Der Kommerzienrat hörte die Wendung, die von den Fremden kaum verstanden wurde, schweigend mit an. Ganz nebenbei bemerkte er beim Gutenachtsagen zu Fritz: „Vom nächsten Ersten ab beziehst du kein Taschengeld mehr, Fritz, sondern Gehalt. Nimm dir dann irgendwo ein eigenes Quartier! Zu den Mahlzeiten erwarte ich dich immer. Bist du am Kommen verhindert, geschäftlich oder weil du anderes vorhast, dann lass es durch den Jungen oder den Diener die Haushälterin wissen, damit das Gedeck nicht unbenutzt dasteht und jeder fragt, wer fehlt und warum. Das Jungenzimmer kann für die Whistpartien eingerichtet werden. Zeichne gelegentlich selbst einen Plan. Oder besprich die Sache mit Baurat Sierke. Der trifft freilich kaum den Geschmack unserer Damen. Vielleicht gelingt es dir eher.“ Er gab ihm die kurze, rauhe, immer etwas zurückhaltende, wenn nicht abwehrende Hand. „Der Zustimmung von Minna bist du doch sicher, denke ich.“
Aus dem Ton von E. F. W. konnte man so leicht nicht klug werden. Lag hier eine bestimmte Frage vor? Etwa eine Aufforderung? Hatte E. F. W. ernsthaft mit Dora oder Martha oder gar mit Pinneke über den Plan gesprochen, der früher manchmal so halb im Scherz berührt worden war: dass er und Minna füreinander bestimmt seien?
Minna kam am Abend nicht, kam auch weder am Mittwoch noch am Donnerstag. Ein Depeschenwechsel mit Tante Trude folgte. Endlich traf die telegraphische Nachricht aus Pyrmont ein, dass Minna Freitag abend zu Tisch zurück sein würde.
Der Kommerzienrat suchte seine Verärgerung zu verbergen. Aber auch in den verschiedenen geschäftlichen Auseinandersetzungen, die es in der Fabrik gab, zeigte er sich wenig zugänglich. Die Buchhalter und Ingenieure, die Werkführer und Lagerinspektoren wussten jede Muskelbewegung in seinem Gesicht zu deuten. Wer ihm heute ausweichen konnte, der tat es.
In den Tagen, in denen der Geschäftsbesuch aus Schottland ihn sehr in Anspruch nahm, hatte Fritz keine Gelegenheit gefunden, sich zu einer eingehenden Besprechung zu melden. Heute liess E. F. W. ihn rufen.
Er war überrascht, dass Fritz den Auftrag, der mit zahlreichen Besuchen in ganz Berlin verknüpft gewesen war, bereits prompt erledigt hatte. Für die feine Kritik, die Fritz an verschiedenen Konkurrenten, Vettern und Namensvettern übte, hatte E. F. W. ein ebenso feines Lächeln. Es freute ihn, dass sämtliche Nidders auf seinen Vorschlag eingingen. Die Garantiesumme hatte sich noch erhöht. Einstimmig wurde ihm der ehrenvolle Auftrag, die Vertretung der Firmen Nidders zu übernehmen, d. h. seinen Notar mit dem Entwurf eines Vertrages zu betrauen. „Nun gebe nur das gütige Geschick“, sagte E. F. W. trocken, „dass der Garantiefonds niemals auch nur mit einem halben Prozent in Anspruch genommen werden muss. Sonst setzen die sich alle wieder auf die Hinterfüsse und strengen Prozesse an.“
„Es wird gewiss in der ganzen Geschäftswelt einen glänzenden Eindruck machen“, meinte Fritz, „dass von den Nidders allein über eine Viertelmillion garantiert wird. Und zeichnet Rolf Nidders wirklich seine achtzigtausend, worüber er sich morgen nach der Börse entscheiden will — —“
„Er ist zweifellos an der Geländespekulation in Witzleben beteiligt“, warf der Kommerzienrat ein.
„— — dann sind es im ganzen sogar zweihundertneunzigtausend Mark.“
E. F. W. strich sich den kurzen Graubart. „Füllen wir es zu dreihunderttausend auf! Das ist eine runde Zahl. Und es ist dieselbe Summe, die von der Stadt Berlin aufgebracht wird. Das heisst: nicht etwa für den Garantiefonds, sondern als richtiger barer Zuschuss. Stadtrat Mensing hat mich eigens deswegen aufgesucht. Dachte, ich würde ebenso erschrocken sein wie er. Die politischen Drahtzieher sind schon wieder in allen Lagern an der Arbeit. Es kann einem beinahe den Geschmack verderben ... Übrigens habe ich für heute abend nach dem Essen Kegeln angesetzt. Bisschen Bewegung tut einem not. Quandtner, Höllisch und Fresenius kommen mit ihren Damen. Die können ganz lustig sein. Höllisch versteht etwas von der Kunst, Bowlen zu brauen. Wenn er dich bittet, ihm behilflich zu sein, dann lasse ihn schalten und walten. Nur falls er die Bowle im letzten Augenblick wieder mit Kognak totschlagen will, wie schon im Winter einmal, dann greife rücksichtslos ein. — Dora hat mir versprochen, zu Minna nett zu sein. Hoffentlich seid ihr heute abend also, wenn Minna zum erstenmal wieder dabei ist, alle recht vergnügt.“
... Die Arbeit für Fritz war in der letzten Woche stark angestiegen. E. F. W. hatte ihm, da eine schlimme Regenzeit für Berlin gekommen war, das kleine Coupé zur Verfügung gestellt. Es folgte eine Fahrt, eine Besprechung der andern. Die Grosszügigkeit der ersten Anwandlung hielt bei den Zeichnungen nicht an. Als die Summe, die die Firmen Nidders für den Garantiefonds zu zeichnen bereit waren, in den Tageszeitungen genannt wurde, meldeten sich bei ihnen allen entsetzte oder doch besorgte Geschäftsfreunde, die über die Aussichten einer Berliner Ausstellung die erschütterndsten Nachrichten verbreiteten.
Zufällig erfuhr Frau Jenny Nidders davon, dass Geheimrat Fresenius von E. F. W. zu einem Kegelabend eingeladen war. Sie meinte: Da wäre nun doch endlich eine gute Gelegenheit gewesen, einen freundschaftlichen Verkehr mit ihnen aufzunehmen; grosses Diner mit Frack und Claque verlange sie ja gar nicht ... Fritz hatte also Mühe, die Unterschrift von Heinrich Nidders unter die Zeichnungsurkunde schliesslich doch noch durchzusetzen.
„Sie dürfen mich nicht missverstehen, lieber Herr Vetter!“ sagte Heinrich Nidders, indem er breit das seidene Futter seines Gehrocks umschlug und die neumodische Bügelfalte seiner Hose sehen liess. „Es ist kein Misstrauen, kein Ärger, keine Verstimmung, ich bin auch durchaus nicht ängstlich, im Gegenteil, wir fangen hier endlich ja auch schon an, uns als königliche Kaufleute zu fühlen, aber das Vertrauen zueinander könnte doch gerade bei persönlichen Begegnungen erstarken. Nun ja: My home is my castle ... Wenn Sie übrigens einmal ein besseres Geschäft anzubieten haben, vertraulich, lieber Herr Vetter, etwa eine Beteiligung irgendwo, dann geben Sie mir ruhig einen Wink! Haben Sie gehört, dass Witzleben nun doch mit Macht von den verschiedensten Seiten gestützt wird? Grosse Banken sollen dahinterstehen. Ich höre, es wird da draussen schon wieder lebhaft spekuliert. Quandtner müsste Positives wissen. Vielleicht lässt er so beim Kegeln ein paar Bemerkungen fallen?“
Dieser Heinrich Nidders war für Fritz der lästigste Zuwachs, den ihm seine Bemühungen um die Garantiefondszeichner bisher eingebracht hatten. Die anderen Grosskaufleute und Grossindustriellen Nidders waren zwar auch Grossverdiener, dabei aber Köpfe von Format. Fritz hatte in England keine Ahnung von der geschäftlichen Riesenentwicklung gehabt, in die jetzt diese fast noch kleine preussische Residenz hineinwuchs.
Die freudigste Überraschung seiner Werbefahrten durch Gross-Berlin war und blieb die Bekanntschaft mit Fränze Daus. Er hätte sich darüber gern einmal einem gutgesinnten Menschen anvertraut. Freunde, Kameraden besass er nicht; und im Hause E. F. W. durfte er aus seinem Innenleben ja schon gar keine Silbe verraten.
Minnas Ankunft sah er fast mit Bedrückung entgegen. Ihre Schwestern schienen ebenso wie ihr Vater damit zu rechnen, dass er sich mit Minna ausspräche: da es nun schon für erforderlich angesehen wurde, dass er — als heimlich Verlobter — nicht mehr Tür an Tür mit ihr wohnte! Er befand sich in einer ganz seltsamen Verfassung. Minna war früher die einzige der drei Nidderstöchter gewesen, die ihm in den paar Ferienwochen nicht geradezu feindlich entgegengetreten war. Aber seit ein paar Tagen, je näher das Wiedersehen mit ihr rückte, steigerte sich in ihm der Trotz. Seine Heirat sollte für ihn kein Geschäft sein, keine Spekulation. Vielleicht hätte er den Widerstand in sich gar nicht so stark gefühlt, wenn er nicht da draussen an der Köpenicker Landstrasse diesem prächtigen jungen Geschöpf begegnet wäre. Seelisch gesund, unverbildet war sie, die Fränze Daus, von einer sauberen und doch bezwingenden Leidenschaftlichkeit. Und hübsch und jung und tapfer war sie. Die zwang das Leben, die befahl ihrem Schicksal. Geld hatte sie nicht, aber Unternehmungsmut besass sie. Keine der reichen Nidderstöchter konnte ihr das Wasser reichen.
Читать дальше