1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Er zeigt ein majestätisches Nicken, dann wendet er sich ab und galoppiert über den See davon. Schon nach wenigen Augenblicken ist er in dem Nebel verschwunden, der vom gegenüberliegenden Ufer herüberweht. Lediglich seine Hufschläge bleiben als kräuselnde Wellen auf dem Wasserspiegel zurück.
Ob ich all das nur geträumt habe? Ein Griff an meinen Hinterkopf bestätigt mir, dass der Brautschleier wirklich verloren ist – entrissen von einem Wesen, das mich direkt in den Untergang getragen hätte, wenn ich es geschafft hätte, es zu zähmen und zu beherrschen. So aber hat es mir ein neues Leben geschenkt. In Gedenken an die Liebe, die in seinem Herzen niemals erloschen ist.
Ich wringe das Wasser aus meinem Kleid, dann wende ich mich ab und blicke nach vorn. Nach oben, auf den Gipfel des Berges, dorthin, wo meine eigene Geschichte nun weitergeht. Schon morgen gehöre ich meinem Liebsten allein, und er gehört mir. Ich muss mich sputen.
Denn er wartet auf mich.
Die Jägerin
Lisa Rosenbecker
Lisa Rosenbecker
Lisa Rosenbecker wurde 1991 in Hanau geboren, lebt aber inzwischen in Stuttgart. Sie bezeichnet sich als passionierte Teetrinkerin und Leseratte. Ich gehe davon aus, sie liebt auch Fabeltiere, denn auf der Drachennacht in Leipzig ist sie in einem Drachenkostüm aufgetaucht!
Mit dem Schreiben – und Bloggen – hat sie während ihres Biologiestudiums angefangen. Ihren ersten Fantasyroman veröffentlichte sie 2015: Arya & Finn – Im Sonnenlicht . Seither kann sie sich ein Leben ohne Schreiben nicht mehr vorstellen.
Derzeit arbeitet sie sowohl an einem New-Adult-Projekt als auch an den Plänen für einen dritten Litersum -Roman.
Ihre nachfolgende Geschichte spielt im gleichen Universum wie ihre Bücher Magie aus Gift und Silber und Magie aus Tod und Kupfer , allerdings viele Jahrhunderte zuvor. Sie kann auch ohne Vorkenntnisse gelesen werden. Lisa hat sich nicht von einem Märchen, sondern von einer Figur aus dem griechischen Sagenkreis inspirieren lassen. Die Geschichte selbst verortete sie allerdings am Strand der niederländischen Stadt Harlingen, an dem sie bereits im Urlaub spazieren gegangen ist.
www.lisarosenbecker.de
Die Jägerin
S ie riefen nach ihr, wenn sie ein Monster fanden.
Schwarzes Blut glänzte am Strand in der untergehenden Abendsonne, ehe es in Gischt aufging. Die Brandung des Meeres spülte die Erinnerung an die leblosen Körper hinfort, die bis vor Kurzem im flachen Wasser gelegen hatten.
Sobald der Mond am Himmel stand, würden sich die letzten Überreste in den Weiten des Ozeans verlieren.
Und weitere Monster anlocken.
Ceto wischte sich die klebrigen Hände an ihrer ledernen Weste ab. Der metallische Gestank des Blutes drang ihr in die Nase und in jede Faser ihres Körpers. Er trieb sie an, stärkte sie.
Ihr Schwert lag verwaist zu ihrer Rechten im Sand, sie hatte es im Kampf verloren und trotzdem gewonnen. Mit schweren Schritten ging sie darauf zu, ohne den Blick vom Horizont zu nehmen. Das Wasser reflektierte das Sonnenlicht und blendete sie. Sie kniff die Augen zusammen und suchte die sanften Wellen nach Lebenszeichen ab. Flossen, Finnen, geschuppte Haut – die Monster kamen in allen Formen und Farben, Größen und Stärken vor.
Das Schwert schien bleierner als zuvor, es kostete sie eine Menge Kraft, es aufzuheben. Getrocknetes Blut und Sandkörner verklebten die Klinge, bis zum nächsten Kampf musste sie gesäubert werden. Und verzaubert.
Mit geschulterter Waffe und rasselndem Atem stieg sie den künstlich aufgeschütteten Deich hinauf. Dahinter lag ein Dorf, geschützt vor dem Meer und dessen Launen. Von der Spitze der Erhebung aus überblickte Ceto beides – den Ozean und die Siedlung. Das eine war eine mächtige Naturgewalt, endlos und schön. Das Dorf hingegen, mit seinen windschiefen roten Ziegelhäuschen, die sich dicht an dicht um leere Kanäle drängten, schien sich vor der Welt verstecken zu wollen. Die Gebäude waren niedrig und schlicht errichtet worden, die Menschen eilten nahezu geduckt durch die gepflasterten Gassen. Sie sehnten sich danach, beschützt zu werden. Vor dem, was auf der anderen Seite lauerte. Was hinter dem Deich lebte, sollte dort bleiben.
Deswegen hatte man die Kanäle vor Jahren trockengelegt und die einst so prächtigen Boote und kleineren Schiffe verrotteten ihres Zweckes beraubt auf dem Grund. Vom salzigen Duft der See, der früher die Lunge der Siedlung beseelt hatte, war nicht viel übrig geblieben. Stattdessen roch es modrig und faul.
Ceto rümpfte die Nase, als sie auf der anderen Seite des Deiches hinabstieg und sich auf den Heimweg machte. Sie liebte die Meerluft, den Wind in ihren Haaren und den knirschenden Sand unter ihren Füßen. In der Siedlung fühlte sie sich wie eine Gefangene, aber sie musste ruhen und Kräfte sammeln.
»Hast du es getötet?« Ein Mädchen, vielleicht acht Sommer alt, sprang Ceto in den Weg. Sein Gesicht und die Kleidung waren dreckverschmiert, so wie bei den meisten der hier lebenden Kinder. Ceto trat missmutig einen Schritt zurück.
»Natürlich. Siehst du das Blut nicht?«, fragte sie.
Die Blicke des Mädchens huschten zu dem Schwert. Es streckte eine Hand aus, als wollte es die Waffe berühren. Ceto wandte sich ab und knurrte: »Finger weg.«
»Warum hast du es umgebracht?«, wollte das Kind wissen. Ceto seufzte und lief wortlos weiter. Das Tapsen kleiner nackter Füße auf Pflastersteinen folgte ihr. »Lauf doch nicht weg«, beschwerte sich das Mädchen und holte zu ihr auf. Alle Einwohner hielten respektvollen Abstand zu Ceto, wenn sie ihr begegneten, besonders nach einem Kampf, wenn sie verschmutzt, stinkend und ausgebrannt war. Wieso störte sich das Kind nicht daran?
Das Mädchen zupfte an ihrem Hemd. Ceto zischte und wirbelte herum. »Lass mich in Ruhe!« Ihre Stimme hallte durch die Gasse, das Kind zuckte zusammen und machte endlich kehrt. Schluchzend lief es in die Richtung, aus der es gekommen war.
Zufrieden grunzend setzte Ceto ihren Weg fort.
Sie unterdrückte einen Schrei, als sie an ihrem Haus ankam und das Mädchen dort auf sie wartete. Sein Gesicht war zornesrot und voll stolzer Sturheit.
»Sag es mir«, verlangte es. »Wieso tötest du sie? Warum müssen sie hinter dem Deich bleiben?«
Es war nicht Ceto, die dem Mädchen antwortete, sondern die Monster selbst. Als hätten sie die Frage vernommen, erklang vom Meer aus ein titanisches Brüllen, das die Häuser zum Erzittern brachte. Plötzlich stob der Geschmack von Salz, Blut und unendlicher Trauer durch die Kanäle. Ceto schluckte schwer und die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Das Mädchen stolperte nach hinten und ließ sich Halt suchend gegen die Hauswand fallen. Es sah in den Himmel, als würden die Monster von dort oben herunterstoßen und sie verschlingen.
»Sie stammen aus den dunkelsten Ecken des Meeres, Gnade ist ihnen fremd und sie würden dieses Dorf unter sich begraben, sollten sie es jemals über die Deiche schaffen. Willst du das?«, fragte Ceto. Endlich kamen keine Worte mehr aus dem Mund des Mädchens, es schüttelte nur den Kopf. »Dann verschwinde endlich, damit ich mich ausruhen und sie auch in Zukunft davon abhalten kann.«
So schnell es konnte, rappelte sich das Kind auf, nahm die Beine in die Hand und flüchtete.
Ceto genoss die Ruhe, die sie hinter ihrer Haustür erwartete. Sie lebte in einem alten Bau mit löchrigem Dach, schimmelnden Deckenbalken und knarzenden Türen.
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