Wenn sich die Homologen in der Äquatorialebene anordnen, finden sich die Chromosomen von Mutter und Vater zu Paaren zusammen. Allerdings bleibt es dem Zufall überlassen, auf welcher Seite des Äquators sie sich wiederfinden. So trennt sich jedes homologe Paar unabhängig von jedem anderen homologen Paar. Dies ist das Grundprinzip der Unabhängigkeitsregel, die ich in Kapitel 3und 4behandele.
Nach der Telophase I treten die Zellen in eine Art Zwischenrunde ein, die Interkinese genannt wird (was so viel heißt wie »zwischen Bewegungen«). Die Chromosomen schwellen etwas ab und verlieren ihr markantes Aussehen (die »Würstchenform«), das sie während der Metaphase besitzen. Die Interkinese ist nur eine Ruhephase zur Vorbereitung auf die nächste Meiose-Runde.
Meiose, Teil II: Fortsetzung folgt
Die Meiose II ist die zweite Runde der Zellteilung, an deren Ende das Produkt der Meiose steht: Zellen mit nur einer Kopie jedes Chromosoms. Die Chromosomen komprimieren sich noch einmal zur gewohnten Würstchenform. Vergessen Sie nicht: Die Ausgangszellen haben einen einfachen Chromosomensatz, aber in der Form von Schwesterchromatiden.
Abbildung 2.8: Das Crossing-over produziert während der Meiose neue einzigartige Allelkombinationen.
Während der Metaphase II sammeln sich die Chromosomen wiederum in der Äquatorialebene der Zelle und die Spindelfasern verbinden sich wieder mit den Zentromeren. In der darauf folgenden Anaphase II werden die Schwesterchromatiden (in diesem Fall nicht mehr Chromosomenpaare, sondern die eigentlichen kopierten Chromosomen) voneinander getrennt und zu den entgegengesetzten Polen der Zelle gezogen. Die Kernmembran formiert sich neu um die nun einzelnen Chromosomen (Telophase II). Schließlich teilen sich die Zellen und am Ende des Vorgangs sind vier Zellen mit jeweils einem haploiden Chromosomensatz entstanden.
Mami, wo komme ich eigentlich her?
… von der Gametogenese, mein Schatz! Beim Menschen (und allen anderen Lebewesen, die sich sexuell fortpflanzen) entstehen durch Meiose die Gameten , besser bekannt als Spermien (bei Männern) und Eizellen (bei Frauen). Ist die Gelegenheit günstig, kommen Spermium und Eizelle zusammen, die Eizelle wird befruchtet und ein neues Lebewesen entsteht. Die befruchtete, noch nicht geteilte Eizelle nennt man Zygote . Abbildung 2.9zeigt den Prozess der Gametogenese (die Produktion von Gameten) beim Menschen.
Bei Männern produzieren bestimmte Zellen im Sexualorgan (Hoden) sogenannte Spermatogonien . Die Spermatogonien enthalten noch den kompletten diploiden Chromosomensatz mit 46 Chromosomen. Nach der Meiose I hat sich ein Spermatogonium in zwei sekundäre Spermatozyten geteilt, die je einen Satz homologer Chromosomen in Form von Schwesterchromatiden enthalten. Nach einer weiteren Teilung (Meiose II) entstehen vier Spermatiden , die später zu den Spermien werden. Die Spermatiden sind haploid, sie tragen also nur 23 Chromosomen. Weil Männer ein X- und ein Y-Geschlechtschromosom besitzen, enthält die eine Hälfte der Spermien (Männer produzieren wortwörtlich Millionen Spermien) ein X-Chromosom und die andere Hälfte ein Y-Chromosom.
Die Eizellenproduktion bei der Frau läuft ähnlich wie die Spermienproduktion beim Mann. Der größte Unterschied zwischen der Spermien- und Eizellenproduktion ist, dass bei der Meiose der Eizellen nur eine befruchtungsfähige, haploide Eizelle entsteht anstatt der vier Spermatiden. Die anderen Zellen werden zu Polkörperchen, die an der Eizelle haften, aber nicht befruchtet werden können und absterben. Da Frauen zwei X-Chromosomen besitzen, haben alle Eizellen ein X-Chromosom.

Abbildung 2.9: Die Gametogenese beim Menschen
Warum werden bei Frauen nur eine befruchtungsfähige Eizelle und drei Polkörperchen produziert anstelle von vier voll funktionsfähigen Eizellen? Eizellen benötigen viel Zytoplasma, das die Zygote zwischen Befruchtung und Einnisten in der Gebärmutter ernährt, bis dann der Embryo über die Plazenta der Mutter versorgt wird. Die einfachste Methode, möglichst viel Zytoplasma in eine Eizelle zu bekommen, ist, dieses den anderen drei Zellen vorzuenthalten.
Kapitel 3
Erbsenzählen: Wir entdecken die Vererbungsregeln
IN DIESEM KAPITEL
Wertschätzung: die Arbeit Gregor Mendels
Verstehen: Vererbung, Dominanz und Trennung der Allele
Wahrscheinlichkeitsrechnung: Lösung einfacher genetischer Probleme
Alle Merkmale eines Lebewesens lassen sich zu seinen Genen zurückverfolgen. Welche Farbe hat das Fell Ihrer Katze oder Ihres Hundes? Wie groß sind Sie? Haben Sie Haare auf den Fingerrücken? Können Sie Ihre Zunge rollen oder falten? All das und noch viel mehr wird durch Gene bestimmt, die von Eltern an ihre Nachkommen weitergereicht werden. Denken Sie nur an die erste Frage, die fast jeder stellt, wenn er ein Neugeborenes sieht: »Kommt es mehr nach Mama oder Papa?«
Die Regeln der Vererbung wurden vor weniger als 200 Jahren entdeckt. Um 1850 beobachtete Johann Gregor Mendel, ein österreichischer Mönch, während der Gartenarbeit das Wachstum seiner Erbsen und leitete daraus Stück für Stück die grundlegenden Regeln der Vererbung ab, die heute noch ihre Gültigkeit besitzen. Mendel selbst wusste allerdings gar nichts über Mitose oder Meiose, als er die Vererbungsregeln formulierte.
Im Garten mit Gregor Mendel
Schon Jahrhunderte, bevor Mendel seine erste Erbse pflanzte, hatten die Gelehrten und Wissenschaftler darüber diskutiert, wie Vererbung funktioniert. Es war offensichtlich, dass irgendetwas von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben werden muss, denn einige Krankheiten oder Persönlichkeitsstrukturen tauchten immer wieder innerhalb einer Familie auf. Und jeder Bauer wusste, wenn er Pflanzen oder Tiere mit besonders geschätzten Eigenschaften kreuzte, konnte er zum Beispiel Mais mit höheren Erträgen erhalten oder Kühe, die mehr Milch produzierten. Aber wie die Vererbung funktioniert, blieb lange ein Geheimnis.
Gregor Mendel war von Natur aus neugierig. Als er durch den Garten seines Klosters wanderte, sah er, dass seine Erbsenpflanzen alle unterschiedlich aussahen. Einige waren groß, andere klein. Einige hatten grüne Samen, die anderen gelbe. Mendel fragte sich, was wohl die Unterschiede hervorrufen könnte, und entschloss sich, eine Reihe kleiner Experimente durchzuführen. Er wählte sieben Merkmale der Erbsenpflanzen für seine Experimente aus (siehe Tabelle 3.1).
Merkmal |
Gewöhnliche Form |
Ungewöhnliche Form |
Samenfarbe |
gelb |
grün |
Samenform |
rund |
runzelig |
Farbe der Samenschale |
grau |
weiß |
Farbe der Erbsenhülse |
grün |
gelb |
Form der Erbsenhülse |
gewölbt |
eingeschnürt |
Pflanzenhöhe |
groß |
klein |
Blütenstellung |
am Stängel verteilt |
an der Stängelspitze |
Tabelle 3.1: Die von Mendel untersuchten sieben Merkmale bei Erbsenpflanzen
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