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Der Grundsatz: „Viel hilft viel“ gilt hier gerade nicht, eher „Weniger ist mehr“. Verständlichkeit, Einprägsamkeit und Knappheit zeichnen gute Verhaltenskodizes oder andere, an die breite Unternehmensöffentlichkeit oder externe Vertragspartner gerichtete Veröffentlichungen aus. Dabei sollten die handelnden Personen konsequent der Versuchung widerstehen, einfach mehrere, tatsächlich oder vermeintlich „bewährte“ Verhaltenskodizes anderer Unternehmen aufeinanderzuhäufen oder sich in ausufernden perfektionistisch-ausgeklügelten Formulierungen zu ergehen.
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Eine weitere wichtige Facette der compliance-orientierten Unternehmenskommunikation besteht in der Beförderung, Verstärkung und Wiederholung von Bekenntnissen der Unternehmensleitung zur Compliance, dem bereits oben beschriebenen „Tone at the Top“.
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In dem Maße, in dem die Unternehmenskommunikation ihr eigenes Verständnis für die Möglichkeiten aber auch die Grenzen der Compliance vertieft, kann ihr auch eine Art zusätzlicher Wächterfunktion bei der Formulierung von Compliance-Zielen und bei der Sensibilisierung wichtiger Unternehmens-Multiplikatoren zuwachsen. Vollmundige oder sogar gefährliche34 Verlautbarungsversuche („brutalstmögliche Aufklärung“, „Null Toleranz“) können so noch rechtzeitig eingefangen werden und auch im nie enden wollenden Sisyphus-Kampf um das Begrenzen ebenso markiger wie teilweise rechtswidriger interner Anspruchsziele oder mehr oder weniger gern gehörter missglückter Ehrgeizbekundungen („Wettbewerber vernichten“) ist die Unternehmenskommunikation ein höchst willkommener Mitstreiter.
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Die Außendarstellung des Unternehmens und seiner Compliance-Aktivitäten nimmt eine weitere und heutzutage immer wichtigere Rolle der Unternehmenskommunikation ein. Das betrifft die Kommunikation auf der Website des Unternehmens ebenso wie die Vorbereitung und Moderation von Äußerungen des Führungspersonals in der Öffentlichkeit: Ob es nun darum geht, Gesellschafter oder Aktionäre zu informieren, kritische Fragen von Medien oder Nichtregierungsorganisationen zu beantworten oder – im Zusammenwirken mit HR – auf Jobmessen das Compliance-Profil des Unternehmens als attraktiven Arbeitgebers des 21. Jahrhunderts zu schärfen, bei sämtlichen derartigen Aktivitäten sollte Compliance mit der Unternehmenskommunikation „auf Ballhöhe sein“, damit neben überzeugender Präsentation auch Inhalt und Substanz der Information stets einer kritischen Prüfung standhalten, und zwar auch dann, wenn sie verkürzt, zugespitzt oder aus dem Zusammenhang gerissen werden.
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So können Compliance und Unternehmenskommunikation zusammen wachsen. Sie tragen gemeinsam Sorge, dass das „Messaging“ einheitlich, verständlich und juristisch einwandfrei ist. Sie tragen ebenfalls dazu bei, dass Compliance auch in ereignisärmeren Phasen bei der Geschäftsleitung in Erinnerung bleibt und dass sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht unter die Räder kommt („keine Compliance nach Kassen- und Konjunkturlage“).
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Dann kann auch die Kommunikation in einer Compliance-Krise gelingen: Behörden fragen an oder lassen gar durchsuchen, Medien belagern das Unternehmen, die Öffentlichkeit verlangt im Stundenrhythmus nach Antworten – und will Opfer sehen. Hier wird sich die vorherige Zusammenarbeit im Normalbetrieb auszahlen, kurze Wege, rasche Absprachen und unbedingtes Vertrauen in die gegenseitigen Einschätzungen und das einander gegebene Wort.
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Der gute Draht zur Öffentlichkeit und „das wohlwollende und stets offene Ohr“ der Geschäftsleitung mögen gelegentlich auch manche Versuchung für die Profis der Unternehmenskommunikation in sich tragen. Eine reibungslose Zusammenarbeit mit den vielleicht manchmal als technokratisch, über-juristisch oder wortklauberisch empfundenen Compliance-Experten ist kein Selbstläufer. Wenn aber der Brückenschlag gelingt, können Durchschlagskraft und Ausstrahlungswirkung dieser Allianz aus Compliance und Unternehmenskommunikation beträchtlich sein.
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Auch mit anderen Unternehmensfunktionen bestehen mehr oder weniger markante Berührungspunkte. Beispielhaft sollen die folgenden Drei kurz erwähnt werden:
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Zunächst die Einkaufsfunktion, teils auch als „Procurement“ bekannt, deren Einkaufsprozesse und -personal mit hoher Wahrscheinlichkeit von neuen Compliance-Richtlinien maßgeblich beeinflusst werden und daher rechtzeitig von Compliance „ins Boot geholt“ werden müssen, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden, Verständnis für Veränderungen zu erreichen und einen gemeinsamen Sinn für das Machbare zu entwickeln.
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Auch mit der Unternehmens-IT wird Compliance, insbesondere im Rahmen von E-learning und computergestützten Schulungen, zusammenwirken. Jeder, der es einmal unternommen hat, in der zerklüfteten IT-Landschaft eines internationalen Großunternehmens eine erfolgreiche, sauber dokumentierte und wiederholbare Compliance-Schulung per Computer zu konzipieren, gestalten und durchzuführen, wird erkennen, von welch zentraler Bedeutung dann die Kooperation mit den IT-Kollegen sein wird.
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Schließlich bringen Eingangskontrollen, mögliche Videoüberwachungen und ähnliche Sicherheitsmaßnahmen zumindest jene Compliance-Abteilung, die sich auch um den Datenschutz zu kümmern hat, nicht nur in Kontakt mit dem Betriebsrat (vgl. oben Rn. 43ff.), sondern auch mit der – wie auch immer ausgestalteten – Unternehmenssicherheit. Auch an sie sollte der CCO denken, zumal dann, wenn der Sicherheitschef über eine enge räumliche (und vielleicht auch persönliche) Nähe zum Unternehmensleiter verfügt.
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Abschließend soll ein, leicht idealisierter jedoch noch immer realitätsnaher, Fall die in der Überschrift zu diesem 3. Kapitel angesprochene „erfolgreiche Zusammenarbeit“ zwischen Compliance und einigen anderen Unternehmensfunktionen beispielhaft verdeutlichen:
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Ein unternehmensinterner, anonymer Hinweisgeber hat über die Unternehmens-Hotline per E-Mail mitgeteilt, dass es bei der Tochtergesellschaft eines global tätigen Herstellers von feinmechanischen Präzisionsinstrumenten seit einiger Zeit zu Unregelmäßigkeiten komme. Der vorgesehene Vertriebsweg durch die dafür zwar nicht exklusiv aber im Normalfall zuständigen sub-regionalen Außendienstmitarbeiter des Unternehmens werde vor allem gegenüber einem vor etwa 18 Monaten akquirierten Großkunden bewusst umgangen. Die auf diesem Wege getätigten Umsätze würden nicht korrekt verbucht. Außerdem müssten wohl erhebliche Diskrepanzen zwischen dem in den „elektronischen Büchern“ verzeichneten Warenbestand und dem Ist-Bestand im Zentrallager vorliegen.
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Das Hinweisgebersystem funktioniert. Das für die Bearbeitung derartiger Meldungen im Unternehmen gebildete Gremium, in dem unter der Leitung von Compliance unter anderem auch die Personalabteilung und die Innenrevision vertreten sind, stuft die Information als hinreichend substantiiert ein und beauftragt umgehend einen Compliance-Experten mit der Bearbeitung des Falles. Dieser zieht eine Kollegin aus der Innenrevision bei und ermittelt, auch unter Zuhilfenahme eines verlässlichen Compliance-Beauftragten bei der örtlichen Tochtergesellschaft und mit Unterstützung der örtlichen Personalabteilung, den Sachverhalt. Es stellt sich heraus, dass die Hinweise im Wesentlichen zutreffen und dass die Verstöße zeitlich mit einer Neubesetzung in der regionalen Vertriebsorganisation zusammenfallen: Der neue regionale Vertriebsverantwortliche hat offenbar eine Reihe von langjährigen Ablauf- und Dokumentationsschwächen des antiquierten lokalen IT-Systems ausgenutzt. Mangels Vier-Augen-Prinzips konnte er dies auch längere Zeit allein tun. Eine Controllerin in der Landesorganisation hatte wohl zumindest einmal Bedenken geäußert, hatte sich damit aber nicht durchsetzen können.
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