Ich schlucke meinen Ärger hinunter, verschränke aber die Arme vor der Brust. »Du kriegst deine Chance. Aber wir sollten uns nicht sehen. Mach Ausflüge mit Max, schreib ihr Nachrichten, was weiß ich. Es ist mir reichlich egal, was du tust, um ihre Zuneigung zu gewinnen. Aber deine Nähe ertrage ich nicht.«
Jaakko sieht mich an und nickt. Er scheint etwas sagen zu wollen, doch dann entschließt er sich wohl dagegen. Langsam schiebt er den Stuhl zurück und erhebt sich. »Wenn du irgendetwas brauchst …«
Ich schüttele demonstrativ den Kopf. Ihn hätte ich gebraucht. Vor 16 Jahren. Jetzt brauche ich ihn nicht mehr, ich habe Dennis. Mühsam unterdrücke ich ein Schluchzen. Denn das, was ich tatsächlich brauche, erlaube ich mir nicht. Dennis gibt mir viel, aber nicht die Liebe, deren zarte Berührung ich gerade kosten durfte. Und die darf ich mir nicht gestatten. Wie könnte ich Dennis’ Zuneigung derart mit Füßen treten? Ich weiß, wenn ich es wollte, würde Jaakko sofort mit mir durchbrennen. Doch wir haben eine Verantwortung gegenüber Max … und an Malin habe ich in den letzten Minuten überhaupt nicht gedacht! Oh Gott, nein, ich darf mich nicht gehenlassen. Meinen Töchtern zuliebe.
»Ich geh dann«, murmelt er, als ich nicht gleich antworte. Er wendet sich zum Gehen, aber ich halte ihn mit einer Geste auf. So schnell kann ich ihn dann doch nicht entkommen lassen. Die Alkoholfrage ist immer noch nicht geklärt.
»Wie viel trinkst du noch?«
Abrupt bleibt Jaakko in der Tür stehen und dreht sich zu mir herum, sein Blick verhärmt und vielleicht sogar etwas zornig. Als er nicht gleich antwortet, gibt er mir Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten. Sein kleiner Bauch ist vollkommen verschwunden und seine schmalen Schultern stecken in einer lässigen graubraunen Lederjacke. Die Hosen betonen seine schlanken Hüften. Er hat definitiv abgenommen, also muss er schon eine ganze Zeit nichts mehr trinken oder zumindest seinen Konsum stark eingeschränkt haben. Damals waren zehn bis zwölf Bier pro Tag kein Problem und man sah es ihm kaum an.
»Nichts, überhaupt nichts mehr, seitdem Kreeta mich verlassen hat.« Ich zucke unwillkürlich zusammen. Das also hat er mit ›zweiter Familie‹ gemeint. Ich dachte, er bezog das auf uns, aber offensichtlich hat er ebenfalls geheiratet.
»Ich wusste nicht, dass du …«
Jaakko seufzt und lehnt sich lässig gegen den Türrahmen. Seine Schultern verkrampfen sich und er scheint abzuschweifen. »Ich war verheiratet. Kurz nachdem du weggelaufen bist, habe ich Kreeta kennengelernt und vom Fleck weg geheiratet. Sie hat mir über dich hinweggeholfen und wir haben einen Sohn zusammen. Kimmi ist jetzt zwölf und lebt bei seiner Mutter.« Er löst sich vom Türrahmen und lässt sich wieder auf der Eckbank nieder. Die Hände auf den Tisch gestützt, fährt er fort: »Wir hatten über die Jahre hinweg viel Stress mit den Pain Guys und ich bin vor etwa acht Jahren herausgeflogen.«
»Alkohol?« Ich will ihn eigentlich nicht unterbrechen, aber die Frage drängt sich mir beinahe schmerzhaft auf.
Jaakko nickt. »Mit ein paar Bierchen im Blut kann man noch ganz gut auf der Bühne stehen, wenn man dazu aber eine Flasche Wodka hinterherkippt und sich dann nicht einmal mehr an den Liedtext erinnern kann, müssen Konsequenzen folgen. Ich habe den Konsum eingeschränkt, aber aufhören konnte ich nicht. Meine neue Band hat mich ziemlich schnell verpflichtet und ich habe mein Problem tatsächlich eine Zeitlang verbergen können. Damals wusste ich noch nicht, dass ich nicht mehr aufhören konnte.«
»Die gleiche Gruppe von gestern?«
Jaakko lächelt. »Ja, ich habe ähnlich mit dem Alkoholkonsum angefangen wie bei den Pain Guys. Damals war ich noch nicht trocken. Der Stress hat mich zur alten Höchstform getrieben. Leider hätte das beinahe die Band zerstört. Jesse, Merja, Tenho und Matti sind allerdings zu so guten Freunden geworden, dass sie mich nicht einfach aufgeben wollten. Zusammen haben wir meine Abhängigkeit besiegt. Sie verzichten mir zu Liebe auf alles mit Prozenten.« Jaakko lächelt erneut, als er an seine Bandkollegen denkt. »Doch die Ehe mit Kreeta hat das nicht überlebt. Vielleicht war nicht nur der Alkohol der Grund für unsere Trennung.« Dabei sieht er mich an und ich zucke zusammen.
»Jaakko …«, mache ich leise und versuche, ihn damit an die Regeln zu erinnern.
»Man wird wohl noch etwas sagen dürfen«, brummt er. »Aber gut, du hast deinen Standpunkt klargemacht und weißt jetzt, dass ich clean bin. Ich werde Max keiner Gefahr aussetzen.«
Ich nicke dankbar, dennoch bin ich unsicher, ob ich sie zu ihm lassen kann. »Was hältst du davon, wenn ihr vielleicht erst einmal telefoniert und sie in ein paar Wochen einen Ausflug mit dir macht?«
Jaakko seufzt. »Du willst es also richtig langsam angehen lassen?«
»Sorry, ich muss mich erst einmal an den Gedanken gewöhnen. Du willst es doch richtig machen, also schauen wir, wie viel wir vertragen können.«
Er beugt sich meinem Vorschlag, obwohl er sich eigentlich etwas anderes vorgestellt hat. »Ich dachte, ich könnte heute Abend vielleicht mit Max etwas essen und reden …«
Ich dachte eher, sein Terminplan würde ein so zeitnahes Treffen nicht zulassen. Aber da hatte ich mich wohl getäuscht. Ich schüttele heftig den Kopf. Doch meine Tochter steht in der Tür und stimmt begeistert zu, bevor ich überhaupt antworten kann. »Das wäre richtig klasse!«, freut sie sich.
Max hat Malin an der Hand und der Wirbelwind stürmt direkt auf Jaakko zu und klettert ihm strahlend auf den Schoss. So ist sie halt, sie fragt nicht, sondern übernimmt einfach das Zepter.
Perplex starrt Jaakko in die braunen Kulleraugen meiner Fünfjährigen. »Du hast noch eine Tochter?«
Ich lache leise. »Ja, und sie ist Dennis wie aus dem Gesicht geschnitten.« Warum ich diese Spitze hinzufüge, ist mir nicht klar. Vielleicht, um Jaakko erneut zu verdeutlichen, dass für ihn in meinem Leben kein Platz mehr ist. Er sieht mich traurig an und nickt.
»Verstehe.« Doch Malin versteht nicht. Sie schlingt ihre Arme um ihn und fordert ihn lautstark auf, ihr etwas vorzusingen. Oh Gott, bitte nicht!
»Jaakko kann gar nicht singen«, wehre ich ab und will sie von seinem Schoss pflücken. Doch Malin schüttelt vehement den Kopf und ihre Kleinkind-Zöpfchen wirbeln Jaakko durchs Gesicht.
Er lacht und gibt sich sofort geschlagen. Er schlägt eine kleine, finnische Kinderweise an.
Malin versteht kein einziges Wort, aber sie klatscht begeistert den Rhythmus mit.
Mir kriecht ein Schauer über den Rücken und ich entschuldige mich hastig. Die altbekannte Panik überkommt mich und ich verlasse fluchtartig die Küche. Der Schweiß bricht mir in Strömen aus und ich stürme heftig atmend die Treppen hinauf. Bitte, bitte nicht singen! Meine Selbstbeherrschung ist dahin und ich lehne zitternd an der Wand am oberen Treppenabsatz, als Dennis aus dem Kinderzimmer kommt.
»Was ist los?«
Ich winke lässig ab, doch mein Mann kennt mich zu gut, als dass er sich von dieser halbherzigen Geste beeindrucken lassen würde. Er lauscht den Geräuschen aus der Küche und verdreht danach die Augen. »Okay, das war wohl doch zu viel für dich.« Er nimmt mich in die Arme und drückt mich an sich. Ich fühle mich innerlich total zerrissen. Nach außen hin will ich selbstsicher wirken und für meine Kinder stark sein, aber Jaakkos Auftauchen hat meine aufgesetzte Selbstsicherheit zunichte gemacht.
»Aber du hast dich richtig gut gehalten. Immerhin heult keiner und ihr habt alle noch eure Körperteile. Und niemand ist abgehauen.« Dennis lacht leise. »Ich finde, das ist eine deutliche Verbesserung zu heute Morgen.«
Ich würde meinem Mann gerne zustimmen, aber ich kann kaum atmen. Nur sein beruhigender Herzschlag lässt mich langsam wieder zu Besinnung kommen.
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