Die Spieler waren von dem ganzen Luxus, den sie Hopp zu verdanken hatten, richtig verwöhnt und konnten deswegen schlecht mit Niederlagen umgehen. Sie wurden rundum versorgt, bekamen nur die beste Kost, morgens ein Frühstück, und immer nur das Beste vom Besten. Sie konnten im Trainingszentrum übernachten, und sie verdienten alle ziemlich gut.
Wegen dieses ganzen Luxus gerieten sie in eine Abwärtsspirale. Markus Gisdol, meinen Vorgänger dort, kannte ich noch aus gemeinsamen Zeiten bei Schalke 04. Es funktionierte nicht richtig bei Hoffenheim, also haben sie mich gefragt. Ich hatte keinen Kontakt mit Gisdol, denn ich wollte die Sache unbefangen angehen. Ich wollte keine Vorurteile aufbauen, die auf den Ansichten eines anderen Trainers basierten.
Sie spielten überwiegend lange Pässe, aber für diese Spielweise fehlte es ihnen an geeigneten Spielern. Zudem pressten sie sehr hoch, aber von hinten rückten sie zu langsam auf. So entstand Raum, in den der Gegner spielen konnte, so kassierten sie viele Gegentore. Wir mussten also erst wieder an der Stabilität arbeiten. Als Assistenten habe ich ganz bewusst Alfred Schreuder mitgenommen. Ich kannte Alfred noch als Fußballspieler und wusste, dass er taktisch stark war. Das hatte er damals beim FC Twente nachdrücklich bewiesen. Dann habe ich noch Armin Reutershahn hinzugeholt, mit dem ich in Stuttgart zusammengearbeitet hatte.
Ich habe auch mit dem Konditionstrainer gesprochen, denn Hoffenheim hatte oft in der zweiten Halbzeit Gegentore hinnehmen müssen. Er hat mir seinen Arbeitsplan gezeigt. Auch daran haben wir gearbeitet, zum Beispiel mit längeren Trainingszeiten, die wir dann vor Spielen wieder reduziert haben. Fitness-tests haben außerdem gezeigt, dass die Spieler nicht alle in Top-form waren.
Ich hatte den Vertrag nur bis Saisonende unterschrieben. Und ich wusste auch, dass in der nächsten Saison der Jugendtrainer Julian Nagelsmann aufrücken sollte. Bei meiner Einstellung in Hoffenheim habe ich mich aber doch erkundigt, ob Schreuder und Reutershahn auch mit Nagelsmann zusammenarbeiten würden. Denn schließlich war Nagelsmann erst 28 und hatte im Gegensatz zu Schreuder und Reutershahn noch sehr wenig Erfahrung.
Nach meinem Rücktritt hat Nagelsmann so gut wie nichts verändert, außer dass er einen anderen linken Außenverteidiger einsetzte, den er noch von der Jugendabteilung kannte. Die Ergebnisse wurden dann auch besser, aber das war bereits absehbar gewesen, als ich noch bei Hoffenheim war. So hat die Mannschaft zum Beispiel viel öfter in der zweiten Halbzeit Tore geschossen. Ein Schwerpunkt beim Training lag in der Zweikampfschulung, damit sich die Spieler besser gegen den Gegner behaupten konnten. Wir betrieben intensiv Mentaltraining, damit die Spieler auch lernten, Enttäuschungen besser wegzustecken. Als Schiedsrichter im Trainingsspiel habe ich dann zum Beispiel einfach eine andere Entscheidung getroffen, als sie erwartet hatten, um sie damit zu provozieren. Sie haben sofort gespürt, dass ein anderer Wind wehte. Ich habe auch versucht, ihnen Vertrauen und Freude am Spiel zu vermitteln.
Ich habe eine Zeichnung von einem Karren gemacht, der über einen steinigen Weg nach oben zu einem Schild fahren muss, auf dem „Ziel“ steht. Ich habe Fußballer gezeichnet, die entweder in diesem Karren sitzen, hinter ihm herlaufen oder schon voraus sind. Spieler, die ziehen oder anschieben. Wenn es passierte, dass ein Spieler mal nicht im Sinne der Mannschaft agierte, dann habe ich zu ihm gesagt: „Hey, du sitzt mal wieder im Karren!“ Oder: „Du bremst!“ Wir mussten den Karren alle gemeinsam nach oben bekommen. Ihnen wurde immer deutlicher, dass sie es MUSSTEN, und ich habe ihnen klargemacht, dass sie das mit ihren Qualitäten auch konnten. Ich hätte mir im Winter ein paar neue Spieler dazugewünscht, doch es kam nur einer: Andrej Kramarić von Leicester City. Der Manager Rosen war nämlich der Ansicht, er habe einen guten Kader zusammengestellt, bevor ich kam, aber gut, was soll’s.
Ich bin wirklich froh, dass sie in der Bundesliga geblieben sind, ein wenig ist das auch mir zu verdanken. Nagelsmann hat ein Riesenglück mit seinen erfahrenen Assistenten. Sie nehmen ihm viel Arbeit ab. Nagelsmann hat viele Qualitäten, aber er muss noch einiges lernen, zum Beispiel den Umgang mit den großen Medien. Ich bin gespannt, wie er das alles anpacken wird.
Fünf Monate nach meinem Rücktritt bei Hoffenheim erhielt ich im Juli 2016 vollkommen unerwartet eine Mail von der Vereinsführung. Sie schrieben, dass ich die Basis für den Klassenerhalt gelegt hätte. Sie bedankten sich sehr dafür und schrieben sogar noch, sie seien stolz darauf, dass sie gemeinsam mit mir an dem Fortbestehen des Vereins gearbeitet hätten. Sie hatten mir sogar eine Prämie überwiesen. Die Mail war von Dietmar Hopp und dem Geschäftsführer Peter Görlich unterzeichnet. Sie hätten das nicht machen müssen, deswegen war ich umso überraschter.
Ich habe mich daraufhin bei ihnen mit einer Mail bedankt, für die Prämie, vor allem aber für die herzlichen Dankesworte, die mir viel wichtiger waren. Ich schrieb, dass ich mich darüber freuen würde, wenn wir auch zukünftig freundschaftlich verbunden blieben. Später hat mich Görlich noch angerufen, und wir haben uns lange unterhalten. So kann man sich also auch von einem Verein verabschieden.
2
BEWEGTE JUGENDJAHRE IN SITTARD
Meine Jugend habe ich in Sittard verbracht, in der Sint Josephstraat, im Stadtteil Stadbroek. Dort bin ich aufgewachsen, und diese Straße hat auch meine Mentalität geprägt. In dem Viertel wohnten überwiegend Grubenarbeiter. Am Ende unserer Straße befand sich ein Fußballfeld und dahinter ein Wohnwagenplatz, wo wir uns als Jungs auch manchmal herumgetrieben haben. Erst recht, als ich mit sechzehn in der Gegend Zeitungen ausgetragen habe.
Die Sint Josephstraat war eine ordentliche Straße, jeder kannte jeden. Bei schönem Wetter hockten alle draußen, hielten ein Schwätzchen und tranken zusammen Kaffee. Unsere Haustür stand immer offen, jeder konnte einfach hineingehen, und das war auch wirklich immer so.
Glücklicherweise befand sich direkt vor unserem Haus ein kleiner Platz, auf dem wir immer gekickt haben. Dort habe ich Fußballspielen gelernt. Auch auf dem Schulhof haben wir in jeder freien Minute Fußball gespielt, das ging so, bis ich sechzehn war. In einer Seitenstraße der Sint Josephstraat gab es eine Mauer, gegen die ich oft alleine geschossen habe, um meine Technik zu verbessern. Oder ich habe zusammen mit einem Freund gegen die Mauer gebollert.
Die Leute, die dort wohnten, haben mir zwar manchmal den Ball weggenommen, denn es ging die ganze Zeit Bumm!, Bumm!, Bumm!, immer gegen ihre Hauswand. Aber Schläge habe ich nie bekommen. Und den Ball haben sie mir später auch immer zurückgegeben.
Wir waren fünf Brüder, ich war der dritte. Der älteste ist Nico, er ist neun Jahre älter als ich, Jan ist drei Jahre älter, und dann gibt es noch die beiden Nachzügler. Paul ist zwölf Jahre jünger als ich und John vierzehn. Wir hatten zwei große und ein kleines Schlafzimmer. Als die beiden Jüngsten zur Welt kamen, waren die beiden Ältesten bereits aus dem Haus. Die Jüngsten schliefen gemeinsam in einem Zimmer, ich hatte das kleine Zimmer.
Bei uns war es sehr harmonisch, die Familie hielt fest zusammen, und wir haben auch heute noch viel Kontakt. Letztens waren wir in Den Helder auf der Urnenbeisetzung der jüngsten Schwester meiner Mutter. Nico, Paul und ich waren auch dort. Jan war krank, und John war in Spanien, sonst wären sie mit dabei gewesen. Bei solchen Treffen tauschen wir uns immer richtig gut aus. Und wir haben viele Cousinen und Cousins mit ihren Kindern getroffen.
Wir hatten damals zuhause nicht viel Geld, aber immerhin mehr als die anderen in der Straße. Unsere Eltern hatten nämlich einen Zusatzjob als Putzhilfen in einer Berufsschule. Mein Vater arbeitete nachts unter Tage. Er kam dann morgens nach Hause, schlief bis ungefähr eins oder zwei, und um vier Uhr ging er mit meiner Mutter die Schule putzen. Wir haben sie manchmal begleitet und mitgeholfen. Abends um acht ging mein Vater dann wieder zur Arbeit.
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