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Eine seiner Gewohnheiten war, lange Ausflüge zu machen; er ging dann mit großen Schritten und wilder Miene durchs Feld. Eines Abends im Mai nun, als er von einem solchen weiten Spaziergang zurückkehrte und das Steilufer entlang ging, um das Dorf zu gewinnen, überfiel ihn ein furchtbarer Guß. Kein Haus war in Sicht, überall nackte Küste, von Wetterströmen zerspült.
Das Meer ging hoch und rollte seine Schaumkämme. Große finstre Wolken zogen vom Horizont heran und verdoppelten den Regen. Der Wind pfiff und heulte und legte die jungen Saaten nieder, schüttelte den triefenden Abbé und presste seinen durchnässten Rock gegen seine Beine, erfüllte seine Ohren mit Sturmgeheul und sein Herz mit trunkener Erregung.
Er riss sich den Hut ab und bot seine Stirn dem Gewitter preis, während er sich allmählich dem Abstieg ins Niederland näherte. Doch da packte ihn ein Windstoß mit solcher Gewalt, dass er nicht mehr weiter kam, und da er plötzlich eine Schafhürde und daneben den Schutzkarren eines Schäfers erblickte, lief er darauf zu, um Unterschlupf zu finden.
Die Hunde, die der Orkan peitschte, schlugen nicht an, als er nahte, und ließen ihn ungehindert an die Hütte, eine Art Hundehütte auf Rädern, wie sie die Schäfer im Sommer von Weide zu Weide mitschleppen.
Über einem Trittbrett öffnete sich die niedrige Tür, sodass man das Stroh darinnen erkennen konnte. Der Priester wollte hineinschlüpfen – als er plötzlich im Dunkel des Raumes ein Liebespärchen gewahrte. Da klappte er den Wetterschirm in jäher Entschlossenheit zu, legte den Riegel davor, spannte sich zwischen die Arme der Schubkarre und legte sich weit vornübergebeugt davor. Er zog wie ein Pferd und rannte, unter seinem feuchten Tuchrock keuchend, dem jähen Steilfall des todbringenden Abhangs entgegen. Das überraschte Liebespaar glaubte wohl, ein Vorübergehender machte sich einen Scherz, und trommelte mit den Fäusten gegen die Wände des Holzhauses.
Als er den Kamm des Abfalls erreicht hatte, ließ er das Wanderhaus fahren, und nun schoss es den schrägen Hang hinunter, in immer schnellerer Fahrt, in rasendem Laufe dahinrollend, bald hochspringend und stolpernd, wie ein Tier, und mit den Armen aufschlagend.
Ein alter Bettler, der in einem Graben hockte, sah es über seinen Kopf hinweg sausen und hörte das entsetzte Geschrei in dem hölzernen Kasten.
Plötzlich prallte es auf, verlor ein Rad, legte sich auf die Seite und begann wie eine Kugel bergab zu rollen, wie ein entwurzeltes Haus vom Gipfel eines Berges herunterrollen würde. Am anderen Rande des untersten Hohlweges sprang es auf und flog in hohem Bogen auf den Kies, wo es wie ein Ei zerplatzte.
Dort hob man die Liebenden auf. Sie waren zerschlagen und zermalmt, alle Glieder gebrochen, aber immer noch eng verschlungen. In ihrer Angst hatten sie die Arme um den Nacken geschlagen, als wäre es aus Liebe geschehen…
Der Pfarrer erlaubte nicht, dass ihre Leichen in die Kirche kamen, auch verweigerte er den Segen an ihren Särgen. Und am Sonntag bei der Predigt sprach er donnernd vom sechsten Gebote Gottes des Herrn und drohte den Liebenden mit rächend erhobenem Arm und geheimnisvoller Miene, indem er ihnen das Beispiel der beiden Unglücklichen vorhielt, die in ihrer Sünde gestorben waren.
Als er die Kirche verließ, nahmen zwei Gendarmen ihn fest. Ein Zollwächter, der im Guckloch gelegen hatte, hatte alles gesehen. Er wurde mit Zuchthaus bestraft.
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Und der Bauer, von dem ich diese Geschichte habe, setzte ernst hinzu:
– Ich habe ihn noch gekannt, Herr, ich selbst. Er war ein strenger Mann und von der Liebe wollte er überhaupt nichts wissen.
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Meine liebe Colette!
Ich weiß nicht, ob du dich eines Verses aus Sainte-Beuve entsinnst, den wir zusammen gelesen haben, und der sich meinem Gedächtnis fest eingeprägt hat; denn er sagt mir Manches, dieser Vers, und oft hat er mein armes Herz beruhigt, besonders in der letzten Zeit. Er heißt:
»Im selben Haus geboren werden, leben
Und sterben…«
Hier bin ich nun ganz allein in diesem Hause, in dem ich geboren bin, gelebt habe und auch zu sterben gedenke. Es ist nicht alle Tage heiter, aber es ist süß; denn ich bin von Erinnerungen umgeben.
Mein Sohn Henry ist Advokat; er besucht mich jährlich zwei Monate. Jeanne wohnt mit ihrem Manne am anderen Ende Frankreichs; sie besuche ich jeden Herbst. So bin ich denn hier allein, ganz allein, aber vertraute Gegenstände umgeben mich und erzählen mir unausgesetzt von den Meinen, von den Toten wie von den fernen Lebenden.
Ich lese nicht mehr viel, aber ich denke viel, oder besser, ich träume! Freilich nicht in meiner Art von ehedem. Du kennst ja unsere abenteuerlichen Grillen, unsere Pläne, die wir schmiedeten, als wir zwanzig Jahre alt waren, all die glücklichen Aussichten, die sich uns eröffneten!
Von alledem ist nichts in Erfüllung gegangen, oder vielmehr, es ist alles anders gekommen, weniger süß und poetisch, aber doch zufriedenstellend, wenn man sein Schicksal zu nehmen weiß.
Denn weißt du, warum wir Frauen so oft unglücklich sind? Weil man uns in der Jugend zu viel an das Glück glauben lehrte. Wir sind nicht mit dem Gedanken erzogen worden, dass der Mensch zu kämpfen, zu harren und zu leiden hat. Und unser Herz bricht beim ersten Stoße. Mit offener Brust erwarten wir Ströme von glücklichen Ereignissen, und es kommen immer nur halbwegs gute. Dann weinen wir gleich. Das Glück, das wahre Glück unserer Träume habe ich erst lernen müssen. Es besteht nicht in einem glücklichen Ereignis, denn die sind sehr selten und von kurzer Dauer, sondern einfach im steten Erwarten einer Reihe von guten Dingen, die niemals kommen. Glück, das ist das glückliche Warten, das ist ein Dunstkreis von Hoffnungen, also die Illusion ohne Ende. Ja, meine Liebe, es gibt nichts Gutes, als die Illusionen, und so alt ich bin, mache ich mir noch alle Tage welche; nur hat sich ihr Gegenstand geändert, denn meine Wünsche sind nicht dieselben geblieben. Ich sagte dir schon, dass ich die meiste Zeit mit Träumen verbringe. Was soll ich auch andres tun? Ich habe dazu zwei Arten. Ich will sie dir nennen: vielleicht, dass sie dir nützlich sind.
Die erste ist sehr einfach; sie besteht darin, dass ich mich in einen niedrigen Lehnstuhl, der meinen alten Knochen weich genug ist, vor mein Kaminfeuer setze und meine Blicke auf Das zurück schweifen lasse, was dahinter liegt.
Oh wie kurz ist doch ein Menschenleben! Besonders, wenn es ganz an einem Orte verfließt.
»Im selben Haus geboren werden, leben
Und sterben…«
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