Ohne es zu wollen, wurde Serena jetzt rot, und sie sagte: „Ich würde nicht sagen, dass Funken fliegen, sondern eher, dass zwischen uns die ganze Zeit eine leichte Gereiztheit herrscht. Funken implizieren doch etwas völlig anderes. Und außerdem ist es ja tatsächlich so, dass ich das Sagen habe, jedenfalls was das Hotel angeht.“
„Ach ja, natürlich. Mein Fehler“, sagte Muriel darauf, nippte an ihrem Tee und fuhr dann fort: „Ich hoffe jedenfalls, dass ihr gut miteinander auskommt, denn ihr werdet schließlich sehr eng zusammenarbeiten.“
„Ich werde den Kontakt mit ihm auf ein Minimum beschränken, das kannst du mir glauben. Er soll sich um die praktische Führung des Hotels kümmern, ich beschäftige mich mit dem Marketing und der Kundenzufriedenheit, also brauchen wir gar nicht so viel miteinander zu tun zu haben.“
„Wie du meinst, Liebes“, sagte Muriel in einem absolut unschuldigen Tonfall, aber irgendetwas an ihrer Miene sagte Serena, dass dieses Thema noch längst nicht vom Tisch war.
4
Q
Als Jüngster in der Familie hatte Malcolm wahrscheinlich meistens seinen Willen bekommen, aber am Ende hatte doch immer seine Schwester Nicola gewonnen, sogar noch nach ihrem Tod.
Er stellte sich vor, wie sie mit einem breiten Ich-hab’s-doch-gesagt-Grinsen vom Himmel auf sie herabschaute, als er in die gekieste Auffahrt zu ihrem alten Haus einbog. Nach all den Versuchen, die sie unternommen hatte, ihn dazu zu bringen, wieder nach Skye zurückzukommen, und nach all seinen Ausreden, weshalb es gerade nicht der richtige Zeitpunkt dafür sei, hätte er niemals gedacht, dass es am Ende die Worte gesetzlicher Vormund sein würden, die ihn zur Rückkehr bewegten.
Es war ja gar nicht so, dass es auf Skye nicht schön war – er konnte ohne Weiteres zugeben, dass ihm der weite, sich ständig verändernde Himmel, die unberührte Natur und das blaue Wasser gefielen. Die Landschaft gehörte zu den wenigen Dingen, die ihn dazu bringen konnten, poetisch zu werden, aber mit jeder atemberaubenden Aussicht kamen auch Dutzende schlimmer Erinnerungen zurück, mit denen er lieber nichts mehr zu tun haben wollte.
Malcolm parkte seinen Wagen hinter dem roten VW Polo, der schon auf der Auffahrt stand, und ging im schwindenden Tageslicht zur Eingangstür der zweigeschossigen Kate. Dabei fiel ihm auf, dass die Farbe von den Fensterläden abblätterte und Platten auf dem Weg zur Tür abgesackt waren. Wenn das Wetter besser wurde, musste er sich unbedingt darum kümmern. Mit Nachdruck steckte er den Schlüssel ins Schloss der Eingangstür und betrat den mit dunklem Holz getäfelten Windfang, wo er seine Jacke an einen Haken hängte.
Der winzige Raum sollte eigentlich als eine Art Schleuse dienen, durch die verhindert wurde, dass die kalte Luft nicht ins Haus und die Wärme nicht so schnell nach draußen zog, aber in erster Linie war er eine Art Stolperfalle, weil überall Schuhe, Jacken und Rucksäcke herumflogen. Malcolm nahm sich einen Moment Zeit, den Schuhhaufen ein bisschen zu sortieren, bevor er in die Diele weiterging.
Dort war es dunkel, aber von der Stelle, an der er stand, konnte er im Wohnzimmer sowohl die Couch mit den vielen Kissen als auch den Esszimmertisch sehen, auf dem immer noch die Zeitung vom Morgen lag. Von seiner Nichte keine Spur.
„Kylee? Bist du zu Hause?“
Als Antwort kam aus der Küche ein panisches Kratzen, begleitet von leisem Gebimmel, als ein wuscheliges Fellknäuel von einem Hund mit freudiger Begeisterung in die Diele gesprungen kam. Malcolm bückte sich, nahm Kylees Cavalier King Charles Spaniel auf den Arm, und im nächsten Moment schleckte ihm auch schon die rosa Hundezunge durchs ganze Gesicht.
„Nicht lecken, Ainsley“, befahl Malcolm streng, aber er brachte es nicht übers Herz, seinen Befehl auch durchzusetzen. Man konnte den winzigen Wuschel ja kaum als Hund bezeichnen, aber der Spaniel hatte ihn vom ersten Moment an angehimmelt und damit erreicht, dass er nachts nicht nur in Kylees, sondern auch in seinem Bett schlief.
Er setzte den Hund wieder auf den Boden, wo das Tier noch eine Weile um seine Füße herumtänzelte und ihn dann mit schräg gelegtem Kopf anschaute, so als wartete er auf einen Befehl.
„Wo ist denn unser Mädchen?“
Malcolm sah auf seine Uhr, und dann erinnerte er sich plötzlich daran, dass ja Mittwoch war. Mittwochs holte Kylees beste Freundin Lane sie immer zur Probe des gälischen Chores der Highschool ab. Kylee hatte sich für diese Aktivität weniger aus Liebe zu ihrem kulturellen Erbe entschieden, als dass die Chorproben bei den wenigen Möglichkeiten, die es auf der Insel gab, einem richtigen Gesangsunterricht am nächsten kamen.
Auf dem Weg in die Küche holte er sein Handy hervor und schrieb Kylee: Kommst du bald nach Hause? Das Essen ist in einer Stunde fertig. Wenn man denn eine Tiefkühllasagne, die in einem altmodischen Backofen erhitzt wurde, als Essen bezeichnen wollte.
An den Tagen, an denen Kylee mit Kochen an der Reihe war, aßen sie gut, und zwar dank Nicolas gründlicher Anleitung auf diesem Gebiet. Wenn er an der Reihe war, na ja … sie verhungerten nicht. Mehr gab es dazu eigentlich nicht zu sagen.
Nachdem er den Timer des Ofens auf 60 Minuten gestellt hatte, wusste er in dem stillen Haus nicht so recht, wohin mit sich, also nahm er ein Sweatshirt und ging hinaus in den holprigen, eher feldartigen Garten hinter dem Haus, wo an dem alten Schaukelgestell von Kylee, an dem schon lange nicht mehr geschaukelt wurde, ein Boxsack hing. Das Gestell war kaum stabil genug, um der Wucht der Schläge standzuhalten, aber Malcolm hatte bis jetzt einfach keine Zeit gehabt, ein neues zu bauen oder das vorhandene zu verstärken.
Erst als er schon vor dem Boxsack stand, fiel ihm ein, dass er auf dem Weg nach draußen die Bandagen und die Boxhandschuhe vergessen hatte. Aber egal. Er hatte ja sowieso nicht vor, eine richtige Trainingseinheit zu absolvieren, sondern nur ein lockeres Training, um die verspannten Muskeln zu lockern und den anhaltenden Frust über die neue Frau in seinem Leben abzubauen, die offenbar wild entschlossen war, ihm selbiges zu vermiesen.
Er ging in die Grundstellung und umkreiste den Boxsack. Dabei übte er immer wieder einzelne Jabs oder Eins-zwei-Kombinationen, und zwar so, dass er die Kunststoffhülle des Boxsacks immer nur beinahe berührte; so als ob er die Distanz zu einem Gegner taxierte. Er hatte diese Aufwärmübung in den vergangenen 20 Jahren so oft gemacht, dass er dabei gar nicht mehr nachzudenken brauchte, doch er zwang sich dazu, sich zu konzentrieren und seinen Blick zu fokussieren.
Man entwickelte so leicht schlechte Gewohnheiten, wenn man nichts zum Trainieren hatte als einen schweren Sandsack, Gewohnheiten, die er sich mühsam wieder würde abtrainieren müssen, falls er jemals wieder in einen Boxring steigen sollte. Das war allerdings eher unwahrscheinlich, denn auf Skye gab es keinen einzigen richtigen Boxclub.
Seinen letzten offiziellen Boxkampf hatte er als Teenager bestritten, obwohl er auch in Baltimore noch mehrmals pro Woche in einem Fitnessstudio trainiert hatte. Es war eine gute Möglichkeit gewesen, die Verspannungen zu lösen, die sich einstellten, wenn er den ganzen Tag vor dem Bildschirm saß. Und seine Freundin hatte absolut nichts gegen die körperlichen Auswirkungen seines Trainings gehabt.
„Wenn man dich so sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass du ein Computerfreak bist“, hatte sie ihn geneckt.
Beim Gedanken an Teresa legte er mehr Wucht in seinen nächsten Schlag, als er eigentlich beabsichtigt hatte, und als er dabei den Boxsack wirklich traf, zuckte er zusammen. Er brauchte die Blutspur auf dem Boxsack gar nicht zu sehen, um zu wissen, dass er sich an dem harten, starren Kunststoffbezug eine Platzwunde an einem der Handknöchel zugezogen hatte. Er ließ die Deckung sinken, trat zurück und atmete tief durch, während sein Puls sich wieder beruhigte. Im Grunde vermisste er Teresa gar nicht, jedenfalls nicht so wie früher einmal.
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