Dennis ist ein Schatz und holt die Taschen aus dem Auto. Ich schüttele den Kopf und zeige ihm die Konzertkarten. Wortlos stellt er die Taschen ab und studiert die Karten. Er sieht mich fragend an. Ich lächele traurig und deute auf die Namen der Bandmitglieder und als er Jaakkos Namen erkennt, entgleisen seine Gesichtszüge. »Ach, du Scheiße!«
***
»Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich diese Geheimniskrämerei für keine gute Idee halte.« Dennis platziert eine dampfende Tasse Kaffee vor mir und fährt sich durchs dunkle Haar. »Das war vorauszusehen. Du kannst ihr den Vater nicht vorenthalten.«
» Du bist ihr Vater.«
Dennis lacht leise. »Wir wissen beide, dass es nicht stimmt. Ich habe nur das aufgesammelt, was von dir übrig war.« Er greift nach meiner Hand und drückt sie zärtlich. »Es wird schwer werden, für uns alle, aber sich kennenzulernen ist ihr gutes Recht.«
Ich schüttele vehement den Kopf, trotzdem weiß ich, dass mein Mann wie immer recht hat.
»Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn mir jemand nach 16 Jahren so eine Offenbarung macht.«
Sein Lächeln versiegt. »Aber immer noch besser als niemals, oder?« Er rührt nachdenklich in seinem Kaffee. »Max ist alt genug, selbst zu entscheiden.«
Mir fällt es deutlich schwerer als ihm, in unserer Tochter eine erwachsene Frau zu sehen. Ich beiße mir auf die Zunge und schmecke bittere Galle. Nicht ›unsere‹ Tochter. »Sie kann noch nicht entscheiden. Sie wird nur den Glamour und das ganze Rampenlicht sehen. Die Schattenseiten bleiben ihr in ihrem jugendlichen Leichtsinn verborgen.«
»Habt ihr ihn gesehen?« Dennis pustet sanft über den Kaffee und fixiert mich lauernd. Dabei versucht er, möglichst lässig zu klingen, aber er kann sich vor mir nicht verstellen. Wir kennen uns seit der Schulzeit und waren immer gute Freunde. Dass wir jetzt verheiratet sind, klingt wie der klassische Beziehungsweg, hat aber deutlich tiefere Gründe. Er hat sich um mich gekümmert, als ich es nicht konnte. Er war der Jemand an meiner Seite, den ich so dringend brauchte. Und das ohne etwas einzufordern. Max und ich sind sogar bei ihm eingezogen. Und irgendwie sind wir geblieben. Schließlich ist aus der anfänglichen Zweckgemeinschaft mehr geworden, wie unser kleiner Wirbelwind Malin beweist. Wir haben geheiratet, damit wir versorgt sind. Ohne großen Pomp, nur um eine Familie sein zu können.
Meine Liebe zu Dennis ist stabiler, ruhiger, unaufgeregter. Nicht das verzehrende Begehren, das mir diese Situation jetzt beschert hat. Ich brenne nicht für ihn, seine Stimme lässt mich nicht in Ohnmacht fallen und seine Augen bescheren mir keine heißen Schauer. Aber dafür habe ich die Beständigkeit, die ich immer wollte. Ich habe einen liebevollen Vater für meine Mädchen und eine intakte Beziehung. Dennis weiß von Jaakko, er weiß alles. Dennoch hat er mich gebeten, bei ihm einzuziehen.
Vielen mag diese Beziehung scheinheilig vorkommen, oder sie würden sie als ›nicht echt‹ bezeichnen. Mag sein. Aber wenn man am Boden ist und jemanden hat, der einen den Rücken stärkt und wieder aufrichtet, dann ist das auch eine Art Beziehung.
»Er hat mich erkannt und ich ihn.« Ich will nicht ausweichen, Ehrlichkeit ist alles, was ich Dennis geben kann. Er macht große Augen, als ich fortfahre und ihm erzähle, wie mich Jaakko in die Enge getrieben hat.
»Dieser Drecksack«, fügt er hinzu und schüttelt ungläubig den Kopf. »Er kennt dich und weiß, wie er dich festnagelt. Herrlich!« Dennis lacht schallend auf.
»Ich finde das überhaupt nicht witzig!«, empöre ich mich, doch mein Mann prustet. »Hey, du sollst auf meiner Seite stehen!«
»Tu ich, Cathia, tu ich! Aber ich stelle mir gerade lebhaft dein Gesicht vor, wie du abhauen willst und es nicht kannst. Hast du ihm die Augen ausgekratzt?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, aber Max hat seine Handynummer.«
Dennis wird bleich, jeglicher Spott ist vergessen. »Und weiß sie es?«
Ich nicke und schlucke. »Ich habe Angst.«
»Max? Max!« Ich hämmere zornig gegen die Tür meiner Tochter, aber sie öffnet mir nicht. »Max! Ich will dein Handy!« Verzweiflung schwingt in meiner Stimme mit. Ich muss diese Nummer haben und vernichten. Erneut schlage ich wütend gegen das Holz. »Bitte!« Nicht kriechen! Erwachsene kriechen nicht vor Teenagern. Aber ich bin so verzweifelt, dass mir jedes Mittel recht ist.
Erneut will ich gegen die Tür hämmern, da wird sie mir vor der Nase aufgerissen und meine Tochter sieht mich mit verschränkten Armen an.
»Ich will alles wissen! Hörst du? Alles! Wie ihr euch kennengelernt habt, wie es passiert ist und warum ihr nicht zusammengeblieben seid. Alles!«
Ich nicke. Und wie durch ein Wunder reicht sie mir ihr Handy.
»Außerdem möchte ich seine Nummer behalten.« Max schiebt die Unterlippe vor und sieht mich herausfordernd an.
»Was? Wieso?« Ich durchforste ihre WhatsApp-Nachrichten. Er steht ganz oben und sie hat bereits zwei neue Nachrichten von ihm erhalten. Mir wird übel, als ich sein breites Sonnenaufgangsgrinsen im Avatar sehe. »Was hast du mit ihm geschrieben?«
»Nichts, was dich angeht!« Max entreißt mir ihr Handy und stapft hinunter in die Küche. »Wenn er tatsächlich mein Vater ist, kann ich mit ihm schreiben, was ich will und wann ich will!« Ihr Wutausbruch ist genau das, was ich verdient habe. Dennis hat recht, sie wird zornig sein. Als sie ihn in der Küche sieht, fährt sie herum und funkelt mich an. »Weiß Papa Bescheid? Darüber, was du hier jahrelang abgezogen hast?«
Dennis erhebt sich und legt ihr beruhigend die Hände auf die Schultern. »Mama hat nichts abgezogen. Sie hat dich nur beschützen wollen.«
Max dreht sich um und wirft ihm wütende Blicke zu. »War ja klar, dass du auf ihrer Seite bist. Wie konntest du das akzeptieren? Wie konntest du da mitmachen? Ich …« Tränen schwimmen in ihren Augen.
Sofort drückt Dennis sie an sich. »Es war nicht meine Entscheidung. Ich habe akzeptiert, was Mama entschieden hat. Ich war dankbar, dass ich euch habe und sie bei mir geblieben ist.«
Max schnieft. »Liebt ihr euch überhaupt?«
Ich schlucke, denn das ist die Frage, die ich mir die letzten Jahre immer wieder stelle. Ehrlich gesagt kenne ich die Antwort nicht. »Wir achten und schätzen uns. Wir vertrauen einander und wir haben Malin bekommen.«
»Das beweist gar nichts«, brummt Max und schnieft erneut.
Ich setze mich an den Küchentisch und ringe mit mir. Natürlich liebe ich Dennis, er ist meine Stütze und derjenige, der mich immer wieder auffängt. Er sorgt dafür, dass ich überhaupt existiere. Er und die Kinder sind mein Leben. »Sonst wäre ich nicht hier«, murmele ich trocken und stütze den Kopf in meine Hände. Es fällt mir so unendlich schwer, gegen meine Gefühle zu handeln, aber ich tue es trotzdem. Bleischwer lasten sie auf meinen Schultern und in manchen Momenten habe ich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Max’ Zorn ist gerechtfertigt, aber ich habe keine Kraft für ihren Wutausbruch. Ich brauche ja alle Reserven, um überhaupt weiterzumachen.
Wie immer scheint sie meine Verzweiflung zu spüren. Wie auf Kommando setzt sie sich zu mir und streichelt meinen Arm. »Aber wie er dich angesehen hat …«
Hinter ihr erstarrt Dennis zur Salzsäule. Er scheint Verständnis zeigen zu wollen, aber in ihm brodelt es bestimmt genauso. Ob er die Gefahr sieht? Ich weiß es nicht. Wenn, dann verbirgt er seine Gefühle sehr gut.
»Und du konntest nicht wegsehen.« Max ist eine sehr gute Beobachterin. »Jetzt ergibt alles einen Sinn.«
Ich lächele schwach.
»Deine Ausflüchte, deine Flucht. Oh, Mama!« Sie umarmt mich und ich umarme sie, wir schluchzen beide laut auf.
»Ich würde dir am liebsten das Handy wegnehmen und jeglichen Kontakt untersagen.«
Читать дальше