1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Das Schwert legte sie auf einen Tisch, dessen Holz dunkel verfärbt war. Blut von unzähligen Gefechten und toten Monstern war in die Holzfasern gesickert und erinnerte Ceto daran, was für ein Leben sie führte.
Sie schälte sich die triefende Kleidung vom Körper und warf sie neben die Waffe auf den Tisch. Später würde sie nachsehen, was davon noch zu gebrauchen war und gewaschen werden konnte, und welche Teile sie entsorgen musste. Doch zunächst stieg sie selbst in den Waschzuber, der mit glasklarem Wasser gefüllt war. Sie spürte die Kälte nicht, als sie hineinglitt.
Da war nichts. Nur ein Element an ihrer Haut, das sich langsam schwarz färbte wie das Meer nach einem Tod. Sand rieselte aus ihren Haaren und sammelte sich am Boden des hölzernen Zubers. Sie strich mit nackten Fußsohlen darüber und ein kleiner Seufzer entfuhr ihr. Kaum war er ihren Lippen entschlüpft, erhob sie sich und stieg aus dem Bottich.
Das Wasser perlte langsam ihren Körper herab, als wollte es sie nicht ziehen lassen. Sie ließ die Tropfen, wo sie waren, und griff nach ihrem Schwert, das ihre Stelle in dem Waschzuber einnahm. Sie schob es hinein, bis auch der Griff vom Nass bedeckt war. Es dauerte einen Moment, bis das Wasser sich beruhigt hatte.
Mit gespreizten Fingern fuhr sie über die stille Oberfläche.
» Anagénnisi.« Regeneration.
Der Schaft des Schwertes leuchtete silbern auf und das Blut im Wasser zog sich zu langsam kreisenden Wirbeln zusammen, der Sand am Boden tat es ihm gleich. Ceto wiederholte die magischen Worte wieder und wieder. Das Metall sog das Schwarz und den Sand gierig auf, bis nichts zurückblieb als eine klare Flüssigkeit.
Die Waffe enthielt das Blut unzähliger getöteter Monster. Jedes von ihnen verlieh ihr mehr Macht. Jedes von ihnen half dabei, ein weiteres Monster zu töten.
Der Sand schenkte der Klinge die Gabe, die zarte Haut des Meeres zu zerschneiden. Ceto hörte die Schreie der Monster und der See, wenn das Silber sie zerfetzte. Sie selbst sog diese Hilferufe auf wie das Schwert das Blut.
Sie spürte nicht, ob sie das stärker oder schwächer machte.
Sie hatte vor langer, langer Zeit aufgehört, sich das zu fragen.
Weil sie nicht wusste, ob sie die Antwort ertragen konnte.
Am nächsten Morgen weckte der Regen die Siedlung mit seinem Gesang. Feine Tropfen fielen aus dem Himmel und strichen federleicht über die Dächer, um ihnen eine Melodie zu entlocken.
Ceto hörte es. Das Lied des Wassers trieb sie zum Aufbruch an.
Auf dem unebenen Boden vor ihrer Haustür hatte sich eine große Pfütze gebildet, in der sich ihr Gesicht spiegelte.
Rauchgraue Haare, dunkle Augen und eine durchscheinende blasse Haut auf einem Antlitz, das alterslos, aber schön war. Ohne hinzusehen, zerstörte sie das Bild mit ihrem Fuß, zog sich die Kapuze über den Kopf und eilte mit dem Schwert in der Hand los.
Alles an diesem Tag war grau. Der Himmel, das Meer, der Strand. Am Horizont gab es kaum einen Unterschied zwischen dem Ende der Welt und dem Anfang des Firmaments. Die Sphären gingen ineinander über, küssten sich.
In jenen Augenblicken wurde ein besonderes Schicksal geboren. Eines, das so farbenprächtig, so alles überstrahlend war, dass der Rest des Universums für einen Moment zu verblassen schien.
Der Wind peitschte Regen in Cetos Gesicht wie tausend feine Nadelstiche, die in ihre Haut eindrangen. Ihre Nase war eisig und sie blinzelte mehrmals, um die Tropfen von ihren Wimpern zu vertreiben. Ihre Füße gruben sich in den Sand, als sie Schritt für Schritt auf das Meer zuging.
Heute waren die Wellen höher, die Strömung gieriger.
Und die Monster waren nach wie vor Monster.
Knietief stand Ceto im Wasser, als ein paar Schritte vor ihr ein dunkler Schatten durch die Fluten glitt. Selbst durch die düstergraue Färbung und den aufgewirbelten Sand waren die leuchtend blauen Schuppen zu sehen.
Als hätte das Biest auf sie gewartet.
Sie folgte ihm, langsam. Nicht dass es etwas nützte, es hatte sie ohnehin schon gewittert. Aber alle Monster, die ihr begegneten, begangen denselben Fehler.
Sie zögerten. Und sobald Ceto mit dem Schwert die Wellen teilte, war es für sie zu spät.
So würde es auch heute wieder sein.
Ceto näherte sich dem Wesen mit bedächtigen Schritten, immer darauf besonnen, die Waffe nicht zu früh in das Meer zu stoßen.
Plötzlich machte das Tier einen Satz. Ceto riss die Augen auf und schlug zu – und traf nur Wasser. Es schäumte und kräuselte sich an den Rändern seiner Wunde, zischte seiner Angreiferin eine Warnung zu, die im Nichts verhallte.
Das Monster war verschwunden.
Vom Strand ertönte ein hoher Schrei. Ceto wirbelte herum und sah zum Ufer.
Mit schreckgeweiteten Augen erblickte sie eine junge Frau, die wadentief im Wasser stand. Nein. Gestanden hatte. Jetzt lief sie strauchelnd rückwärts und ruderte mit den Armen. Vor ihr im Wasser schimmerte es.
Ceto rannte in dem Moment los, als ein blau schillernder Körper aus der Brandung schoss und nach dem Bein der jungen Frau schnappte. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein Tentakel, doch dann erkannte Ceto zwei angelegte Flossen an der Spitze.
Es war der Schweif eines Hippokampen, der sich in diesem Moment aus dem Wasser erhob. Diese außergewöhnlichen Wesen, halb Pferd, halb Fisch, waren genauso anmutig wie grauenhaft und sie gehörten nicht zu jenen Monstern, die Ceto normalerweise jagte.
Heute würde sie eine Ausnahme machen.
Sie rannte auf das Wesen zu. Es hatte sein Opfer an der Wade gepackt und es umgerissen. Die junge Frau schrie und zappelte, trat mit dem freien Fuß nach dem Monster. Doch es half nichts. Das Kleid rutschte ihren Körper hinauf, als der Hippokamp sie zu sich in die Wellen zog.
Ceto hob das Schwert und hieb nach dem Schweif mit der Flosse. Das Biest war schnell und geschickt. Es ließ von der Frau ab, ehe es von der Waffe getroffen werden konnte. Die Klinge zerteilte nur das Wasser und die Gischt. Das Tier verschwand.
Still und wachsam verharrte Ceto für einige Augenblicke an Ort und Stelle, doch das Wesen kam nicht wieder.
Die junge Frau war ans Ufer gehumpelt und saß am Strand, wenige Meter von den lockenden Ausläufern der Brandung entfernt. Ihre dichten Haare waren ein strahlend türkiser Farbklecks an diesem aschfahlen Tag, sie hingen ihr wirr vom Kopf. Ein schlichtes Wollkleid klebte an ihrem Körper, betonte jede Kurve. Sie war hübsch, trotz der rot unterlaufenen Augen. Ihre Iriden waren so farblos und grau wie die Welt und das Meer an jenem Morgen. Und wie der Regen diesen Tag, trübten Tränen ihre Sicht. Doch sie sah Ceto direkt an, voller Ehrfurcht oder Furcht – dazwischen verlief nur ein schmaler Grat.
Ceto schritt aus dem Wasser und zog die Klinge durch die Wellen, die zeterten und schrien. Diese Warnung war nötig. Der Hippokamp sollte fernbleiben.
Das rechte Bein der jungen Frau blutete, wo die Schuppen des Hippokampen die Haut aufgeritzt hatten.
»Du musst es auswaschen und verbinden«, riet Ceto ihr und lief an ihr vorbei Richtung Deich. Heute würde sie kein Monster mehr töten. Solange der Hippokamp in der Nähe war, trauten die anderen sich nicht an den Strand heran.
»Danke«, flüsterte die junge Frau mit zittriger Stimme.
Ceto hielt inne. Noch nie hatte jemand diese Worte an sie gerichtet. Es rief ein eigenartiges Gefühl in ihrer Brust hervor, die sie leer geglaubt hatte. Sie drehte sich nicht um, als sie sagte: »Halte dich vom Ozean fern.«
»Das kann ich nicht«, erwiderte die Fremde. Nun wandte sich Ceto ihr doch zu. Die aquamarinfarbenen Haare wehten im Wind, während sie in die Ferne blickte. Ceto verstand ihre Sehnsucht, ihre Qual.
Читать дальше