Seine Oberen machten ihn zum Küchenmeister und vertrauten ihm die Klosterküche an. Wie Bruder Lorenz selbst gelegentlich sagte, war dies wahrhaftig nicht sein Traumberuf; er hatte »von Natur aus eine ausgesprochene Abneigung« gegen die Küchenarbeit. Fünfzehn Jahre lang übte er das Amt des klösterlichen Küchenmeisters aus. Später durfte er als Schuster seinen Brüdern die Sandalen flicken.
Dem Bruder Lorenz waren solche Arbeiten gerade recht. Nie hätte er diese Dienste als zu niedrig oder gar als unter seiner Würde eingestuft. Im Gegenteil, er liebte die einfachsten Arbeiten, gaben sie ihm doch die Möglichkeit, seiner Berufung zu folgen, alles nur aus Liebe zu Gott zu tun und Gott in und mit diesen einfachen Verrichtungen zu dienen und anzubeten.
Wer das eigene Zeugnis des Bruders Lorenz über seine Erfahrungen liest, wird vor allem fasziniert sein von der unglaublichen Freude, die er bei seiner Arbeit erlebte. »In beständiger Freude« bringe er sein Leben zu, so hat er es selbst einmal gesagt (vgl. Seite 54). Und diese Freude war offenbar nicht aufgesetzt, nicht eingebildet oder aufgezwungen, sondern echt und glaubwürdig. So erlebten ihn jedenfalls seine Mitbrüder und bald auch die Besucher, die ratsuchend ins Kloster kamen und den stillen Bruder um Wegweisung für ihr Seelenheil baten. Auf diese Weise wurde Bruder Lorenz bekannt, obwohl er die Verborgenheit liebte.
So lebte Bruder Lorenz in ruhigem Gleichmaß seinen Glauben und seine Gottesliebe, unauffällig und ohne Stress, so wurde er alt und älter, bis er nach einer nur wenige Tage währenden Krankheitszeit am 12. Februar 1691 für immer die Augen schloss. Er starb, wie die Alten sagten, »selig«. Über seine letzten Tage und Stunden gibt Gerhard Tersteegen (Seite 323 f.) den folgenden Bericht, den wir hier im Wortlaut, ohne sprachliche Überarbeitung, wiedergeben:
Da nun der Bruder Lorenz bei seinem Leben seinen Gott so brünstig geliebt, so liebte er Ihn nicht weniger in seinem Tode. Er übte noch immer Taten der Liebe aus; und als er von einem Bruder gefragt wurde, ob er Gott aus ganzem Herzen liebe, da antwortete er: »Ach, wenn ich wüsste, dass mein Herz meinen Gott nicht liebte, so wollte ich es sogleich ausreißen.« Seine Krankheit wurde zusehends immer größer, so dass man ihm das Abendmahl reichte, welches er freudig, mit völliger Erkenntnis und gesundem Verstand (welchen er bis zum letzten Atemzug behalten), empfangen .
Ob man ihn schon Tag und Nacht keinen Augenblick allein gelassen, sondern ihm alle mögliche Hilfe geleistet, die er von der Liebe seiner Mitbrüder hoffen konnte, so hat man ihn doch, nachdem er das Heilige Abendmahl empfangen, ein wenig ruhen lassen, um die letzten, so schätzbaren Augenblicke des Lebens sich noch zunutze zu machen, und die hohe Gnade, so er von Gott empfangen, zu betrachten. Er hat diese Zeit sehr nützlich angewendet, und Gott um Beständigkeit bis ans Ende in seiner heiligen Liebe angerufen. Ein Geistlicher fragte ihn, was er mache, und womit sein Geist beschäftigt wäre? Dem gab er zur Antwort: »Ich tue jetzt, was ich in alle Ewigkeit tun werde; ich preise Gott, ich liebe Gott, ich bete Ihn an, und liebe Ihn von meinem ganzen Herzen. Dies ist unser ganzes Geschäft, meine Brüder, dass wir Gott anbeten, und Ihn lieben, ohne uns um das übrige zu bekümmern.«
Ein Geistlicher bat ihn, er möchte für ihn von Gott den wahren Geist des Gebets erbitten. Diesem gab er zur Antwort, er müsste seinen Fleiß mit beitragen, und seinerseits sich dahin bearbeiten, dass er dazu würdig gemacht würde. Dies waren die letzten Ausdrücke seines Herzens. Des andern Tages, am 12. Februar 1691, am Morgen um 9 Uhr, starb Bruder Lorenz von der Auferstehung, ohne Todeskampf, ohne jede Verstellung oder Zucken der Glieder, bei gutem Verstande, unter den Umarmungen des Heilandes, und übergab seinem Gott seine Seele in solchem Frieden und Stille, als einer, der einschläft. Denn sein Tod ist nichts anderes gewesen als ein süßes Einschlummern, welches ihn aus diesem elenden Leben, worin er ungefähr achtzig Jahre alt geworden, in die ewige Freude versetzte. Dort ist nun sein Glaube in ein klares Schauen, seine Hoffnung in eine völlige Besitzung verwandelt, und seine hier angefangene Liebe mit einer ewigen, vollkommenen Liebe gekrönt worden .
2. Zu diesem Buch
Kleine Lese- und Praxishilfen
Mit den einfachen Anweisungen des Bruders Lorenz kann es einem merkwürdig ergehen: Auf den ersten Blick faszinieren und verlocken sie. Das Leben so wie dieser Klosterbruder »in beständiger Freude zubringen« – das ist es! Aber mancher macht nach anfänglicher Begeisterung später ganz andere Erfahrungen. Man spürt das Fremde, das Zeitbedingte an dem, was der Bruder uns rät. Wir erleben eine gewisse Ernüchterung, vielleicht sogar einen gewissen Überdruss, zumal wenn wir merken, dass Bruder Lorenz sich wiederholt, dass er nach einiger Zeit nichts Neues mehr zu sagen hat, sondern immer nur auf dasselbe Thema zu sprechen kommt. Und wie soll man das, was Bruder Lorenz sagt, umsetzen? Wie kann ich es in meine Lebenswelt übersetzen?
Die Botschaft des Heiligen in der Klosterküche lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Was immer mir zu tun aufgetragen wird, tue ich aus Liebe zu Gott, indem ich mich bei all meinem Tun mit ihm unterhalte. Dabei schätzte Bruder Lorenz nicht zufällig gerade die einfachsten Verrichtungen, also Arbeiten, die rasch zur Routine werden und dem, der sich nach Abwechslung und Kreativität sehnt, eher öde und langweilig vorkommen.
Wie aber soll ich mich bei meiner Arbeit mit Gott unterhalten, wenn ich an einem Computer sitze? Wenn ich als Lehrerin vor einer Schulklasse stehe? Wenn ich als Arzt einen Patienten untersuche? Wenn ich als Busfahrer mein Fahrzeug durch den Großstadtverkehr steuere? Ich muss mich doch konzentrieren! Und was haben meine Berufsgeschäfte mit meinem Glauben zu tun? Ja, wenn ich in der Gemeinschaft der Gläubigen singe und bete, dann kann ich an Gott denken und mit ihm liebevolle Gespräche führen. Wenn ich in der Arbeitspause vor einem Berufskollegen Zeugnis von Jesus gebe, da lebe ich meinen Glauben. Aber beim Einschalten der Mikrowelle oder beim Ausräumen der Geschirrspülmaschine?
Ich selbst hatte es an dieser Stelle besonders schwer. Mein Beruf als theologischer Lehrer verlangte immer ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und ungeteilter Konzentration: im Unterricht mit meinen Studenten, im Seelsorgegespräch, beim Lesen der Fachliteratur, in einer Konferenz mit meinen Kollegen. Und wenn ich es doch einmal versuchte, so wie Bruder Lorenz bei meiner Arbeit an Gott zu denken, dann machten mir meine quirligen Gedanken bald einen Strich durch die Rechnung, denn die bewegten sich nicht in geordneten Bahnen und waren nur in den seltensten Fällen von frommer Art und frommem Inhalt.
Ich wäre wohl trotz allen guten Willens frühzeitig an Bruder Lorenz gescheitert, hätte ich nicht eines Tages eher zufällig und ohne Absicht eine beglückende Entdeckung gemacht, eine Entdeckung, die übrigens zunächst gar nichts mit Bruder Lorenz zu tun hatte. Was hatte sich mir da entdeckt?
Ich war verliebt, und es ging mir so wie jedem, wenn der Liebesfunke gezündet hat. Und dann hatten wir zu zweit eine kleine Reise gemacht, einen traumhaft schönen Ausflug in eine wunderschöne Landschaft, und waren miteinander glücklich gewesen. Mit meinem Fotoapparat hatte ich die schönsten Bilder unserer Fahrt festgehalten, und es war klar, was ich bei nächster Gelegenheit als Geschenk präsentieren würde: ein von mir selbst liebevoll gestaltetes Reisetagebuch! Da saß ich nun viele Abende lang an der Arbeit, beseelt von der Liebe und beseelt von dem Wunsch, etwas einzigartig Schönes zu basteln. Und siehe da – die Konzentration auf das Werk und das Spüren meiner fröhlichen Liebe waren ein einziger Vorgang! Da stand nicht eines dem anderen im Weg, sondern beides war untrennbar miteinander verschmolzen, zweierlei und doch einerlei, unvermischt und ungeteilt!
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