Was mir allerdings meine schlechte Laune verhagelt, ist nicht seine Frisur, denn er hat sich im Nacken einen zweckmäßigen Zopf gebunden. Ich muss erneut grinsen. Jaakko sieht kurz von Max auf. »Ich brauche sie, guck nicht so dämlich!«, schnarrt er und schiebt die Brille ein Stückchen höher.
»Wirst du etwa alt?«
»Niemals«, negiert er und steckt die Brille wieder weg. Er hat sie anscheinend nur herausgeholt, um Max genau ansehen zu können. »Ich brauche sie nur ab und zu.«
»Steht dir«, grinse ich zurück und halte mich wieder an meiner Tasse fest. Jaakko mit Brille zu sehen, hat meine Stimmung aufgehellt, die Panik ist aber nicht verschwunden. Sie lauert in meinem Hinterkopf und wartet auf ihre Chance.
»Fast Sechzehn«, schaltet sich Max wieder ein und Jaakko mustert sie nachdenklich, bevor er sich wieder mir zuwendet. Das Geschrei aus dem oberen Stockwerk ignorieren wir. Dennis baut mit Malin an ihrer Ritterburg herum. Sie hat ein paar neue Drachen zum Geburtstag bekommen und die entführen jetzt höchstwahrscheinlich irgendeine Plastikfigur. Was auch immer.
»Ich werde im November sechzehn. Also in zwei Monaten.«
Jaakko schüttelt den Kopf. Er braucht nicht zu rechnen, die Daten liegen weit ausgebreitet vor seinem inneren Auge. Max ist irgendwann im Frühling vor sechszehn Jahren entstanden und es war Sommer, als ich meinen Entschluss gefasst habe, ihn endgültig zu verlassen. Weil der Alkohol zu einem massiven Problem geworden war, das er einfach nicht begreifen wollte.
»Warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte …« Seine Stimme versiegt für einen kurzen Moment. »Kein Wort? Nicht einmal ein Anruf, was los ist? Wenn ich es gewusst hätte, dass du schwanger …« Plötzlich sieht er richtig alt aus. Und erschöpft. Die Konzerte steckt er nicht mehr problemlos weg. Auch wenn er - wie er behauptet - auf den Alkohol verzichtet, schlauchen ihn die Auftritte deutlich.
Ich starre schweigend in meine Tasse und bringe kein Wort heraus. Seine Nähe ist zwar nicht so überwältigend wie gestern Abend, aber dennoch fühle ich mich unwohl. Einerseits freue ich mich, ihn zu sehen, andererseits habe ich schreckliche Angst vor den Auswirkungen. »Was willst du jetzt tun?«
Jaakko beugt sich vor und seufzt. »Ich weiß nicht, was hast du denn vor, Max? Du hast mir eure Adresse nicht ohne Grund gegeben.«
Meine Tochter scheint mit sich zu ringen. Ihre Wangen glänzen feucht und die Aufregung steckt ihr deutlich sichtbar in den Knochen. »Ich wollte …«, beginnt sie, doch dann versagt ihre Stimme.
»… was wolltest du, Schatz?«
Max sieht mich plötzlich an, ihre Augen schwimmen in Tränen. »Ich wusste ja nicht, wer er ist und ich dachte, wenn du ihn näher kennst, wäre das schon cool. Eine solche Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen.“ Sie schluchzt leise. „Jetzt tut es mir leid. Ich wollte dir nicht weh tun, Mama. Ich weiß echt nicht, was mich da geritten hat. Aber wenn er doch mein Papa ist, muss ich ihn doch kennenlernen dürfen, oder?« Und plötzlich ist sie wieder ein Kind. Auf der Schwelle zum Erwachsenwerden und dennoch handelt sie, ohne die Konsequenzen ihres Tuns zu bedenken. Dennis hat unrecht, sie ist noch nicht so weit und ich muss sie beschützen. Jaakko ist mir da keine große Hilfe. Ich glaube, er ist nie erwachsen geworden.
»Natürlich darfst du ihn kennenlernen. Aber ich denke, es wäre für alle das Beste, wenn wir es langsam angehen lassen, ja?« Will ich das überhaupt? Passiert hier nicht gerade genau das, was ich die letzten fünfzehn Jahre vermeiden wollte? Jaakko hat behauptet, er würde keinen Tropfen mehr anrühren und genau das sollte ich überprüfen, bevor ich ihm meine Tochter anvertraue. Begleiten kann ich sie nicht, unmöglich. Ich kann nicht noch mehr Zeit in seiner Nähe verbringen.
Ich war ihm gestern Abend schon hemmungslos verfallen und ich bezweifle, dass ich ihm hätte widerstehen können, wenn er es darauf angelegt hätte. Vielleicht sollte ich ein paar grundlegende Regeln aufstellen, aber nicht vor meiner Tochter.
Max nickt begeistert auf meinen Vorschlag und wischt sich die Tränen weg. Ich bezweifle allerdings, dass sie eine Vorstellung davon hat, was ›langsam angehen lassen‹ für mich bedeutet.
»Wie sieht denn dein Terminplan aus? Kannst du ein paar Tage für Max erübrigen? Du hast doch bestimmt schrecklich viel zu tun?«
Max’ Züge entgleisen, als ich mich mit der tatsächlichen Umsetzung einer näheren Bekanntschaft an Jaakko wende.
Er zuckt mit den Schultern. »Mein Flug geht gegen Mitternacht, ich habe mich umbuchen lassen, muss aber spätestens morgen in Helsinki sein. Wir haben einen Termin mit der Plattenfirma, dann folgen die Vorbereitungen für die Weihnachtskonzerte, ich muss ins Studio für das neue Album und …«
Max’ Unterlippe bebt und sie scheint um Fassung zu ringen. Doch sofort übernehmen ihre Teenagerhormone gnadenlos die Kontrolle: Zornig springt sie auf. »Wenn du keine Lust auf mich hast, sag’ es ruhig!« Wütend rauscht sie davon und stürmt ins obere Stockwerk. Beim Knall ihrer Zimmertür zucken wir zusammen. Es fühlt sich an, als hätte sie mich damit geschlagen.
»Autsch«, mache ich und rolle mit den Augen.
»Was war denn das?« Jaakko sieht perplex zur Tür hinaus, als erwarte er, dort eine Erklärung für Max’ Verhalten zu finden.
»Das, mein Lieber, war das dünne Gerüst jugendlicher Beherrschung. Sie kriegt sich wieder ein.« Ich atme tief durch, denn ich muss ein paar klärende Worte an ihn richten, solange wir alleine sind. »Hör zu, wenn das hier funktionieren soll – und ich glaube nicht, dass es das tut – musst du dich an ein paar Regeln halten.«
Jaakkos Kopf fährt herum und er sieht mich angestrengt an. Er legt eine beängstigende Ernsthaftigkeit an den Tag, als sei er tatsächlich bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ich kann das nicht glauben. Er war immer ein Tagträumer, hat nie vorausgedacht und ständig seine sprunghaften Ideen ausgelebt. Ihm Max mit all ihren Eskapaden und Stimmungsschwankungen anzuvertrauen, erscheint mir unmöglich. Und dann merke ich, wie ähnlich sie sich sind. Manchmal ist Max sehr einfühlsam und geht liebevoll auf mich ein, vor allem, wenn sie merkt, dass es mir nicht gut geht. Aber genauso gut kann sie auch wie ein Vulkan explodieren. Ein Ebenbild von Jaakko. Zwei sehr temperamentvolle Menschen. Zusammen wären sie ein hochexplosives Gemisch.
»Welche Regeln?«, holt er mich aus meinen Gedanken. Er greift nach meiner Hand und verschränkt seine Finger mit meinen. Perplex sehe ich auf seine Streicheleinheiten, als wolle er mich mit Berührungen um den Finger wickeln.
»Das zum Beispiel«, knurre ich und ignoriere das aufgeregte Pochen meines Herzens. Sein Daumen hinterlässt eine Spur heißen Verlangens. Ruckartig entwinde ich mich seinen Händen.
Sein Mundwinkel zuckt.
»Du darfst nicht mit mir flirten. Ich habe kein Interesse mehr an dir!«
Er zwinkert mir zu und scheint allen Ernstes vergessen zu haben, wo er sich befindet. »Tatsächlich? Ich glaube, du brennst nur darauf, mit mir …«
»Jaakko Salmela!«, fahre ich ihn an. »Weswegen bist du hier? Willst du deine Tochter kennenlernen oder ihre Familie zerstören? Ich bin mit Dennis verheiratet! Er hat sich um Max und mich gekümmert, während du betrunken unter irgendeinem Tisch lagst! Also wage es ja nicht, dich an mich heranzumachen, sonst war’s das und du kannst dir deine Tochter aus dem Kopf schlagen!«
Jaakko senkt schuldbewusst den Kopf. »Entschuldige, es ist nur so, dass ich kaum an mich halten kann. Ich will es. Ja, ich will Max kennenlernen …« Er beißt sich auf die Unterlippe und sieht mich wehleidig an. »Ich habe bereits eine Familie verloren; zwei … und ich will es einmal richtig machen.« Er ringt sichtlich um Fassung. »Ich kriege diese Chance nicht noch einmal, verstehst du?«
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