Ihr Haar zieht zum Wald.
„Na, na“, murmelt Honig, „alles zu seiner Zeit.“
Ein Range Rover kommt um die Kurve. Er hat einen Dachgepäckträger und darauf liegen ein Surfbrett und ein Mast.
Hummels Gedanken haben sich selbständig gemacht. Er hat über Frauen nachgedacht und alles, was sie mit sich bringen. An weiche Formen und verborgene Grotten, an Haar, das nach Flieder duftet und Haut wie weiche Karamellbonbons.
Jetzt kriecht er unter der Rampe hervor, mit einer Beule in der Hose und Gras an den Knien. Er öffnet das Tor und das Auto fährt weiter – als es direkt neben Hummel ist, gleitet das Fenster wenige Zentimeter herunter und eine Hand lässt ein paar Münzen auf den Boden fallen. Dann beschleunigt der Fahrer und der Rover verschwindet zwischen den Bäumen.
Hummel läuft durch den Wald, hält die Münzen umklammert, sie werden warm in seiner Faust. Jetzt wird sich Grunz freuen und Palle auch. Und Kalle.
Er hält an seinem Baum an. Späht hinauf durch die Äste. Hoch oben warten seine Freunde auf ihn. Jetzt werden sie jeder eine Münze bekommen. Dann muss er ein bisschen was essen.
Wie viel Geld haben Grunz und Palle und Kalle?, denkt Hummel beim Hinaufklettern. Genug, um ein Zelt zu kaufen? Einen Gaskocher? Eine Briefmarke aus dem fernen Bengalen? Ein Messer, mit dem man eine Hirtenflöte schnitzen kann?
Er denkt an das Wort Messer. Erschauert.
Hummels Bauch rumpelt lauter als das Rauschen in den Bäumen.
Denkt an Äpfel, Apfelkuchen und Apfelsaft.
Er denkt an Chips, Würstchen und Dijonsenf.
Mitten im Wald steht ein kleines Haus. Um das Haus herum verläuft ein Zaun und hinter dem Zaun liegt ein Garten, in dem das Gras wildgewachsen und hoch steht wie auf den Savannen Afrikas. Auf dem Rasen glitzert ein Vogelbassin und unter der Veranda parkt ein Motorrasenmäher.
Hummel steht am Zaun des Häuschens. Jenseits hängen große, grüne, glänzende Äpfel. Es ist Zeit zum Äpfelklauen; Hummel klettert über den Zaun und lässt sich auf der anderen Seite ins Gras gleiten. Es ist hoch, swisch, swisch , macht es, wenn er geht.
Hummel hat die Savannen Afrikas gesehen. Er hat sich die Augen wund gestarrt beim Betrachten der Briefmarken aus Kenia und Simbabwe. Die Tiere dort sind anders als in dem Wald, in dem er wohnt. Sie haben lange Beine und klettern selten auf Bäume.
Es ist nicht ungefährlich, auf einem Ast zu sitzen und Briefmarken zu studieren. Er kann sich nicht die Brille putzen – dann fällt er herunter, so wie die Kiefernzapfen, die sich lösen, wenn man es am wenigsten erwartet.
Der größte Apfel baumelt an einem Ast weit oben. Hummel klettert hinauf und streckt den Arm aus, aber der Apfel hat sich schon entschieden: Er will hinunter. Jetzt fällt er Richtung Erdboden, langsam, als hätte er alle Zeit der Welt, als ob nichts eilte unter der Sonne.
Schließlich landet er im Gras.
Plumps! macht es.
Plumps! Plumps!
Ein Wind weht durch die Bäume.
Die ganze Welt bebt.
Honig zieht sich die Haare vor das Gesicht und sitzt ganz still.
Sie hält die Luft an und umklammert den Apfel, der heruntergefallen und zu ihr gerollt ist.
Das ist ihr Apfel.
Der soll in ihren Bauch.
Hummel hat sie jetzt gesehen. Er sitzt im Apfelbaum, schnuppert in die Luft und starrt sie an, wie sie da mit den Haaren vor dem Gesicht sitzt. Einen Augenblick lang waren ihre Augen groß und weit, und er spürt ihren Blick mitten durch Haare und Äpfel.
Nimmt er einen Hauch von Meeresduft wahr? Von Muscheln, die sich bald öffnen werden, um ihre Früchte zu zeigen?
Er weiß es nicht.
Nie hat er eine Muschel gesehen und er hat nicht vor, jemals eine zu sehen.
Der Wind bläst vom Meer. Hummel sitzt zu Hause auf seinem Ast und hält krampfhaft seine Briefmarkensammlung fest. Wind und Briefmarken passen nicht zusammen, das weiß jeder. Wind und Briefmarken sind wie Feuer und Wasser, wie Hund und Katze, und alles, was er machen kann, ist, die Marken verzweifelt festzuhalten.
Er langweilt sich.
Grunz und Kalle und Palle kommen wohl zurecht. Sie stehen auf ihrem Ast, mit dem Gewicht, das Geld einem Schwein verleiht.
Sehen sie glücklich aus?
Nein, das tun sie nicht.
Sie sehen unzufrieden aus, als hätten sie schon die Münzen vergessen, die sie bekommen haben.
Er muss mehr Münzen für Grunz und Kalle und Palle besorgen.
Missmutige Schweine sind schlimmer als gar keine Schweine.
Hummel schließt das Tor und setzt sich auf die Milchrampe. Der zuletzt hereingefahren ist, hat das Tor offen stehen lassen. Hummel kennt sie jetzt langsam. Träge sind sie und geizig mit Münzen.
Hummel nimmt Meeresduft wahr, den der Wind mit sich durch den Wald trägt. Die Baumwipfel schwingen über ihm hin und her, wie Tang in unruhigem Wasser, vielleicht, denkt Hummel, der nur den Geruch von getrocknetem Tang kennt. Der noch nie welchen gesehen hat.
Jetzt hat er schon wieder an das Meer gedacht.
Es zieht an ihm.
Er stopft sich das Briefmarkenalbum unter den Pullover und läuft gemächlich den Weg entlang.
Honig malt Kästchen in den Sand. Dann hüpft sie Himmel und Hölle, wirft mit Steinchen, hüpft, wirft wieder Steinchen. Dreht sich um.
Starrt sie jemand an? Da steht ein Auto, aber der Mann mit dem Surfbrett ist schon weit draußen auf dem Meer.
Sie hüpft und hopst wieder.
Bewegt sich da etwas in den Büschen?
Honig geht durch den Wald, vorbei an Pilzen und Beeren, Nüssen und Bäumen. Der Wald weiß, wo sie hin will, und keine Ameise stellt sich ihr in den Weg und hält sie auf.
Der größte Apfel hängt heute nicht so hoch. Aber er glänzt und Honig klettert in den Baum und spiegelt sich in dem Apfel, fragt:
„Wessen Bauch grummelt am lautesten?“, fragt sie.
Swisch, swisch , antwortet der Apfel.
Swisch, swisch , klingt es.
Jemand stolpert durch das Gras. Jemand niest und kriecht und späht hoch in die Bäume. Zwei flinke Augen schauen zu ihr hinauf. Zwei flinke Augen fragen: Bist du Apfel oder Baum? Bist du Himmel oder Meer?
Plumps!
Plumps!
Plumps!
Der größte Apfel fällt herunter.
Verschwindet im Gras.
Swisch! Swisch! Zwei Körper suchen und schnuppern, zwei Körper sind hungrig und wollen den größten Apfel haben.
„Das ist mein Apfel!“, ruft Honig.
„Das ist meiner!“, ruft Hummel.
„Ich war zuerst hier!“, ruft Honig.
„Ich bin jetzt hier!“, ruft Hummel.
Beide haben den Apfel zu fassen.
Beide halten ihn mit wütenden Fingern fest.
Wer loslässt, hat verloren.
Wer festhält, wird satt.
Hummel sieht Honig an. Ihre Augen sind groß und dunkel und ihre Haare stehen ab. Sie versucht, ihn zu beißen, aber Hummel faucht sie an und stößt ein Heulen aus.
Der Apfel hat genug von dem Theater; er teilt sich freundlicherweise genau in der Mitte und so klettern Hummel und Honig in ihren jeweiligen Baum. Honig zieht sich die Haare vor das Gesicht. Hummel sitzt ganz still da.
So sitzen sie in ihren Bäumen und essen von dem Apfel. Sie sehen einander nicht an. Essen Apfel. Schnuppern in die Luft.
Als es dunkel wird, kommen sie im Gras aufeinander zu. Sie fassen sich an, tasten wie Blinde, an den Kopf, die Ohren, die Nase und den Hals. Hummel schnuppert an Honigs Kniekehle.
„Wer bist du?“, fragt Hummel.
„Ich bin Honig“, sagt Honig, „und wer bist du?“
„Ich bin Hummel“, sagt Hummel.
Sie sind Hummel & Honig.
Ein neuer Tag ist entsprungen und die Sonne hält sich wie immer an ihre Abmachung. Jetzt bescheint sie alles Lebendige, kleine Mäuschen und Apfelbäume, Hummel und Honig und den großen Stein am Vogelbecken. Auf dem sitzt Hummel und wärmt sich den Hintern, Honig hüpft derweil im Gras herum.
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