem Chorpult standen drei Männer und sangen mit voller Stimme, wobei sie die Silben des lateinischen Textes endlos verlängerten und das »A« im »Amen« furchtbar hinauszogen, von der Orgel hierin aufs Beste unterstützt. Eine helle Kinderstimme gab die Antwort, und von Zeit zu Zeit erhob sich ein Geistlicher, der mit dem viereckigen Barrett bedeckt im Chorstuhle sass, betete eine Recitation, worauf dann die drei Männer, nachdem er sich gesetzt hatte, wieder anhoben, den Blick starr auf das vor ihnen aufgeschlagene Chorbuch heftend, das von den ausgebreiteten Flügeln eines auf einem Gestell befestigten hölzernen Adlers gehalten wurde.
Hierauf trat eine feierliche Stille ein. Alle Anwesenden sanken auf die Knie und es erschien der Pfarrer, ein ehrwürdiger Greis mit weißen Haaren, das Antlitz auf den Kelch gebeugt, den er in der linken Hand trug. Vor ihm gingen die beiden Messdiener in roten Chorröcken und hinter ihm folgte eine Anzahl Sänger in weißen Röcheln, die sich zu beiden Seiten des Chors verteilten.
Der Ton eines kleinen Glöckleins unterbrach jetzt die lautlose Stille; der Gottesdienst begann. Nachdem der Priester langsam vor den vergoldeten Tabernakel hingetreten war und dort eine Kniebeugung gemacht hatte, trat er an die Altarstufen zurück und betete mit seiner heiseren altersschwachen Stimme den Introitus. Sobald er denselben beendet und wieder zum Altar heraufgestiegen war, fielen Chorsänger und Orgel gleichzeitig ein, und auch die Leute in der Kirche sangen mit; ihre Stimmen waren etwas gedämpfter, weniger laut als die der Ersteren.
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