„Eigensinniges Weibsbild!“ brummte Willem van Xanten vor sich hin, nachdem er das Auto bestiegen, das vor dem Hotel gewartet hatte, in dem die deutsche Geigerin wohnte. Willem van Xanten drückte sich fest in die Polster, und während die Limousine leicht dahinflog, blickte er zum Fenster hinaus, dachte wütend, daß er trotz seiner bombastischen Worte, die er vor dem Gehen Ulli Gregorius entgegengeschleudert, eigentlich völlig machtlos war, seinen Willen durchzusetzen, daß er sich würde fügen müssen und auf die Geige verzichten. Damit schwand aber auch die Hoffnung, überhaupt jemals eine Frohnstainer Geige sein Eigen zu nennen, darüber war er sich klar.
Ganz übertrieben und albern bombastisch kamen ihm jetzt die Worte vor, die er Ulli Gregorius zugerufen. Lachen mußte sie ja, wenn sie daran dachte, daß er sich wütend gebrüstet: Ich bin mächtiger als Sie, und wenn Willem van Xanten etwas will, verschafft er es sich. Auch die Frohnstainer Geige wird mein Eigentum werden. Mit oder ohne Ihre Zustimmung! Eine törichte Redensart blieb das, die ihm der Zorn entrissen. Machtlos war er wie ein ganz kleiner Niemand, machtlos wie ein Bettler.
Tiefe Falten lagen auf seiner Stirn, und obwohl er sich seiner Machtlosigkeit bewußt war und die Unmöglichkeit einsah, sich gegen den Willen der Geigerin in den Besitz der Frohnstainer zu setzen, kreisten seine Gedanken doch immer von neuem um denselben Punkt, versuchten immer wieder einen Plan auszuhecken, wie es sich vielleicht doch ermöglichen ließe, seinen Willen durchzusetzen.
In der Nähe des Reichsmuseums, in einer sehr stillen kurzen Straße, befand sich sein Haus, eine große weiße Villa mit seitlicher Einfahrt. Rückwärts lag ein Hof, dem Rasen und ein Springbrunnen ein vornehmes Aussehen gaben, und von dem Hof führte eine kleine Freitreppe in das Haus.
Er ging sofort in sein Arbeitszimmer. Er hatte erst in sein Büro am Hafen fahren wollen, aber alle Arbeitslust war ihm vergangen, und schließlich, im Büro fehlte er nicht allzusehr, sein Sohn leitete ja alles in seinem Sinne.
Als Sechzehnjährigen hatte er ihn schon an die Arbeit in sein Kontor gesetzt, mit zwanzig ihn mitreisen lassen auf den Frachtdampfern nach Java, Ceylon und Formosa. Mit fünfundzwanzig hatte er ihn zum Leiter seines Geschäftshauses in Surinam ernannt und zwei Jahre später zum Mitinhaber des Stammhauses hier in Amsterdam. Sein Sohn war geschäftlich der zuverlässigste Mensch der Welt. War es überhaupt, und er war stolz auf ihn. Sie hatten sich auch immer ausgezeichnet verstanden, lebten jetzt wie gute Kameraden zusammen. Nur wünschte er, Jan solle heiraten. Aber Jan zeigte, keine Eile, er war den Frauen gegenüber ziemlich kühl und zugeknöpft. Ihm aber lag daran, einen Enkel zu haben, denn es mußte doch wieder einer da sein, der einmal das große Erbe der Xantens übernehmen konnte. Immer hatten die Xantens einen Sohn gehabt, nur einen einzigen, aber der war gesund und kräftig gewesen und tüchtig, hatte das Erbe der Väter noch gemehrt.
Willem van Xanten saß an seinem Schreibtisch und dachte schon wieder an die Frohnstainer, als sich das Telefon meldete.
Eine Frauenstimme sagte: „Ich möchte Mynheer van Xanten sprechen.“
Es war in korrektem Holländisch gesprochen, aber mit ganz leichtem Anklang, der die Ausländerin verriet. Flüchtig durchzuckte es den Handelsherrn, es wäre vielleicht die Stimme von Ulli Gregorius. Die Hoffnung meldete sich, die Künstlerin könne sich eines anderen besonnen haben. Er wäre noch gern zu allem bereit. Bereit, ihr eine Viertelmillion auszuzahlen oder sie zu seiner Gattin zu machen.
Doch schon im nächsten Augenblick zerrann die Hoffnung, Ulli Gregorius konnte ja kaum ein paar Worte der holländischen Sprache, und er hatte sich mit ihr in deutscher Sprache unterhalten, die er fließend beherrschte.
Er antwortete in den Apparat hinein: „Hier ist Willem van Xanten selbst am Telefon. Wer ist dort?“
Wahrscheinlich handelte es sich um eine Dame der hiesigen Gesellschaft und eine Familieneinladung.
Die Frauenstimme sagte wie in höflicher Bitte: „Kann ich Sie persönlich sprechen, Mynheer? Es handelt sich um etwas für Sie sehr Wichtiges.“
Er stellte die Gegenfrage: „Darf ich wissen, mit wem ich spreche?“
Es war ihm, als höre er ein ganz leises Lachen. Ganz sicher aber war er dessen nicht. Die Antwort kam: „Mein Name ist vorerst noch unwichtig, Mynheer van Xanten, nur betonen möchte ich, das, was ich mit Ihnen besprechen möchte, hängt mit einem Gegenstand zusammen, an dessen Besitz Ihnen sehr viel gelegen ist. Er ist hellbraun und hat eine wunderbare Stimme.“
Er fragte atemlos vor jäher Erregung: „Sie meinen die Frohnstainer Geige?“
Wieder klang es wie ein leises, fernes Lachen an sein Ohr, dann sagte die Frau, jede Silbe durch die Art der Betonung unterstreichend: „Sie haben es erraten, Mynheer. Also, wann und wo kann ich Sie, aber heute noch, sprechen? Ich schlage vor, wir treffen uns im Café Potter.“
Er war jetzt der festen Meinung, die Sprecherin wäre die Mutter von Ulli Gregorius, die er bei seinen Besuchen in Mailand und Paris, als er die Künstlerin aufgesucht, flüchtig gesehen. Weshalb sollte sie nicht zufällig gut holländisch sprechen können?
Wahrscheinlich hatte sie der Tochter klargemacht, daß man solche Angebote wie die seinen als vernünftiger Mensch nicht ausschlagen darf. Vielleicht wollte sie auch zunächst hinter dem Rücken der Tochter mit ihm verhandeln.
Er antwortete: „Ja, im Café Potter wird es am besten sein. Es gibt da allerlei Plätze, wo man sich ungestört unterhalten kann. Wann darf ich Sie dort erwarten?“
„Mir ist jede Stunde recht.“
„Auch wenn ich Sie bitte, sofort zu kommen?“ fragte er.
„Ich bin in einer halben Stunde dort“, gab die Frauenstimme zurück. „Als Erkennungszeichen trage ich zwei weiße Nelken am Jackenaufschlag.“
Er sagte noch hastig: „Ich werde pünktlich sein. Jetzt ist es gerade ein Viertel vor zwölf, um ein Viertel nach zwölf bin ich im Café Potter.“
Er legte den Hörer auf die Gabel und rieb sich die Hände. Fein war das, großartig war das, nun durfte er wieder hoffen, sogar stark hoffen. Sein heutiger Gang zu der dickköpfigen Geigerin war also doch nicht erfolglos geblieben. Jetzt suchte man ihn, das Blatt hatte sich zu seinen Gunsten gewendet.
Er klingelte dem Diener, trug ihm auf, der Haushälterin zu melden, wenn er bis zwei Uhr nicht zurück wäre, solle sein Sohn mit dem Essen nicht auf ihn warten, er speise dann unterwegs. Es konnte schließlich eine lange Unterredung werden, dachte er.
Nachdem er sich in seinem Schlafzimmer noch ein wenig zurechtgemacht, verließ er sein elegantes Heim. Er wollte zu Fuß gehen. Ein bißchen Bewegung würde ihm gut tun. Mehr als eine halbe Stunde brauchte er für den Weg nicht.
Das Café Potter war stadtbekannt. Am Tage trug es einen sehr gediegenen Charakter zur Schau, der sich gegen Abend in einen etwas leichtsinnigeren verwandelte, sich aber trotzdem immer in den Grenzen der Anständigkeit hielt. Abends spielten die besten Kapellen bei Potter, und die reizendsten Weiberchen tauchten dort auf, um ihr neuestes Abendkleid nach dem Kabarett, Theater oder Konzert zu zeigen.
Ehe Willem van Xanten durch die breite Drehtür eintrat, sagte er sich noch einmal, es war bestimmt Frau Gregorius, die ihn erwartete.
Der Page an der Drehtür grüßte mit einem Ausdruck von Hochachtung. Willem van Xantens kräftige Figur, sein markantes, herrisches Gesicht kannte man in ganz Amsterdam.
Um diese Zeit waren die Gasträume fast leer, nur einige Pärchen saßen in den Ecken, flüsterten miteinander und freuten sich der Leere.
Langsam ging der Kaufherr durch die verschiedenen Abteilungen, und er suchte unwillkürlich nach der Mutter von Ulli Gregorius, an deren Aussehen er sich deutlich erinnerte. Was nicht schwer war, da sich Mutter und Tochter stark ähnelten.
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