1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 »Komm mit mir«, bot sie der Verletzten an.
»Ich heiße Tessa.«
»Komm mit mir, Tessa, und ich werde dir helfen.«
Schwankend kam Tessa auf die Beine und folgte Ceto. Sie humpelte ihr hinterher, während Regen und Wind ihr ins Gesicht schlugen und an ihrem Kleid zerrten. Doch sie verzog keine Miene, klagte nicht über die Schmerzen, die sie haben musste.
Oben auf dem Deich verlor Ceto die Geduld und stützte Tessa den Rest des Weges bis zu ihrem Haus. Sie setzte die junge Frau auf ihr Bett, das Schwert fand seinen Platz auf dem Tisch.
Mit den Fingern fuhr Ceto über die blutigen Fasern des Holzes und sammelte ihre Kräfte. Sie benötigte keine Verbände, keine Salben oder Tinkturen wie die Menschen. Ihr reichte zum Heilen Magie.
»Roí.« Fließen.
Blut quoll aus dem Holz an die Oberfläche und bündelte sich in großen Tropfen. Cetos Hände glitten durch das Schwarz, bis sie vollkommen benetzt waren. Sie ging zu Tessa und legte ihre Finger vorsichtig auf die Beinwunde. Die junge Frau zuckte kurz zurück, dann ließ sie es geschehen.
» Therapeía .« Heilung . Ceto murmelte die Beschwörung mehrmals, um sicherzugehen, dass sie auch Wirkung zeigte. Die Blutmagie gehorchte ihr und machte sich ans Werk, flickte das Fleisch.
Es dauerte nur einige Augenblicke, bis nichts mehr an die Verletzung erinnerte.
Als Ceto aufsah, bemerkte sie Tessas Blick. Die junge Frau musterte sie mit undurchdringlicher Miene. Das Grau ihrer Augen wirbelte umher wie ein feiner Nebel, der Geheimnisse verschluckte. Ceto fühlte sich beobachtet, wie unter einem Vergrößerungsglas. Sie wandte sich dem Waschzuber zu, um ihre Hände zu reinigen.
»Wieso tötet Ihr sie?«, fragte Tessa.
Ceto stockte. Sie hob die noch nicht reinen Hände aus dem Wasser und fuhr herum. »Wieso? Ich habe dir damit das Leben gerettet!«
»Ich meine nicht heute. Sondern alle anderen Tage. Wieso tötet Ihr die Monster?«
Ceto schüttelte den Kopf. »Das verstehst du nicht.«
»Das bedeutet, Ihr wollt es mir nicht sagen«, erwiderte Tessa leise.
Mit einem Stöhnen senkte Ceto die Hände wieder in das Wasser. »Seit wann seid ihr Menschen so neugierig?«
Tessa lachte auf. So einen angenehmen Laut hatte Ceto lange nicht mehr gehört. Nur das Meer und seine unendlichen Weiten klangen schmeichelnder.
»Ihr gebt also zu, dass Ihr kein Mensch seid?«, fragte Tessa. Sie hatte sich erhoben, ging mit bedachten Schritten in dem kleinen, kargen Raum umher und sah sich um.
»Ich habe nie behauptet, einer zu sein«, antwortete Ceto und beobachtete sie. Das war eine ungewöhnliche Frage. Oder war lediglich die Wortwahl ungewöhnlich?
Wer war diese Frau nur?
Sie schien nicht älter als zwanzig Sommer zu sein. Im Vergleich zu Ceto, die schon so lange lebte, dass sie die Jahre nicht mehr zählen konnte, war Tessa nichts weiter als eine kleine, aber feine Laune der Natur. Das türkisblaue Haar, welches das Meer in Cetos bescheidenes Heim zu holen vermochte, fiel in weichen Wellen über Schultern und Rücken. Das Rauschen der wilden See drang in Cetos Ohren. Sie schloss die Augen und verdrängte die Bilder, die sich in ihre Gedanken schoben. Es schmerzte zu sehr.
Tessa legte den Kopf schief und beobachtete Ceto, wie sie sich die Hände wusch. »Darf ich Euch morgen dabei zusehen, wie Ihr eines der Monster jagt? Vielleicht verstehe ich Euch dann.«
»Warum willst du das?«
Tessa lächelte verschmitzt. »Weil ich ein neugieriger Mensch bin.«
Ceto zögerte und ertappte sich selbst dabei. Zögern war ein Fehler. »Im Morgengrauen ziehen wir los.«
Sturmböen fegten Ceto fast von den Füßen, als sie an Tessas Seite auf dem Deich stand und auf den anthrazitfarbenen Ozean hinausblickte. Weiße Schaumfelder krönten die Wellen, die sich in der Melodie des Wassers wiegten. Cetos Herz zog sich zusammen, zog sich hinein in die Leere in ihr.
Tessa blieb zurück, als Ceto den Deich hinunter- und in die Fluten lief, das Schwert kampfbereit erhoben. Ihre Lunge füllte sich mit dem salzigen Duft der ewigen Weite um sie herum.
Es dauerte nicht lange, bis sie das Monster entdeckte. Pechschwarz und träge schwamm das riesige Biest nur wenige Schritte von Ceto entfernt durch das Wasser. Ein Kopf erhob sich aus der Gischt und reckte sich empor. Jadefarbene Augen starrten auf Ceto herab, ein langer Hals ging in einen noch längeren Körper über, der geschützt von scharfkantigen Schuppen unter der Oberfläche ruhte. Cetos Blick huschte wie von selbst zu der Schwachstelle des Monsters – die Brust, in der sein schwaches Herz schlug. Das Wesen rührte sich nicht, es zögerte.
Ceto griff an. Das Biest schrie und tobte, wehrte sich und schnappte mit seinem Maul nach ihr. Doch es unterlag und Ceto sah ihm nicht in die Augen, als alle Kraft aus ihm sickerte. Wellen griffen nach der leblosen Hülle, zogen sie in ihre Umarmung und schenkten dem Wesen die letzte Ruhe.
Ceto watete ans Ufer und blickte den Deich hinauf. Tessa war verschwunden.
Sie suchte den Hügelkamm ab und den Strand. War sie ins Dorf gegangen? Hatte sie der Anblick des Kampfes so verstört?
Doch auch in den Straßen und ihrem Haus wartete Tessa nicht auf sie. Ceto war wieder allein.
Mit dem nächsten Sonnenaufgang stand Ceto erneut am Strand. Dunkle Wolken hingen am Himmel, doch es regnete und stürmte nicht. Der Ozean war ein quecksilbriger Spiegel und lag still da. Zu still. Als würde er auf etwas warten.
Ceto ließ das Schwert sinken und die Spitze tauchte in den Sand ein. Da waren keine Geräusche, die Welt hielt den Atem an. Sie sah nach oben, in Richtung des Olymps und fragte sich, ob Götter auf dem Weg zur Erde waren.
Doch es waren nicht Götter, die sich ihr im nächsten Augenblick offenbarten.
Wellen rauschten, Schaumkronen erblühten und vergingen, dann brach der erste geschuppte Leib durch die Oberfläche. Dann noch einer und noch einer. Seeschlangen, Kraken, Strudelwürmer und Sturmfische. Glitschige Haut, scharfkantige Schuppen und messerscharfe Zähne blitzten ihr entgegen. Alle Augen waren auf sie gerichtet, das spürte sie, auch wenn sie den Bestien nicht ins Gesicht sah. Es waren Dutzende, wenn nicht an die hundert Monster, die sich hier versammelt hatten.
Ceto hielt wie die Welt den Atem an, als das Meer sich aufbäumte und ein weiteres Wesen ausspuckte. Es war der blaue Hippokamp, den sie vertrieben hatte. Anmutig und stolz erhob sich das Tier vor ihr. Dann senkte es den Kopf und Ceto sah die Reiterin auf dem Rücken. Vor Schreck glitt ihr das Schwert aus der Hand und landete klirrend im Sand.
Tessa hatte sich das Aquamarinhaar zu einem Zopf geflochten, darin glitzerten Perlen, kleine Muscheln und Nadeln aus Perlmutt. Eine enge Weste schmiegte sich an ihren Oberkörper, ihre Beine steckten in dunklen Hosen, die Füße waren nackt. Sie ließ sich vom Rücken des Hippokampen gleiten und kam zum Ufer gelaufen, verließ das sichere Wasser jedoch nicht.
Cetos Körper war wie versteinert, sie rührte sich nicht, als die junge Frau auf sie zukam. Ihre grauen Augen schienen zu glühen, als hätte der Mond ihr etwas von seinem Glanz geschenkt.
»Ceto«, begrüßte Tessa sie mit ruhiger Stimme. Dann verneigte sie sich vor ihr. »Es ist mir eine Ehre, der Göttin der Meere und der Mutter aller Seemonster persönlich gegenüberstehen zu dürfen.« Sie richtete sich auf und ihre Miene verfinsterte sich. »Allerdings bin ich nicht hier, um Euch zu huldigen.«
Ceto schwieg. Ihr unsterbliches, göttliches Herz schlug nur noch schwach in ihrer Brust. Lange, lange hatte sie niemand mehr so genannt, geschweige denn sich vor ihr verneigt. Jetzt verstand sie, dass sie das nicht vermisst hatte. Weil sie es nicht verdiente. Sie rührte sich nicht und wartete.
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