Seitdem man die Bettelmönche aus dem Køge-Kloster vertrieben hatte, war es unmöglich gewesen, Salat, Radieschen und Kürbisse aufzutreiben. Offenbar war für das Gedeihen der fremdartigen Gewächse sowohl die Enthaltsamkeit des Zölibats als auch eine Hand von oben nötig.
Es gab aber noch andere exotische Herrlichkeiten. Ide erinnerte sich an Feste bei ihrem Onkel, dem Bischof von Ribe, und den prachtvollen Anblick eines Pfaus mit entfaltetem Rad mitten auf der Tafel. Zuerst wurde er gebraten, dann stülpte man das Federkleid wieder darauf. Ein Genuß für Augen und Gaumen.
Auf Vallø hatte man keinen Pfau, und einen zu kaufen war unglaublich teuer. Aber bei einem ordentlichen Fest mußte geschlemmt werden und galt kein Knausern, weder mit Talern noch mit Mark oder Schillingen. Ide bekam Herzklopfen bei dem Gedanken an diesen Überfluß. Das sollte ihre richtige Hochzeit werden. Alles von vorne anfangen. Immer wieder. Das Bisherige war nicht geschehen.
Oluf wollte am Lucina-Tag nach Hause kommen, genau dann waren ihre sechsundsechzig unreinen Tage vorbei. Wenn er eintraf, hatte sie wieder die flüsternden Worte des Kanons gehört und war wie benommen von dem Weihrauch, und das Credo war gelesen worden. Sie hatte gebeichtet und war rein, geläutert und gereinigt.
Eine Dienstmagd ging mit einer Brotsuppe durch die Kammer. Die Sonne war inzwischen aufgegangen. Es war heller Tag, und vom Wallgraben ertönte das Geschwätz von Weibsleuten, die ihr Tagwerk damit begannen, Leinen mit Aschenlauge zu behandeln. Es roch nach feuchtem Gras, und Ide hörte drei Zimmer weiter Birgittes Stimme.
Am Abend vorher war der Pfarrer deutlich erleichtert gewesen, nicht über seine Beichten ausgefragt zu werden. Er trank mit gespitzten Lippen von dem Klarett und erzählte nur über das aufrührerische Benehmen der Bauern den geistlichen und weltlichen Herren gegenüber. Aber als er aufbrechen wollte, starrte er – geblendet vom Feuerschein – Richtung Herfølge und erinnerte an Maria Magdalena. Sie verstehe, worum es gehe, sagte er leise, klappte den Kragen hoch und ging hinaus in den Regen, zu seinem Wagen beim Schuppentor.
Ide sprang aus dem Bett. Es war nur noch eine Woche bis zum Lucina-Tag. Gewaltige Vorbereitungen standen bevor. Und eine gewaltige Aufgabe. Eine Seele sollte gerettet werden.
Ide hatte ihr kostbares, tief ausgeschnittenes, goldenes Gewand aus der Truhe nehmen lassen. Die Röcke warfen Falten um ihre Beine. Die Goldketten wurden hervorgeholt. Das Haar war mit frisch geschnittenen Rosen hochgesteckt worden. Sie spiegelte sich und sah das Erröten ihrer Wangen und ihre breiten, weißen Zähne. Die hatte sie von der Mutter, und sie waren noch alle gesund. Sie wurde plötzlich schön. Beinahe hübsch. Ihr Haar hatte wirklich die braune Farbe der Nüsse, und die Augen waren so blau wie Kornblumen. Sie schwebte – wie einst über den Tanzboden auf Koldinghus.
Der langgezogene Raum der Sommerstube bot einen prächtigen Anblick. Obwohl die Sonne noch am Himmel stand, waren alle Kerzen angezündet. Es funkelte in der Goldstickerei der Tischdecke, und Ide berührte mit einem Finger den Balken am Wappen der Rosenkrantz. Das Silber war geputzt, daß es blitzte. Das hatte ihr Vater zur Mitgift dazugegeben, nachdem die Verlobungsverhandlungen schon abgeschlossen waren. Vielleicht tat er es in der Hoffnung, daß seine jüngste Tochter die Freude finden möge, nur lebenstüchtige Kinder gebären würde und alle Gebete ein Dank über das Glück des Lebens wären. Daß sie lachen würde.
Die Gesellen standen bereit, mit neuen Mützen in der gleichen Farbe wie der exotische Prachtvogel mitten auf der Tafel, und Ide hatte sämtliche Fingernägel kontrolliert und jedes hervorstehende Haarbüschel abgeschnitten.
Die Gäste würden bald eintreffen. Alle Nachbarhöfe waren eingeladen. Die von Glob und von Bille und die Bjørns, die Familien Krognos und Basse waren ebenfalls unterwegs. Ide griff nach einem Löffel mit einer Inschrift. »Löffle langsam. Verbrenne dich nicht«, stand da. Sie lächelte, legte ihn dann aber entschlossen an Olufs Platz.
Einen Augenblick wurde ihr schwindlig, sie spürte eine Hitze und Ohnmacht. Sie mußte sich beherrschen, um ihre Hände nicht auf den Punkt direkt unter der Brust zu heben. Im selben Moment ertönte Pferdegetrappel und Wiehern. Stimmen. Das Geklirr von Waffen. Rasche Schritte die Treppe herauf und hin zur Kammer der Kinder. Sie wußte, daß Oluf es tun würde. Birgitte kam mit einer Puppe im Arm angelaufen. Jetzt war es soweit.
Oluf schritt herein, gefolgt von Rittern und Gesellen. Er trug immer noch eine Harnischbrust. Er lächelte breit und trug Mette in den Armen, hielt sie fest wie eine kostbare Kriegsbeute.
Da blieb er mit einem Mal stehen, mitten in einem Schritt, das eine Bein vor dem anderen. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht wie eine Pflanze, die sich zusammenrollt und in Sekunden verwelkt. Seine Augen zuckten vom Pfau zum Silber, hinauf zu den sechzehn brennenden Talglichtern, hinüber zu den Schaugerichten und den Weinkannen. Seine Wangen wurden hohl. Er gab langsam Mette weiter an die Amme, faltete die Hände, beugte das Haupt und rief Gott den Allmächtigen an, gnädig herabzusehen auf die sündige, gotteslästerliche Verschwendungssucht und Prasserei seiner Gemahlin.
Das Gesinde stand mit offenem Mund da. Man hörte keinen Laut.
Es begann mit einem schwachen Kribbeln an Ides Fußsohlen. Daraus wurde ein Stechen. Das breitete sich über den ganzen Körper aus. Bis in die Fingerspitzen. Bis in die Haarwurzeln. Das pochte und das hämmerte. Als würden ihre Adern in diesem Augenblick mit dem grünen, dampfenden, brodelnden, maurischen Drachenblut gefüllt.
Er, Oluf, betete um ihre Seele. Das wagte er. Das unterstand er sich. Vier Jahre hatte er sich durch ihre Ehe gequält, als sei sein Inneres wie das zerrissene Gewand. Hatte sich ins Ehebett gelegt, als sei es der kalte Stein Golgathas. Hatte ihre Lippen geküßt, als seien sie der mit Essig getränkte Schwamm. Hatte ihren Leib umarmt, als würde er ans Kreuz genagelt. Fünfzehn Vaterunser am Tag. Ave Maria – und das einhundertfünfzigmal am Tag. Beten, Flehen und Wallfahrten und bei den Mahlzeiten das demütigende Grünfutter, Kohl und Rüben. Aber für die Horde der wirbelhaarigen Hurenbälger und das nächtliche Gelüst nach breitarschigen Weibern, nach der fünffingrigen Katrine und der einohrigen Maren, hatte er in der Kirche mehr Kerzen aufgestellt als für die fünftausendvierhundertsechsundsechzig blutig klaffenden, nässenden Wunden des gemarterten entseelten Leibes Jesu. Jetzt betete er also für ihre Seele!
Es war ein saugendes Geräusch, als Ide das Schwert aus Olufs Scheide zog. Sie ging damit rückwärts, Schritt für Schritt, hob es dann mit beiden Händen und zerschnitt mit einem Hieb das Seil für den Kronleuchter genau an der Stelle, wo es am Mauerhaken befestigt war.
Mit sechzehn wie senkrecht herabsausenden flammenden Kometen stürzte der Leuchter vom Deckenbalken. Knallte mit einer Gewalt auf den Tisch, daß alle Böcke zusammenbrachen. Eine rotgetigerte Katze fuhr kreischend unter dem Tischtuch hervor. Der Pfau wurde in seiner ganzen Pracht zwanzig Ellen hoch in die Luft geschleudert, um gleich darauf von den Hunden apportiert zu werden. Das Gesinde schrie auf vor Schreck, und die Amme verschwand eilig mit Mette und zog Birgitte hinter sich her.
Ide empfand eine tiefe, leidenschaftliche Befriedigung, als sie den Schwertschaft zwischen ihren Händen spürte und die auf den Boden gekrachte Tischplatte erblickte. Sie genoß jedes Detail. Die Silberbecher waren verbeult. Messer und Löffel verbogen und zerbrochen und nach allen Seiten verstreut. Das goldbestickte Geschlechtswappen der Munks schwamm im kostbaren roten Alicantewein, der aus den umgekippten Zinnkannen gluckerte, und das andere Ende des Tischtuches hatte Feuer gefangen und fraß sich hinein in das Wappen der Rosenkrantz’ mit seinen Balken, Fahnen und Federbüscheln.
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