„Auch, wenn Pa dir grosse Versprechungen macht —? Ja, sei mir nicht gleich bitterböse, Fritz! Hier im Hause wird das Wort ‚Geld‘ mit vier grossen Buchstaben geschrieben. Ich dachte lange Zeit, du machtest keine Ausnahme von den Nidders. Wärst wohl auch die erste.“
„Doch nicht. Mein Vater zum Beispiel hat ein ganz armes Ding geheiratet und dafür den Zorn seiner ganzen Familie in Kauf genommen.“
„Richtig. Das Münchner Kindl. Und du?“ Sie nahm seine Hand und presste sie auf ihr Knie. „Weisst du, ein paarmal in den letzten Wochen hab’ ich mir ausgedacht: Am Ende hat mein Schicksal sich die Pointe vorbehalten, dass der gute Fritz sich auch schon anderweit verliebt und heimlich verlobt hat. Du: Stimmt das? Sag doch! Du bist doch ein hübscher Bengel, Fritz. Eine grundehrliche Haut obendrein. Sollst zu allem auch noch ein fabelhaft geschickter und moderner Geschäftsmann sein. Reiten kannst du, kutschieren, schwimmen. Bloss im Tennis bist du schwach. Tausend nette Mädel gibt’s in Berlin W, die glücklich werden könnten mit dir. Und du mit einer von ihnen. Es braucht ja nicht mal ein Münchner Kindl zu sein. Hast du Lotte von Briest eigentlich wiedergesehn? Die schwärmt noch immer für dich. Riesenvermögen steht dahinter. Und liebes, forsches Ding ist sie. Nee, mein Junge, brauchst mir kein Geständnis zu machen, wenn du nicht magst! Ich will dich nicht quälen. Also ehrlich, Fritz: Ich wünsche dir aus ganzem Herzen, dass dich die Liebe geradeso anpackt wie mich. Denn dann weiss ich: Alles, was Pa sagt, ist in den Wind geredet.“ Nun standen die Tränen in ihren Augen, aber sie lachte ihn an. Für ein paar Sekunden presste sie seine Hand an ihre Wange. „Hilfst du mir, Fritz?“
„Wenn Pa mich fragen sollte, wie ich über eine Ehe mit dir dächte, dann — dann würde ich schlechter und härter über dich urteilen, als ich jetzt in Wirklichkeit von dir denke.“
Sie schob ihren Mund auf seine Hand und küsste sie.
Er zuckte zusammen. „Das sollst du doch nicht, Minna!“
„Ach, egal. Ich bin dir dankbar, Fritz. Du musst mir aber auch zu Geld verhelfen, Fritz. Irgendwie. Ich muss Bert retten. Und es muss rasch sein.“ Aus ihrer Ärmeltasche im Morgenrock zog sie einige Papiere. „Ich habe mein Bankkonto bei Breuer. Das Erbe von Ma ist doch unter uns dreien geteilt worden. Dora hat wohl schon alles verputzt. Ich war auch nicht eben sparsam. Aber wieviel ich noch habe, bring’ ich nicht heraus. Da sind doch auch noch Aktien. Sieh einmal den letzten Kontoauszug nach! Morgen brauch’ ich das Geld. Spätestens übermorgen.“
„Wenn ich dir helfen soll, Minna, dann muss ich auch Gelegenheit haben, dir zu raten.“
„Du würdest mir ja doch nur abraten. Zuraten gewiss nicht. So viel Geschäftsmann ist jetzt wohl selbst der Junge vom Münchner Kindl.“
„Minna, du weisst, dass du mich da vor eine schwere Verantwortung stellst ...“
„Verantwortung? Trage ich selbst. Es handelt sich nicht um Geld von Pa, sondern um das meinige. Seitdem ich mündig bin, kümmert er sich nicht mehr darum. Es ist für ihn wohl nur eine Lappalie.“
„Er erfährt aber schliesslich doch einmal, dass ich meine Hand im Spiel gehabt hab’, und ich empfinde es ihm gegenüber als nicht ganz fair.“
„Ach, fair! Wenn er uns zusammenkuppeln will, uns beide, die wir gar nicht zueinander passen und die wir uns aufs heftigste dagegen sträuben — ist das etwa fair? Für ihn ist Geschäft eben Geschäft. Mach mir doch keine Umstände! Sprech’ ich mit Breuer, dann bringt der seine Witzchen an, trifft Pa in irgendeiner Sitzung und klatscht ihm sofort alles unterm Siegel der Verschwiegenheit ... Nein, Fritz, du brauchst mir zunächst mal bloss auszurechnen, was das Zeug da alles zusammen noch wert ist.“
„Willst du denn alles abheben?“
„Darüber entscheide ich mich, wenn ich weiss — —“ Sie wurde plötzlich von einem Schüttelfrost gepackt. „Du, Fritz, mir ist hundeschlecht. Ich muss ins Bett. Die Tür bleibt auf. Sieh dir hier alles an, rechne zusammen, und dann kommst du zu mir, Fritz! Sei doch mein guter — alter — Kamerad!“ Die Zähne klapperten ihr hörbar aufeinander. Ganz hilflos war sie jetzt.
Er legte die Papiere auf den Schreibtisch, half ihr beim Sichaufrichten und Gehen und führte sie zur Verbindungstür. Der enge Schacht innerhalb der Doppeltür war zur Hälfte mit Hutschachteln und Kartons ausgefüllt. Wie ein Häuflein Unglück schlich sie dazwischen durch, nun doch wohl voller Angst, dass es Lärm geben und dass eine der Schwestern oder jemand von den Hausangestellten es hören könnte ...
Als Fritz eine halbe Stunde später ebenso vorsichtig ins Balkonzimmer eintrat, lag Minna im Bett. Sie schien sich mitsamt dem Kleid und dem Morgenrock hingelegt zu haben. Ihre Backen waren rot, ihre Augen fieberglänzend. „Du bist krank, du hast Fieber. Hat es Sinn, jetzt noch über diese Geschäftssachen zu verhandeln?“
„Wieviel hab’ ich noch?“
„Die Aufstellung reicht nur bis zum ersten April. Hast du seitdem abgehoben?“
„Paar hundert. Es müssen aber doch noch Wertpapiere auf der Bank liegen?“
„Ist alles beliehen. Du hast ohne Zinsen etwa siebenunddreissigeinhalb Mille bei Breuer.“
„Mehr nicht?“ Sie drehte den Kopf rechts und links herum, immer wieder, ganz verzweifelt. „Ich brauche fünfundachtzigtausend Mark.“
„Du selbst? Woher hast du solche Schulden?“
„Bert ist gerettet, wenn er seine Grundstücke sofort freibekommt. Rest vom Gut. Dort bei Witzleben. Wo die Ausstellung sein wird. Er hat bis jetzt nur die Wechsel unterschrieben. Fällig am dreissigsten April. Hypothek kommt auf Grund und Boden, wenn bis ersten Mai mittags nicht gezahlt ist. Lankrit sitzt in Ostpreussen, braucht das Geld dringend und kann die drei Wochen nicht mehr warten, bis die Landstücke ums Doppelte, ums Dreifache loszuschlagen wären.“
„Wer ist Bert, Minna?“ fragte er unruhig.
„Bert ist Bert.“ Sie richtete sich auf, klammerte sich an ihn; ihr Körper war heiss, auf ihrer Stirn standen Schweisstropfen. „Überling. Bert von Überling. Er ist jetzt Direktor vom Tattersall. Um seinen Vater steht es schlecht — ich weiss, ich weiss. Bert hat durch ihn auch schwer gelitten. Aber jetzt könnte reiner Tisch gemacht werden. Morgen ist eine wichtige Sitzung vom Arbeitsausschuss der Ausstellung. Da entscheidet sich viel, wenn nicht alles. In den verschiedenen Lagern arbeitet man jetzt mit allen möglichen Mitteln. Aber Witzleben setzt sich durch. Mit einem Schlag schnellt dann der Preis für das Land in die Höhe. Denk bloss an, Fritz, was das bedeutet! Statt fünfundachtzigtausend eine Viertelmillion. Einmal im Leben wird ihm eine solche Chance geboten. Warum soll statt seiner der Lankrit den Gewinn einstreichen? Der hat ihn noch bei jedem Pferdeverkauf übers Ohr gehauen. Für Bert bedeutet es den Aufstieg. Gesundung. Trennung von aller Misere. Vor allem von seinem Vater. Und für Bert und mich ist es das Glück. Denn dann ist er schuldenfrei. Und Pa kann nichts mehr gegen ihn einwenden.“
„Und warum sprichst du nicht ganz ruhig mit Pa darüber?“
Wie irre sah sie ihn an. Aufschluchzend warf sie sich dann gegen seine Schulter. „Ich bin — so entsetzlich allein! Pa sollte mich anhören, Pa mir helfen, Pa etwas tun aus Liebe? Ein Rechenexempel ist ihm das ganze Leben! Eine Nummer bin ich für ihn, eine Zahl. Und du hilfst mir auch nicht? Ach, Fritz —!“
Sie war so aufgeregt, dass er Mühe hatte, sie zu beruhigen. Einmal hielt er ihr den Mund zu, weil er glaubte, draussen auf der Diele ein Geräusch vernommen zu haben.
Sie umklammerte seine Hand, presste ihre Zähne gegen seine Finger, warf sich hin und her. „Hilf mir. Fritz! Ach, hilf mir doch!“
„Ich werde nachdenken, was sich tun lässt. Bleib jetzt ruhig liegen! Versuch zu schlafen!“
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