„Eine Frau, die einen zum Trinken verführt - und zum Nichtdraufachten, wieviel man trinkt“, macht Hamilton sich Luft. Was Dean O’Casey zu der Feststellung bringt: „Die Deutschen sind halt geschickt. Die rollen die Front mit einem Lächeln auf. Da weiß man nicht mehr ...“ Und weil Helga gerade wieder an den Tisch kommt: „Aber zwei Monate nicht da, das darfst du mir nie mehr antun, liebe Helga.“ Heftige Zustimmung rundum.
„Versprochen, ganz sicher“, sagt sie. Und das klingt mehr resignierend als freundlich. Und ganz ohne ein Lächeln. Trotzdem rundum zufriedene Mienen. Die Augen der Herren werden immer lebhafter, werden zupackender. Und erst wenn Helga sich runterbeugt zu ihnen. Daß sie den Atem anhalten in der Erwartung, jetzt müßten sie gleich aus dem Mieder fallen, die schweren Brüste.
„Alles was recht ist, unsere Wirtin ist die hübscheste Wirtin von ganz Denver.“ Das ist der Mann des Rechts, wie er seinem Bedürfnis nachgibt, einen Toast auf Helga auszubringen.
„Danke, Herr Doktor.“
„Ganz sicher“, pflichtet Cherrytree ihm bei, „ist unsere Helga ein aus den Wolken entsprungenes Engelchen.“ Dabei schaut er in die Runde, als wollte er für seinen Spruch kassieren. Helga dankt wieder artig. Und eilt schon wieder davon. Dieser Cherrytree soll sich ja in seiner Freizeit mit schöngeistigen Büchern beschäftigen, überlegt sie. Sogar Gedichte soll er lesen. Kein Wunder, daß er so komisch redet.
„Ja, sie ist einfach Spitze“, meint der Bauunternehmer. Und alle drei sehen Hamilton an. Doch wartet der geschickterweise, bis Helga wieder an den Tisch kommt: „Helga, du bist ein Juwel. Du gehörst eigentlich in meine Auslage, in mein bestes Fenster, in das auf der Ecke.“
„O danke, danke, Mister Hamilton - aber ich kann nicht gut stillhalten.“
„Dann käme ja auch das phantastische Kleid nicht mehr so zur Geltung, Engelchen“, wird Cherrytree direkt.
Das Kleid hat es ihnen angetan, klar. Spreewälder Tracht, aber davon haben die Herren natürlich keine Ahnung. War doch richtig, es von daheim mitzubringen. Dabei hatte ich erst Bedenken, daß es zu folkloristisch wäre, zu deutsch. Aber es kaschiert eben besonders gut. Schon komisch, was für ein Gerede gestandene Männer sich einfallen lassen, um einer Enddreißigerin ihre Begeisterung zu zeigen. So liebebedürftig alle, als ob sie in ihrer Kindheit zuwenig Liebe abgekriegt hätten. Ja, da wird die Grundlage für alles gelegt, für alles, was später gut wird - oder aber schiefgeht. Deshalb sollen das ja die wichtigsten Jahre sein, diese ersten Jahre, die mit der engsten Verbindung von Mutter und Kind. Und eine Mutter, die in der Zeit keine Zeit hat für ihr Kind, - Helga muß sich energisch zur Ordnung rufen: Die Herren erwarten von mir, daß ich ihnen einen schönen Abend biete. Dazu sind sie hier, und dazu bin ich da. Punktum.
Danach funktioniert wieder alles wie gewünscht. So wie Helga sich den Männern serviert, wird jedes dumme Gefasel verständlich. Dieser endlose graziöse Tanz um den Gast. Und für jeden einen Blick, der ihn fühlen läßt: Ich bin ihr ganz besonderer Lieblingskunde. War wohl doch richtig, einen Mann für die Vertretung zu nehmen. Wenn der auch nicht viel Umsatz gemacht hat. Bei Helga konnten sich junge Frauen als Aushilfen nie halten. Die holten sich hier ihren ersten psychischen Knacks. Zu deutlich wurde ihnen vorgeführt, daß sie mit ihren gerade drei- oder viermal Sechs noch nicht mit einer richtigen Frau konkurrieren können. Bei Helga sitzt eben jedes Kleid, jede Bluse, jeder Pullover haarscharf vor der Kippe zum Gehtnichtmehr. Aber immer noch davor. Und wie sie sich bewegt, das ist ein einziges Geständnis: Ich bin glücklich mit meinem Körper.
„Ein Pfund schöner als das andere“, soll sie einmal eine Kundin ausgelacht haben, die ihr boshaftfreundlich attestiert hatte, sie sei aber schlanker geworden. Frauen fällt es schwer, sich für Helga zu begeistern. Dazu gehört zuviel Selbstlosigkeit. So ist der Denver Press Club zum reinen Männerlokal geworden. Schon damals, am ersten Tag, den Helga am Tresen verbrachte, mußte sie nein sagen. Damals schon. Und dann immer wieder. Sie lehnt seit Jahren alle Heiratsangebote ab, erzählt man sich, die im Suff gelallten wie die ernsthaften. Immer nur: „Keine Zeit zur Familiengründung - meine Familie, das sind Sie alle hier.“ Dabei diese Herzlichkeit, dieses Lächeln ohne alles bardamenhaft Geschäftstüchtige. Deshalb immer das volle Lokal, deshalb immer all die Männer, die stöhnen: „Ein schönes Bier bitte“ und Helga meinen, die an ihren Zigaretten saugen und auf Helgas Busen starren, die sich erst spät verabschieden - und dann aufstehen wie vom Fernseher weggezerrt.
So auch an diesem kühlen Maiabend des Jahres 1967. Es wird zwei Uhr in der Nacht, bis der Club sich etwas geleert hat. Und es ist drei Uhr, als die Vier an ihrem Ecktisch endlich das Lokal für sich haben. Und die Wirtin dazu. Bill Pandosy, den Zapfer, hat sie längst heimgeschickt. Helga schließt die Tür ab und läßt die Rollos herunter, zieht zusätzlich auch noch die Vorhänge zu. Sie weiß, nun wird es noch lange dauern, bis sie Feierabend hat. Denn das sind keine Leute, die man rauswerfen kann. Oder auch nur vorsichtig rausdrängen. Die nicht. Da muß man lächeln, reden, zuhören und mittrinken. Und wenn es noch so schwerfällt diesmal. Immerhin halten die Vier sich ja nicht an einem verschalten Bier fest. Die haben nicht einfach nur den Aufbruch verpaßt, die machen richtig Umsatz. Champagner - und vom teuersten: Pommery. Und weil der Anwalt und der Juwelier schon jeder eine Flasche ausgegeben haben - und Helga selbst ebenfalls eine - ist klar, daß die nächsten beiden Flaschen schon so gut wie verkauft sind. Helga hält den Abend für gelungen. Seit Jahren der schwerste Abend, ja, aber doch ein guter. Dagegen schimpft Pit S. Cherrytree, der Abend sei schon gelaufen:
„Nichts Neues erfahren. Einfach nichts passiert. Scheiße. In heiße Luft investiert.“
„Dann muß der Colorado Courier halt wieder in Patriotismus machen. Von der ersten bis zur letzten Seite: mein Vaterland“, reizt Hamilton ihn.
„Was dagegen, daß ich als glühender Patriot, als begeisterter Amerikaner mein Herz auf der Zunge trage?“
„Schon gut, schon gut. Aber Zunge mag ich nur in Madeira-Sauce“, Hamilton in Feierabendhochstimmung.
„Ich verstehe die Anspielung, aber ich bin kein Ochse. Ich habe eine kinderreiche Familie gegründet. Ich, Pit Cherrytree, bin ein Amerikaner, wie er gebraucht wird. Und ich frage den, der den schönen amerikanischen Namen Hamilton trägt: Wer hier könnte sich wohl vorstellen, etwas anderes zu sein als ein Amerikaner?“
„Hoppla, jetzt wirft der Cherrytree aber alles andere als bunte Blüten auf unsere liebe Helga“, kontert Hamilton.
„Ach so, Helga, ja das ist doch ganz was anderes. Helga ist unsere Wirtin. Die darf eine Deutsche sein.“
„Charmant, sehr charmant“, genießt der Juwelier die Verwirrung seines Kontrahenten.
Der hats grad nötig, mich zu verteidigen, denkt Helga. Und zieht sich in die Küche zurück. Sie sieht wieder den schönen Bernsteinschmuck im Schaufenster bei Hamilton liegen, in der hintersten Ecke im letzten von den neun Schaufenstern. Die Broschen und Ketten mit den dicken honiggelben Steintropfen, mit den geheimnisvollen Einschlüssen, die sie von Kindheit an fasziniert haben. Bernstein, das Gold meiner ostdeutschen Heimat. Bei Hamilton erklärt ein kleines Schild zwischen den Preziosen, daß es sich um russischen Folkloreschmuck handle. Ihn darauf aufmerksam machen? Nein. Als Deutsche muß man sich zurückhalten. Gut, der Krieg ist schon zwanzig Jahre vorbei, gut zwanzig Jahre sogar, aber deutsch, das klingt hier immer noch wie Nazi.
Was Helga in der Küche nicht mitkriegt, das ist die weitere Erörterung des Themas Amerikaner. Daß Amerika die totale Überfremdung droht, wie Billy H. Winters es ausdrückt. „Weil hier jeder Hinterwäldler abstauben will.“ Daß die Amerikaner in Gefahr sind, von fremdrassigen Menschen überschwemmt zu werden. So Dean O’Casey. „Nachdem wir schon jüdisch durchrasst sind bis zum Gehtnichtmehr“, ergänzt Hamilton. Und Pit S. Cherrytree bissig: „Ich verstehe, meine Herren. Deshalb also die Begeisterung für Helga. Nur weil sie eine Deutsche ist. Weil sie zu dem Volk gehört, das die Endlösung der Judenfrage erfunden hat.“
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