»Fühlst du den Grunge?«, fragte er mit geschlossenen Augen und wiederholte den tiefen Akkord. Seine Finger ließen eine weitere Saite erklingen. Ich lag auf dem Bauch im Bett seines Hotelzimmers und beobachtete hingerissen seine Hingabe. Wie er leidenschaftlich immer wieder den eingängen Akkord wiederholte, ihn veränderte und erneut spielte.
Schließlich legte Jaakko sich die dunkelbraune Bassgitarre quer über die Oberschenkel und drehte an den vier Regeln auf dem Gehäuse herum. Seine Mundwinkel zuckten, während er erklärte: »Mit den Reglern stimme ich die einzelnen Saiten und mit der Box kann ich Dutzende von Modulationen einstellen, eine Oktave hinzufügen, einen tieferen Grunge ausprobieren. Ich mag den Vampire ganz gerne zusammen mit dem Board von Roland , aber für Konzerte ist das nichts. Eher zum Herumspielen im Studio, wenn du verstehst, was ich meine?« Er hob den Kopf und sah mich fragend an.
Ich lachte verträumt. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Aber mach nur weiter, ich kann dir stundenlang zuhören.«
Jaakko hob eine Augenbraue und beugte sich vor. »Ich versuche dir die Feinheiten meiner Musik zu erklären und du …«
Ich grinste. »Tut mir leid, es gefällt mir so oder so, was du spielst. Unterschiede nehme ich überhaupt nicht wahr.« Ich räkelte mich in den Laken. »Du kannst mir auch ein Kochrezept vorlesen. Mir völlig egal, Hauptsache du tust es.« Ich streckte mich und seufzte wohlig.
Jaakko beugte sich vor und griff nach dem Laken. »Sollen wir lieber damit weitermachen? Davon verstehen wir nämlich beide etwas.«
Quiekend griff ich nach der Bettdecke und zog sie mir bis zum Kinn. »Ich weiß nicht, sing lieber noch etwas für mich, ja?« Der Klang seiner Stimme jagte mir heiße und kalte Schauer den Rücken hinunter. Sie hüllte mich in einen Kokon aus Hingabe und trug mich davon. Ich brauchte nichts weiter außer ihn und fühlte mich absolut geborgen. Besser war nur noch der Sex. Er war unglaublich einfühlsam, leidenschaftlich und sehr zurückhaltend. Und während ich mich von der ersten Runde erholte, hatte er mich gefragt, was er tun soll.
»Spiel für mich«, war meine einzige Antwort gewesen. Ich genoss es, ihm zuzuhören und ihn dabei einfach nur ansehen zu dürfen. Mein Herz flog ihm zu, sobald er die Saiten erklingen ließ und wenn er dazu noch sang, war ich verloren.
Jaakko sah mich ernst an. »Ich würde lieber auf dir spielen.« Er nahm die Gitarre von seinem Schoß und lehnte sie vorsichtig an den kleinen Tisch, auf dem er das Modulationsboard abgelegt hatte. Zärtlich wanderten seine Finger ein letztes Mal über die Saiten und entlockten ihnen einen tiefen Ton, bevor er sich mir zuwandte.
»Du machst noch viel schönere Töne«, murmelte er, erhob sich und setzte sich zu mir aufs Bett. Ich folgte gebannt seinen Bewegungen. Er beugte sich über mich und löste langsam die dünne Bettdecke von meinem Körper. Als er in Höhe meiner Hüfte ankam, entriss er mir das Laken mit einem kräftigen Ruck. Er grinste zufrieden, als ich mich entblößt danach ausstreckte.
»Das ist unfair!«, beschwerte ich mich und zog mich hastig ans Kopfende zurück. Jaakko ließ seinen Blick genüsslich über meine Nacktheit schweifen und leckte sich gierig über die Lippen.
»Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, meine Süße.« Er warf das Laken hinter sich und kam langsam auf mich zu.
Gebannt beobachtete ich seine Bewegungen. Als er meinen Fuß ergriff und sanft an meinen Waden nach oben wanderte, schloss ich die Augen und lehnte mich zurück.
Seine Berührungen waren sehr vorsichtig. Der Spur, die seine Finger zeichneten, folgte seine sanfte Zunge, die sich Stück für Stück über mein Bein nach oben leckte. Ich rutschte tiefer und spürte seine Hände kräftig zupacken. Diese behutsamen Finger, die noch vor wenigen Augenblicken den Saiten der Gitarre wundervolle Töne entlockten, ließen mich nun aufgeregt quietschen.
»Was tust du da?«
Jaakko zog mich mit einem Ruck auf die Matratze und drückte meine Knie auseinander. Im nächsten Augenblick verschwand sein blonder Schopf zwischen meinen Beinen und ich wusste nur noch eines: Er war der Richtige und ich würde ihn nie wieder gehen lassen.
***
Während der Autofahrt schweigen wir uns an. Max verzieht sich zu Eve auf die Rückbank und beide starren wortkarg in ihr Handy. Wenn sie reden, reden sie nicht mit mir. Ist auch besser so. Mein Nervenkostüm ist reichlich brüchig und ich brauche einen Großteil meiner Konzentration für den Verkehr.
Max und Eve haben sich auf mein Geständnis hin in regelrechte Wirbelwinde verwandelt und die Zimmer innerhalb von zehn Minuten geräumt. Ich habe mich kaum bewegt, ein Wunder, dass ich nicht im Pyjama aus dem Hotel marschiert bin.
Jaakko haben wir zum Glück nicht gesehen und ich danke Max auf Knien, dass sie ihre Sticheleien aufgegeben hat. Aber ich weiß genau, dass darüber noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Sie erwartet eine Erklärung. Ich lache innerlich auf und drossele das Tempo, um mich hinter einem LKW einzuordnen. Für rasante Überholvorgänge fehlt mir heute die Konzentration.
»Wollt ihr etwas Musik hören?«, werfe ich fragend in Richtung Rückbank und ernte zustimmendes Gemurmel.
Max reicht mir eine CD nach vorne und ich schiebe sie in den Player. Ich achte nicht auf das Cover, da es sich um ein selbstgebranntes Exemplar handelt. Vor der Fahrt habe ich die Mädchen gebeten, für geeignete Musik zu sorgen, weil ich sonst nur Deutschlandfunk hören würde. Als die ersten Akkorde erklingen, fahre ich zusammen.
Empört werfe ich einen Blick zu meiner Tochter und sie zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Ist doch kein Wunder, dass ich seine Musik mag, oder?« Sie versucht sich an einem neutralen Tonfall, doch der gereizte Unterton entgeht mir nicht. Wir müssen dringend reden, aber nicht hier im Auto und nicht mit Eve als Multiplikator. Ich hoffe, sie hat den Ernst der Lage erfasst und verteilt die Sensation nicht mit der Gießkanne.
Obwohl wir keine heiklen Gesprächsthemen anreißen, ist die Fahrt nach Hause für mich der reinste Albtraum. Jaakkos Stimme, die aus den Boxen dringt, sticht mir mit jedem Wort einen Dolch in den Rücken. Sie klagt mich regelrecht an, was ich ihm und Max angetan habe. Vorwurfsvoll schmettert er ein paar Töne in ungeahnten Höhen und ich zucke zusammen. Jede Silbe brennt sich wie glühende Lava in mein Bewusstsein. Irgendwann merke ich sogar die Tränen, die lautlos über meine Wangen laufen. Was habe ich getan?
Ich habe eine Scheinwelt errichtet, um mein Kind in Watte gepackt aufziehen zu können, das habe ich getan. Das Verwerfliche daran ist, die Wahrheit so lange geheim gehalten zu haben.
Als wir Eve absetzen, ist die Stimmung so eisig, dass ich dem Mädchen nicht einmal ein paar Worte abringen kann. Eves Mutter schaut gut gelaunt zu mir ins Auto und fragt, warum wir schon zurück sind. Doch ich zucke nur abweisend mit den Schultern.
»Mom geht’s nicht gut«, erwidert Max und klettert auf den Beifahrersitz.
»Oh, ich hoffe nichts Ernstes?« Ich bin mit Eves Mutter zur Schule gegangen, wir sind quasi zusammen aufgewachsen. Wir kennen uns schon so lange, dass sie innerhalb von Sekunden die angespannte Stimmung begreift. Nachdenklich sieht sie mich an und nickt.
»Nichts Ernstes«, spule ich die Worte herunter, die man in solchen Situationen eben sagt. Doch an ihrem Blick merke ich, dass sie mir nicht glaubt.
»Ruf an«, murmelt sie und wendet sich ab. Jedes weitere Wort wäre überflüssig. Ich musste erst einmal alles verarbeiten. Ich würde nicht die richtigen Worte finden, um zu beschreiben, was in mir vorgeht. Später vielleicht. Vielleicht auch nie. Darin habe ich ja Übung, schweigen, bis man zerbricht.
Als wir zu Hause auf den Hof biegen, hechtet Max aus dem Auto und flieht in ihr Zimmer. Mein Mann kommt aus dem Haus und sieht ihr verständnislos hinterher. »Kein gutes Konzert?«
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