1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 »Hey, hey«, protestierte Jaakko und beugte sich vor, um mich aufzuhalten. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich würde nie etwas tun, was du nicht willst.« Er lächelte mich so liebevoll an, dass die Gedanken an ein Entkommen wie weggeblasen waren. Ich spürte seinen Atem auf meinen Wangen. Sein Duft hüllte mich ein, genauso wie links und rechts seine Arme. Unsere Lippen waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Wie im Büro vorhin, als er mich aufgehalten hatte. Dass er mir erneut die Flucht verweigerte, fiel mir gar nicht auf. Ich sah nur seine Lippen vor mir. Und dann gab ich dem Drang nach und kam ihnen einige Millimeter entgegen.
Jaakko schien nur auf mein Signal gewartet zu haben und überbrückte die restliche Distanz, die uns noch trennte, mit einem tiefen Seufzer.
Bei der ersten zaghaften Berührung katapultierten mich seine Lippen ins Nirvana. Die wenigen Millimeter durchbrachen eine kilometerdicke Eisschicht.
Als wir uns schließlich voneinander lösten, lächelte Jaakko verträumt und strich mit dem Daumen über meine Unterlippe. »Keine Flucht?«
Ich schüttelte den Kopf und hing noch immer an seinen Lippen. »Aber ich muss wirklich zum Training.«
Jaakko nickte und rutschte wieder auf den Fahrersitz. »Ich bringe dich hin und vielleicht können wir danach noch ein wenig zusammen … schwimmen?«
Das Schwimmtraining wurde zu meiner persönlichen Folter. Ich konnte mich kaum auf meine Technik konzentrieren, so lange Jaakko am Beckenrand hockte und mich beobachtete. Jedes Mal, wenn ich den Kopf zum Luftholen aus dem Wasser hob, glitt mein Blick zu ihm und unsere Augen begegneten sich. Dass ich dabei unweigerlich an seiner scheußlichen Badehose vorbeimusste, machte mein Dilemma nicht gerade besser.
Einsam zog ich meine Bahnen und fieberte dem Ende der Einheit entgegen.
Coach Ella warf Jaakko immer wieder giftige Blicke zu. Sie hasste es, wenn jemand ihren Unterricht störte. Dazu zählten nicht nur Freunde und Bekannte, die ihre Schützlinge begleiteten. Genauso hatte sie andere Badegäste auf dem Kieker.
Schlussendlich hatte sie dann doch Erbarmen mit uns und beendete das Training ohne die Strafrunden, weil wir - sie warf mir bei ihrer Bewertung wissende Blicke zu - unsere Zeiten nicht erreicht hatten. Schuldbewusst senkte ich den Kopf, ließ die Strafpredigt zum Thema Pflichtbewusstsein über mich ergehen und gelobte innerlich, Jaakko auf gar keinen Fall wieder mitzubringen. Ich hätte Coach Ella wohl kaum überzeugt, wenn ich beteuerte, ihn unmöglich abschütteln zu können. Sei es drum. Das Training war endlich vorbei und ich wartete noch ein paar Augenblicke, bis meine Freundinnen und Coach Ella die Schwimmhalle verlassen hatten. Schweigend sah ich ihnen hinterher und fühlte mich plötzlich wie die Jungfer am Pfahl, die auf den Drachen wartete, der sie auffressen wollte.
»Frierst du nicht?«, raunte der Drache und legte mir ein Handtuch um die Schultern.
In der Tat zitterte ich aufgeregt, doch eher seinetwegen. Ich schüttelte den Kopf und beobachtete Coach Ella, die mich durch die Glastür ansah. Ich fühlte mich zwischen Pflichtbewusstsein und dem Wunsch, einfach das zu tun, wonach mir der Sinn steht, hin und hergerissen. Einerseits verkörperte Jaakko genau diesen Wunsch, alle Grenzen, die ich mir vielleicht sogar selbst auferlegt hatte, zu sprengen. Auf der anderen Seite fühlte ich mich gerade durch diese Grenzen und vielleicht auch die Erwartungen der anderen eingeengt. Ich wollte so gerne frei sein und der Versuchung nachgeben.
Die Blicke von Coach Ella verkörperten genau das: die Erwartungen der anderen. Einen Augenblick lang glaubte ich, dass sie zurückkommen und mich retten würde, aber genauso schnell war der Gedanke verflogen und sie wandte sich ab. Warum sollte sie mich auch retten? Ich war alt genug, selbst auf mich aufzupassen. Ob sie wusste, wie alt er war? Wohl kaum, denn wenn Coach Ella eine Ahnung gehabt hätte, würde sie mich aus der Halle schleifen und Jaakko in hohem Bogen ins Wasser befördern.
Bei der Vorstellung, wie er wild rudernd ins Wasser klatschte, musste ich auflachen.
»Was?«, machte er und drehte mich zu sich herum. Als mein Blick auf die Badehose fiel, prustete ich erneut.
Jaakko zuckte hilflos mit den Schultern. »Die hatten in dem Laden an der Kasse nichts anderes.«
Ich deutete auf die großen, gelben Sonnenblumen seiner Shorts. »Das glaube ich dir nicht. Mit Sicherheit hätte es eine hübschere Badehose gegeben, aber du wolltest albern aussehen, oder?«
Seine Mundwinkel zuckten. »Erwischt.« Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze. »Aber wenn es dich zum Lachen bringt und deine Nervosität vertreibt, mache ich mich gerne zum Gespött.«
Meine heitere Stimmung verflog. Es lag aber nicht daran, weil Jaakko sich gerne meinetwegen zum Affen machte.
»Mission erfüllt«, murmelte ich abwesend, den Blick starr auf seine nackte Brust gerichtet. Sie vibrierte sanft, als er lachte. Jaakko war kein Muskelmann und ein paar Fitness-Einheiten täten ihm gut. Aber ich mochte ihn so wie er war. Ich mochte seinen schmalen Körperbau, seine drahtigen Oberarme. Überhaupt liebte ich den leichten Bauchansatz über der lächerlichen Badehose. Meine Hand legte sich auf seinen Oberkörper und ich verlor mich in der Betrachtung seiner hellen Behaarung. Sie war nicht richtig blond; eher rötlich und daher viel dunkler als sein Haupthaar.
Dabei fuhr ich spielerisch über seine nackte Haut und merkte gar nicht, wie er die Arme um mich legte und mich an sich zog. Sein Atem ging ruhig, aber er zuckte leicht unter meinen Berührungen zusammen.
Irgendwann holte er tief Luft: »Möchtest du noch mit mir schwimmen?«, fragte er in die schier endlose Stille, die nur noch vom Rauschen der Filteranlagen durchbrochen wurde. »Falls du nicht zu müde bist«, setzte er spöttisch hinzu.
Ich hob das Kinn. Er grinste mich an. »Wenn du dich in dem Ding überhaupt ins Wasser traust«, entgegnete ich und löste das Handtuch von meinen Schultern.
»Mhhhh«, machte er und ließ seinen Blick über mich in meinen schwarzen Einteiler gleiten. »Du hast nicht zufällig einen Bikini dabei, oder etwas weniger Spießiges?«
»Spießig?« Ich holte mit dem Handtuch nach ihm aus und er brachte sich mit einem gewagten Seitensprung in Sicherheit. Dabei kam er dem Beckenrand gefährlich nahe. »Das ist Wettkampfkleidung und dient nicht deinem privaten Vergnügen!«
Jaakko stolperte, konnte sich aber gerade noch so vor dem drohenden Sturz ins kühle Nass retten. »Nicht? Ich finde, du hast sowieso viel zu viel an.« Er machte einen Schritt auf mich zu und wollte gerade an meinem Trägergurt rumzupfen, er hatte allerdings nicht mit meiner Schnelligkeit gerechnet. Geschickt drehte ich mich zur Seite und versetzte ihm einen leichten Kick mit der Hüfte. Sein Straucheln brachte mich auf eine Idee und für seine Unverschämtheit hatte er sowieso eine kleine Abreibung verdient. Vielleicht auch für die Badehose.
Jaakkos Augen weiteten sich, als er mein heimtückisches Grinsen sah. Er schüttelte panisch den Kopf, konnte dem schwungvollen Stoß meiner Hüfte allerdings nicht mehr ausweichen. Natürlich versuchte er es trotzdem - Reflexe eben - aber da ging er schon baden.
Sein schockierter Gesichtsausdruck, der so gar nicht männliche Aufschrei und schließlich das Aufklatschen im Wasser brachten mich dermaßen zum Lachen, dass er mich anscheinend gar nicht böse anfunkeln konnte, als er wiederauftauchte.
Ich hockte mich an den Beckenrand und streckte ihm kameradschaftlich die Hand hin, während ich die andere immer noch prustend auf meinen Bauch presste.
Jaakko strich sich die nassen Haare aus der Stirn und schwamm zu mir. »Du bist ein ganz schön freches Ding!« Seine Mundwinkel zuckten und seine Augen sprühten nur so vor Lebensfreude. »Aber auf jede Aktion folgt unweigerlich eine Reaktion.«
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