1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Die Stimme ihrer Mutter schalt sie im Geiste: „Eine Dame beleidigt nie ihre Familie, auch nicht im privaten Rahmen.“ Miranda verdrängte diese Ermahnung.
„Vielleicht plant sie, einen eingeschworenen Junggesellen zu erobern.“
Miranda lachte. „Oh, ganz bestimmt. Sie hat mir schon gesagt, dass ihr die normalen begehrten Junggesellen nicht reichen. Sie will von allen bewundert werden und strahlender Mittelpunkt der Hochzeit des Jahres sein. Sie hat sogar schon eine Liste erstellt.“
„Eine Liste?“
„Mhm.“ Als sie an die Liste dachte, die Georgina ihr vorgelesen hatte, musste Miranda so kräftig lachen, dass ihr Pferd ein wenig scheute. Es dauerte einen Moment, bis sie sich und ihre Stute wieder im Griff hatte. „Dein alter Schulfreund steht übrigens auch darauf.“
Griffith schaute sie mit hochgezogener Braue an, während sie sich dem Waldrand näherten. „Cottingsworth?“, fragte er überrascht.
Der Viscount von Cottingsworth war ein guter Mann, den Griffith Miranda schon das eine oder andere Mal vorgeschlagen hatte. Sie hatte ihn jedoch nie in Erwägung gezogen, nachdem Cottingsworth angemerkt hatte, wie gut sie aufgrund seiner freundschaftlichen Beziehung zu Griffith zusammenpassen würden. Als sie sich Georgina mit Cottingsworth vorstellte, musste Miranda noch mehr lachen.
Griffith schüttelte den Kopf. „Es verblüfft mich, dass Georgina einen so niedrigen Titel anstrebt. Ich hätte gedacht, dass für sie niemand infrage kommt, der nicht mindestens ein Graf ist.“
„Oh, nein.“ Miranda atmete tief durch, um nicht laut zu kichern. „Sie hat es auf den Herzog abgesehen.“
Sie erreichten den Waldrand und kamen auf eine weite, grüne Wiese. Vögel zwitscherten in den Bäumen und Wiesenblumen bewegten sich anmutig im leichten Wind. Miranda trieb ihre Stute zum Trab an und bereitete sich darauf vor, mit Griffith wie üblich über diese Wiese um die Wette zu reiten. Nach wenigen Schritten merkte sie jedoch, dass Griffith sein Pferd am Waldrand angehalten hatte. „Griffith?“, fragte sie und drehte sich im Sattel um.
„Den Herzog von Marshington?“, fragte Griffith ungläubig. „Aber den hat seit neun Jahren niemand mehr gesehen! Er verschwand während unseres ersten Jahrs in Oxford und meines Wissens hat man ihn seitdem nicht mehr gesehen. Und ganz bestimmt nicht auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung.“
Miranda ritt zu ihm zurück. „Sie meint, wenn sie sich erst einmal den Ruf erworben hätte, dass sie der Inbegriff von Schönheit und Anmut ist, dann würde er sein Einsiedlerleben aufgeben.“
Griffiths Blick wanderte ausdruckslos über die Wiese, doch dann zog ein Grinsen über sein Gesicht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie, ähm, bekannt genug sein wird, um ihn aus seinem Versteck zu locken. Aber man weiß ja nie.“
„Meinst du das im Ernst?“, keuchte Miranda. Wenn ihr praktisch denkender Bruder es auch nur im Entferntesten für möglich hielt, dass der Herzog von Marshington wieder auftauchen würde, musste er damit rechnen, dass Georgina beliebter werden würde, als sich Miranda vorstellen konnte. Sie verlagerte ihr Gewicht und versuchte, das Gefühl der Enge zu vertreiben, das ihr die Brust zuzuschnüren drohte. „Du hältst das für möglich? Du glaubst, dass er in diesem Jahr tatsächlich nach London kommt?“
Griffith schien über ihre Frage gründlich nachzudenken. „Ich denke“, entgegnete er dann langsam, „falls er in diesem Jahr nach London kommen sollte, wäre das reiner Zufall.“
Miranda kniff ihre grünen Augen zusammen und schaute ihn an. Die Furcht, die sich in ihrem Bauch geregt hatte, wich jetzt einer wachsenden Neugier. Ein leichter Druck mit dem Bein genügte, um ihre gut trainierte Stute neben Griffiths Pferd zu lenken. „Hast du etwa von ihm gehört?“
Sie schaute ihren Bruder durchdringend an und hoffte fast, er würde ihre Frage nicht beantworten. Miranda musste zugeben, dass sie eine Schwäche für guten Klatsch hatte, und alles, was mit dem mysteriösen Herzog zu tun hatte, war immer interessant.
Marshingtons Verschwinden aus Oxford war in der Londoner Gesellschaft legendär. Seine Tante und sein Vetter versuchten immer wieder, das Herzogtum an sich zu reißen, aber sein Schlossverwalter und sein Anwalt behaupteten, dass sie regelmäßig Briefe und Anweisungen von ihm bekamen. Sein Herzogtum war in den vergangenen Jahren sehr gut verwaltet worden. Es wuchs und gedieh und ermöglichte Marshingtons gierigen Verwandten ein luxuriöses Leben.
Griffith setzte sein Pferd in Bewegung und zwang Mirandas Stute damit, zur Seite zu tänzeln. „Ja, ich habe im Laufe der Jahre hin und wieder Nachrichten von ihm bekommen.“
Miranda grinste. Das war tatsächlich eine interessante Information. „Wirklich?“
Griffith nickte. „Ich kann dir nicht sagen, wo er ist, aber ich weiß genau, dass er auf Georginas Verführungsversuche bestimmt nicht hereinfallen würde. Wer zuerst bei der Eiche ist!“
Er drückte seinem Pferd die Fersen in die Flanken und galoppierte über die Wiese. Miranda blieb nichts anderes übrig, als ihm eilig zu folgen.
Wenn er glaubte, er käme davon, ohne ihr ein wenig mehr zu erzählen, irrte er sich.
5
Miranda betrachtete sich stirnrunzelnd im Spiegel über ihrem Frisiertisch. Sally müsste ihre Frisur neu richten. Die langen blonden Locken waren bei ihrem wilden Wettrennen über die Wiese völlig zerzaust worden. Sie begann, die Haarnadeln herauszuziehen, und ihre lange Mähne umrahmte wild ihre feinen Züge.
Ein leises Kichern kam über ihre Lippen, als sie sich betrachtete. Sie sah wirklich wüst aus. An ihrem Reitkleid hingen Blätter, an ihren Stiefeln klebte Matsch und in ihrer zerzausten Frisur steckte sogar ein Ästchen. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie meinen, sie wäre vom Pferd gefallen. Sie wäre tatsächlich fast gestürzt, als sie durch eine Hecke geritten war, um den Weg abzukürzen und den Picknickbaum vor ihrem Bruder zu erreichen. Dass sie bei ihrer Rückkehr in eine matschige Pfütze getreten war, hatte ihr Erscheinungsbild auch nicht gerade verbessert.
Sie läutete die Glocke, um Sally mitzuteilen, dass sie zurück war. Dann begann sie, ihre ruinierte Jacke auszuziehen. Da sie das Polster auf ihren Stühlen nicht verschmutzen wollte, lehnte sich Miranda an das Fenstersims und wartete auf ihre Zofe.
Der Ausblick aus dem Fenster war atemberaubend. Die gewundenen Wege, die Hecken, Blumenbeete, Bäume und Wiesen vermittelten ihr ein Gefühl des Friedens, das Gefühl, zu Hause zu sein. Sie liebte die ausgedehnten Wiesen, auf denen sie und ihre Geschwister gespielt hatten, den See, in dem sie schwimmen gelernt hatte, und die Zusammenstellung von Sträuchern und Statuen, die ihre Mutter im Laufe der Jahre hatte errichten lassen. Falls es ihr gelingen sollte, in diesem Jahr einen Ehemann zu finden, könnte sie diesen Ausblick, der für sie ein täglicher Trost war, nur noch gelegentlich bei Besuchen genießen.
Darüber hatte sie sich nie zuvor Gedanken gemacht.
Miranda fuhr mit der Hand über die schlichten grünen Brokatvorhänge mit den Rüschenspitzen. Eine interessante Kombination aus verspielten Rüschen und praktischem Brokat. Waren sie und Georgina genauso gegensätzlich?
Griffith war sichtlich schockiert gewesen, als sie ihm verraten hatte, wer auf Georginas Liste stand. Er ahnte nicht, dass sich seine beiden Schwestern für denselben Mann interessierten. Einen Mann, den Miranda nie gesehen hatte. Das verriet, wie intensiv Griffiths Briefe aus dem Internat, in denen er ihr von seinem Freund erzählt hatte, sie beeinflusst hatten.
Miranda war zwar die pragmatischere der beiden Schwestern und verfolgte ganz gewiss nicht die lächerliche Absicht, den Mann dazu zu verführen, sie zu heiraten. Aber eine sorgsam gehütete Truhe mit Briefen, in denen sie diesem Mann ihre tiefsten Gedanken und Gefühle offenbart hatte, ließ auch nicht gerade darauf schließen, dass sie bei Verstand war.
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