Lautes Gelächter, Gedränge und Getrampel der Zuschauenden, die dicht gedrängt an den Wänden standen, folgte dieser Prozedur, während der Gefoppte, ohne ein Wort zu sagen, wieder zu essen begann, und mit der vorgehaltenen Linken seinen Teller beschützte und verteidigte.
Dann gab man ihm Pfropfen, Holz, Blätter und schließlich Dreck zu essen, was er nicht unterscheiden konnte. Und schließlich, da auch das langweilig wurde und die Späße nicht mehr zogen, begann der Schwager in seiner Wut, dass er ihn ernähren musste, ihn mit Püffen und Schlägen zu traktieren und lachte über die vergeblichen Anstrengungen des Unglücklichen, die Schläge zu parieren oder hinauszugeben. Daraus wurde dann ein neues Spiel, das Maulschellenspiel: Ochsen- und Pferdeknechte, Mägde, alles zog ihm fortwährend die Hände durchs Gesicht, und seine Lider zuckten dann noch heftiger. Er wusste nicht, wohin er sich vor ihnen retten sollte, und ging darum immer mit vorgestreckten Armen, damit ihm keiner zu nahe käme.
Endlich zwang man ihn, zu betteln. An Markttagen stellte man ihn auf die Straßen, und sobald das Geräusch von Schritten oder das Nahen eines Wagens hörbar ward, musste er seinen Hut ziehen und sein: »Bitte um ein kleines Almosen!« herbeten.
Aber der Bauer ist knickerig, und so vergingen oft Wochen, wo er nicht einen Sou heimbrachte. Seitdem wuchs der Hass gegen ihn ins Grenzenlose, Erbarmungslose. Und dies war sein Tod.
Einmal im Winter, als die Erde dicht verschneit und es mörderisch kalt war, führte ihn sein Schwager am frühen Morgen weit fort auf eine Landstraße, wo er um Almosen betteln sollte. Dort ließ er ihn den ganzen Tag über stehen, und als es Nacht wurde, erklärte er seinen Leuten, er hätte ihn nicht wiedergefunden. »Nee«, setzte er hinzu, »um Den brauchen wir uns keine Sorge zu machen. Es wird ihn schon einer mitgenommen haben, wenn ihm kalt war. I wo, der ist nicht draufgegangen. Der wird morgen schon wieder kommen und seine Suppe wollen.«
Er kam aber nicht wieder.
Stundenlang hatte er gestanden und gewartet. Dann, als er fühlte, dass er erfrieren würde, war er blindlings drauf losgegangen. Er konnte den verschneiten Straßenzug unter der Schneedecke nicht erkennen und stürzte in verschneite Gräben, arbeitete sich wieder hoch und suchte stillschweigend nach einem Hause.
Aber der eisige Schnee durchkältete ihn allmählich immer mehr, und als ihn seine schwachen Beine nicht mehr tragen konnten, setzte er sich mitten auf einen Acker, von dem er nicht mehr aufstand.
Bald hatten die weißen Schneeflocken ihn ganz zugedeckt. Sein steif gewordener Körper verschwand unter ihrer dichten Decke, die sich beständig erhöhte, und bald verriet nichts mehr die Stelle, wo der Leichnam lag.
Seine Verwandten stellten zum Scheine Nachforschungen an und suchten acht Tage. Sie weinten sogar. Aber der Winter war rau und es thaute erst spät. So fand sich vorderhand nichts.
Als die Pächtersleute eines Sonntags zur Messe gingen, sahen sie, wie ein großer Rabenschwarm unablässig über der Ebene kreiste und sich dann wie eine schwarze Regenwolke auf einen bestimmten Fleck niederließ, wieder aufflog und immer wieder zurückkehrte.
Die Woche darauf waren sie immer noch da, die unheimlichen Vögel. Der Himmel war schwarz von ihrem Gewimmel, als wären sie von allen vier Winden zusammengeflogen; sie ließen sich mit lautem Gekrächz auf den glänzenden Schnee nieder, wühlten hartnäckig darin herum und befleckten ihn eigentümlich.
Ein Bursch lief hin, um nachzusehen, was sie da machten, und entdeckte den Kadaver des Blinden; er war zerhackt und schon halb aufgefressen. Seine weißen Augäpfel waren von den gefräßigen Schnäbeln herausgehackt…
Und jedes Mal, wenn ich die Lebensfreude der ersten Sonnentage spüre, kommt mir die trübe Erinnerung und der wehmütige Gedanke an diesen Enterbten des Lebens wieder, dessen schauerlicher Tod für alle, die ihn kannten, eine Erlösung war.
*
Der verhängnisvolle Kuchen
Sagen wir, sie hieß Madame Anserre, um ihren wahren Namen nicht bloßzustellen. Sie gehörte zu jenen Pariser Kometen, die einen leuchtenden Schweif hinter sich zurücklassen. Sie dichtete und schrieb Novellen, hatte ein gefühlvolles Herz und war entzückend schön. Sie empfing wenig und auch nur Größen ersten Ranges, solche, die man gemeiniglich Fürsten in irgend einer Sache nennt. Von ihr empfangen zu werden, war ein wirklicher Adelstitel der Intelligenz; wenigstens schätzte man ihre Einladungen so.
Ihr Gatte spielte die Rolle des dunklen Trabanten. Der Gatte eines Sterns zu sein, ist nie leicht. Und doch hatte dieser Gatte keinen schlechten Einfall gehabt: er wollte einen Staat im Staate bilden und seine Berühmtheit für sich haben, eine Berühmtheit zweiten Ranges freilich – aber schließlich konnte er doch auf diese Weise an den Tagen, wo seine Frau empfing, auch empfangen; er hatte sein besonderes Publikum, das ihn schätzte, anhörte und ihm mehr Beachtung schenkte, als seiner glänzenden Gefährtin.
Er hatte sich der Landwirtschaft gewidmet, und zwar der Landwirtschaft im Zimmer. Es gibt ja auch Zimmer-Generale; alle die am grünen Tisch des Kriegs-Ministeriums groß werden und leben, sind ja dieses Schlages; ebenso Zimmer-Marine, siehe das Marine-Ministerium, Zimmer-Kolonisten u. s. w. Er hatte also Landwirtschaft studiert, und zwar tiefgründlich, Landwirtschaft in ihren Beziehungen zu den anderen Wissenschaften, zur National-Ökonomie, zu den Künsten… Die Künste werden ja überall dazwischen gemengt, und selbst die schauderhaften Eisenbahnbrücken werden zu »Kunstwerken« gestempelt! So hatte er es endlich erreicht, dass man ihn einen »tüchtigen Mann« nannte und in technischen Zeitschriften zitierte. Seine Frau hatte es ferner durchgesetzt, dass er zum Mitgliede einer Kommission im Ackerbau-Ministerium ernannt wurde – und dieser bescheidene Ruhm genügte ihm.
Seine Freunde lud er unter dem Vorwande, die Kosten zu verringern, immer an denselben Abenden ein, wo seine Gattin die ihren empfing, doch teilten sie sich alsbald in zwei gesonderte Lager: die Dame des Hauses mit ihrer Suite von Künstlern, Akademikern und Ministern »tagte« in einer Art Gallerie, die im Empire-Styl möbliert und ausgestattet war; während der Herr sich mit seinen Landwirten gewöhnlich in ein bescheidneres Zimmer zurückzog, das als Rauchzimmer diente und von Madame Anserre ironisch das »Landwirtschaftliche Kabinet« genannt wurde.
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