Dann begann er querfeldein zu streifen, kroch in den Geländefalten entlang, um nicht gesehen zu werden, und lauschte, unruhig wie ein Wilddieb, auf das leiseste Geräusch.
Als er glaubte, dass die Zeit gekommen wäre, zog er sich an die Straße heran, versteckte sich da in einem Strauche und wartete. Endlich, um Mitternacht, hörte er den Galopp eines Pferdes auf der harten Straßendecke. Er legte das Ohr auf den Boden, um sich zu vergewissern, ob auch nur ein einziger Reiter käme; dann hielt er sich bereit.
Der Ulan kam im schlanken Trabe daher; er brachte Meldungen zurück. Er hielt das Auge wach und das Ohr gespannt. Als er bis auf zehn Schritte heran war, schleppte sich Vater Milon über die Straße hin und schrie plötzlich »Hilfe! Hilfe!« Der Reiter machte Halt, erkannte einen Reiter ohne Pferd, und hielt ihn für verwundet. Als er nichtsahnend näher kam und sich über den Unbekannten beugte, stach ihm dieser mit dem krummen Säbel mitten in den Leib, sodass er ohne Todeskampf aus dem Sattel sank; nur ein letztes Zucken lief durch seinen Körper.
Da erhob sich der alte Bauer stumm und freudestrahlend und schnitt dem Leichnam zum Spaß noch die Kehle durch. Dann zog er ihn nach dem Graben und warf ihn hinein.
Das Pferd wartete ruhig auf seinen Herrn; Vater Milon setzte sich in den Sattel und galoppierte davon.
Nach etwa einer Stunde erblickte er noch zwei Ulanen, die Schenkel an Schenkel ins Quartier ritten. Er galoppierte stracks auf sie zu und schrie wieder: »Hilfe! Hilfe!« Die Preußen ließen ihn, da sie die Uniform erkannten, ohne irgendwelches Misstrauen herankommen. Der Alte platzte mitten zwischen sie hinein, wie eine Kugel, und machte sie mit Säbel und Revolver unschädlich.
Dann schnitt er den Pferden – es waren ja deutsche Pferde! – die Hälse durch, kehrte in aller Gemütsruhe nach seinem Kalkofen zurück und verbarg das Pferd am Ende des dunklen Ganges, legte seine Uniform ab, zog seine armseligen Bauernkleider wieder an, ging heim und schlief bis zum anderen Morgen,
Vier Tage lang hielt er sich ruhig, um das Ende der angestellten Untersuchung abzuwarten. Am fünften Tage brach er wieder aus und tötete noch zwei Soldaten durch dieselbe Kriegslist. Seitdem ging er allabendlich auf Menschenjagd, durchquerte aufs Geratewohl die Gegend, schlug die Preußen bald hier, bald dort zu Boden und galoppierte im Mondschein als Ulan durch die verlassenen Felder. Hatte er seine Absicht erreicht, so ließ er die Leichen an den Straßen liegen und versteckte Pferd und Uniform wieder im Kalkofen.
Gegen Mittag ging er dann mit dem ruhigsten Gesicht von der Welt wieder hin und brachte seinem Reittier Hafer und Wasser in den unterirdischen Gang, wo es angebunden war, und fütterte es gut, denn es musste ihm viel leisten.
An einem der Abende jedoch setzte sich einer der Angegriffenen rechtzeitig zur Wehr und schlug dem alten Bauern mit dem Säbel ins Gesicht.
Er hatte indessen beide getötet und war noch bis zu seinem Kalkofen gekommen, hatte dort sein Pferd untergestellt und seine unscheinbare Kleidung wieder angelegt. Dann hatte er sich nach Hause geschleppt, war aber unterwegs von einer Schwäche befallen worden, und hatte nur noch den Stall, nicht mehr das Haus erreicht.
Dort hatte man ihn blutüberströmt auf der Streu gefunden.
*
Als er seine Erzählung beendet hatte, erhob er plötzlich den Kopf und blickte die preußischen Offiziere stolz an.
Der Oberst zog an seinem Schnurbart und fragte:
– Weiter habt Ihr nichts zu sagen?
– Nein, weiter ist’s nichts. Die Rechnung stimmt. Ich habe sechzehn getötet, keinen mehr, keinen weniger.
– Ihr wisst, dass Euch der Tod bevorsteht?
– Ich habe Sie nicht um Gnade gebeten.
– Seid Ihr Soldat gewesen?
– Zu meiner Zeit, ja. Außerdem habt Ihr meinen Vater getötet, er war Soldat unter dem ersten Kaiser. Und meinen jüngsten Sohn François, den habt Ihr vergangenen Monat bei Evreux getötet. Was ich Euch schuldig war, ist nun bezahlt. Wir sind jetzt quitt.
Die Offiziere blickten sich an.
– Acht für meinen Vater, fuhr der Alte fort. Acht für meinen Sohn. Nun sind wir quitt. Ich habe den Streit mit Euch nicht gesucht. Ich kenne Euch nicht. Ich weiß nicht einmal, wo Ihr her seid. Ihr seid zu mir gekommen und schaltet in meinem Hause, als ob es bei Euch wäre. Ich habe mich für alles gerächt. Ich bereue nichts.
Der Alte richtete seinen steifen Körper auf und kreuzte die Arme, wie ein schlichter Held.
Die Preußen sprachen lange mit gedämpfter Stimme. Ein Hauptmann, dessen Sohn im letzten Monat gleichfalls gefallen war, verteidigte diesen armen Teufel.
Da stand der Oberst auf, trat auf Vater Milon zu und sprach mit milderer Stimme:
– Hört mich an, Alter, vielleicht gibt es noch ein Mittel, Euch das Leben zu retten, wenn Ihr…
Aber der hörte nicht. Er starrte dem Offizier des siegreichen Heeres fest in die Augen, während der Wind in seinem dünnen Haarflaum spielte, und schnitt eine schauderhafte Grimasse, dass sein zerhauenes Gesicht sich furchtbar verzerrte. Dann blies er die Brust auf und spie dem Preußen mit aller Gewalt ins Angesicht.
Der Oberst erhob wütend die Hand, aber da spie er schon wieder…
Die Offiziere waren sämtlich aufgesprungen und brüllten Kommandos durcheinander.
Ehe noch eine Minute verging, war der wackere Kerl, der noch immer ungerührt schien, an die Mauer gestellt und erschossen. Seinem ältesten Sohne, seiner Schwiegertochter und den beiden Kleinen, die verzweifelt zusahen, hatte er noch zugelächelt.
*
Jeanne sollte ihren Vetter Jacques bald heiraten. Sie kannten sich schon von Kindheit an, und darum hatte die Liebe zwischen ihnen nicht jenes zeremonielle Gepräge angenommen, wie es sonst bei Brautleuten beobachtet wird. Sie waren zusammen groß geworden, ohne zu ahnen, dass sie sich liebten. Das junge Mädchen, das etwas gefallsüchtig war, hatte zwar ein paar unschuldige Tändeleien versucht; sie fand den jungen Mann überdies recht nett und hielt ihn für brav, und jedes Mal, wenn sie sich wiedersahen, küsste sie ihn recht von Herzen. Aber sie küssten sich doch ohne jeden Schauder, der den Körper von den Fingern bis zu den Zehen durchrieselt…
Er dachte ganz einfach: sie ist ein nettes Ding, meine kleine Cousine; und wenn er an sie dachte, so geschah dies mit jener instinktiven Zärtlichkeit, die jeder Mann einem hübschen jungen Mädchen gegenüber empfindet. Weiter gingen seine Gedanken jedoch nicht.
Doch da hatte Jeanne eines Tages durch Zufall gehört, wie ihre Mutter zu ihrer Tante sagte – Tante Alberta, denn Tante Lison war ledig geblieben –: »Ich kann dir versichern, sie werden sich sofort lieben, diese Kinder; das sieht man ja. Und Jacques ist ganz der Schwiegersohn nach meinem Herzen.«
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