Aber es hat keinen Zweck. Ich kann mich nicht auf ihn einlassen. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder und mit Jaakkos Lebenswandel abgeschlossen. Daran ändert seine Alkoholabstinenz nicht das Geringste. Letztlich habe ich mich für eine andere Zukunft entschieden.
Ich seufze schwer und schniefe noch einmal, als er mich durch eine große Flügeltür in einen abgedunkelten Saal zieht.
»Ist das eure Aftershow-Party?«, erkundige ich mich mit einem gewollt grimmigen Unterton und versuche, in der Dunkelheit meine Mädels ausfindig zu machen. Der Saal ist nicht allzu groß und ich kann in der diffusen Diskobeleuchtung nur wenige Menschen erkennen. Eve und Max sehe ich nicht. Leise Musik wird gespielt und es haben sich einige Pärchen zusammengefunden. Doch das interessiert mich nicht, ich will nur noch hier weg. Ab ins Hotel, schlafen gehen und morgen in aller Herrgottsfrühe nach Hause fahren.
»Wo sind die Mädchen?«, murmele ich in die Dunkelheit und will mich schon zwischen den Pärchen hindurchschieben, als ich mit einem Ruck herumgewirbelt werde. Bevor ich reagieren kann, drückt Jaakko mich an sich und legt eine Hand an meinen Rücken.
»Hey!«, protestiere ich lautstark, klinge aber nicht besonders überzeugend.
»Tanz mit mir«, haucht er und legt meine Hand, deren Finger immer noch mit seinen verflochten sind, in seinen Nacken. Meine andere Hand folgt ganz automatisch, so als wüsste mein Körper, was zu tun sei, obwohl mein Verstand ganz eindeutig auf roten Alarm schaltet. Die Warnsignale heulen in meinen Kopf auf, allerdings kann ich mich nicht dagegen wehren und verschränke die Hände in seinem Nacken. Sein Lächeln nehme ich nur als halbmondförmiges Blitzen wahr.
»Ich will nicht tanzen«, versuche ich, ihm zu widerstehen, mache aber keinerlei Anstalten, Jaakko von mir zu stoßen. Die sanften Bewegungen fühlen sich zu gut an, dazu seine Hände in meinem Rücken, auf meiner Taille, überall. Gott, wie berauschend. Der Alkohol aus den zwei Gläsern Sekt macht mich dösig und ich lege den Kopf an seine Brust. Jaakko ist etwas größer als ich, gerade so viel, dass er sein Kinn auf meinen Scheitel legen kann. Perfekt.
»Dafür wehrst du dich ziemlich gut«, murmelt er ironisch und lacht. Ich liebe sein Lachen, jedes Zucken seiner Mundwinkel ist mir so vertraut, jedes breite Grinsen erhellt meinen Tag. Wenn er spricht, werde ich von seiner Stimme davongetragen. Und sobald er singt … bin ich verloren.
Ich bin eindeutig immer noch verliebt; bis über beide Ohren. Und ich weiß, dass ich es nicht sein darf. Ich habe Verpflichtungen. Kinder, eine Familie, einen herzkranken Vater. Das hier ist völliger Irrsinn! In meinem Kopf tobt ein erbitterter Kampf und ich stehe paralysiert zwischen den gegnerischen Seiten. Niemand gewinnt, weil niemand gewinnen kann. Meine Gefühle sind in hellem Aufruhr.
Außerdem sollte ich die Kinder suchen und nicht kuschelnd auf der Tanzfläche rumstaksen!
Aber ich schaffe es nicht, mich von Jaakko lösen. Dafür genieße ich seine Nähe zu sehr.
Die Musik ist schneller vorbei, als mir lieb ist und ich könnte aufschreien. Als das Licht angeht und Jaakko mich von sich schiebt, verlangt alles in mir nach einem weiteren Tanz, aber mir wird weder das gestattet, noch eine Minute in seinen Armen.
Quietschend stürzen sich Eve und Max auf mich und plappern munter drauflos. Ich höre nur mit einem Ohr zu. Irgendwo in meinem Hinterkopf realisiere ich, auf wen sie getroffen sind, und, und, und … Ich speichere die Daten für später, noch immer habe ich nur Augen für Jaakko. Er sieht mich mit funkelnden Aungen an und streichelt zärtlich mein Kinn. Hastig wende ich mich ab und schaue in die misstrauischen Gesichter der Mädchen. Max’ Augen wandern zu Jaakko. Sie mustert ihn und scheint zu ahnen, dass er die Zerstörung ihrer heilen Welt bedeuten könnte.
Das muss ich unbedingt verhindern.
»Ich bin müde, Mama«, sagt sie tonlos, den Blick immer noch auf Jaakko geheftet. Eve scheint gar nichts zu kapieren. Aufgekratzt zählt sie an ihren Fingern ab, wen sie sich noch zu treffen erhofft.
Jaakko nickt hingegen und wirkt gedankenverloren.
»Wir können morgen zusammen frühstücken, wenn ihr mögt«, schlägt er auf einmal vor und greift in seine Gesäßtasche. Er fischt sein Portmonee heraus und reicht Eve eine Visitenkarte. »Das ist meine private Handynummer. Schreibt mir euer Hotel und eure Zimmernummern, dann hol ich euch ab.«
Ehrfürchtig nimmt Eve die Karte entgegen, doch sie kann sie nicht lange bewundern. Max schnappt sie sich und verstaut sie in ihrer Jeans. Argwöhnisch folge ich ihrer Bewegung. Offenbar hat Jaakko die Karte nicht grundlos den Teenagern gegeben. Lächelnd wendet er sich wieder mir zu und küsst mich auf die Wange. »Bis später.«
Noch ehe wir draußen sind, jammert Max plötzlich, dass sie aufs Klo muss. „Max!“, rufe ich ihr hinterher. „Muss das jetzt sein?“
„Ja!“, schreit sie zurück und schlägt schwungvoll die Tür vor meiner Nase zu.
Uns bleibt nur übrig, auf sie zu warten. Nachdem sie zurück ist, verlange ich nach der Visitenkarte.
»Er hat sie uns gegeben!«, protestiert sie und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Das mag sein, aber ob wir mit diesem blasierten Arsch frühstücken werden, entscheide immer noch ich! Also gib her!«
Max streckt trotzig die Zunge heraus. »Du hast doch gar nicht vor, mit ihm zu frühstücken, oder?«
Wie recht sie hat. Jetzt, wo wir endlich frische Luft atmen, klärt sich mein Verstand und ich kann wieder einigermaßen geradeaus denken. Was habe ich mir nur dabei gedacht, mit ihm zu tanzen?
Mit plötzlicher Wucht kommen all die vergrabenen Gefühle, die Erinnerungen und der Kummer wieder zum Vorschein. Ich muss mich irgendwo festhalten, um nicht unter ihrer Last zusammenzubrechen.
»Max …«, keuche ich erschöpft und greife nach einem Laternenmast, bevor mich die Last der Sorgen zu erdrücken droht. Mein Tonfall hat offensichtlich genau die richtige Saite in meiner Tochter angeschlagen.
»Mama?«, fragt sie alarmiert und legt stützend ihren Arm um mich. »Hast du zu viel getrunken?« Sie drückt mich an sich und mit Eve an der anderen Seite stolpern wir Richtung Hotel.
Getrunken habe ich praktisch nichts, ich war nur leicht angeheitert. Meine Tochter ahnt nicht, was ich die ersten Jahre nach ihrer Geburt durchgemacht habe. Aber ich will nicht jammern, ich will stark sein und die Bürde meiner Empfindungen nicht bei meiner Tochter abladen.
Ich richte mich auf und straffe die Schultern. »Es geht jetzt wieder. Alles okay. Mir war nur kurz schwindelig.« Eine Sache habe ich trotzdem nicht vergessen. »Die Karte, Schatz.«
Ertappt schiebt Max die Unterlippe vor, aber sie händigt mir ohne weiteres Gemurre Jaakkos Visitenkarte aus. Ich betrachte sie eingehend von beiden Seiten. ›Jaakko Salmela‹ steht darauf und zwei unterschiedliche Handynummern. Bei allen sieben Höllen, ich muss das Kärtchen verbrennen. Nicht, dass ich irgendwann der Versuchung erliegen werde. Nach dem heutigen Abend könnte das durchaus der Fall sein.
In der Nacht schlafe ich nicht. Da hilft auch das Einzelzimmer nicht. Unwillig starre ich auf die Digitalanzeige meines Handys und wälze Gedanken hin und her. Jaakko geht mir nicht aus dem Kopf.
Unserem ersten gemeinsamen Ausflug vor 16 Jahren sollten viele weitere folgen. Aber einen Annäherungsversuch wie im Fahrstuhl gab es nicht noch einmal.
»Kitty ist doch viel zu jung für dich«, schnappte ich einmal bei einem Besuch der Band in unseren Geschäftsräumen auf. »Die Kleine ist doch noch nicht einmal zwanzig!«
Sami war doch selbst kaum älter als ich, oder? Und so groß konnte der Altersunterschied zu Jaakko wohl kaum sein.
Ich gab nicht viel auf das Gerede, schlenderte gut gelaunt in das Büro und platzierte den gewünschten Kaffee vor Jaakko und Sami.
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