„Nun, ich rechne zwanzig Pfund und nehme Ihren Wechsel auf drei Monate. Nach Ablauf dieser Frist werde ich ihn wohl wieder erneuern. Beiläufig bemerkt, haben Sie einen Beruf?“
„Ich bereite mich zur Advokatur vor.“
„Ah so! Ich wünsche Ihnen alles Glück, aber dieser Beruf ist furchtbar überfüllt, und soweit ich es beurteilen kann, schneiden sich die Advokaten untereinander den Hals ab. Um Ihretwillen hätte ich lieber gesehen, Sie wären irgend etwas andres geworden. Wenn Sie nach den ersten fünf Jahren auf Ihre Kosten gekommen sind, so ist es Ihnen ausserordentlich gut gegangen. Nehmen Sie mir’s nicht übel, aber für gewöhnlich rühre ich einen Advokaten nicht mit einem Stecken an. Sie sollten die Tochter eines Anwaltes heiraten; Jakobs hat eine, die gut für Sie passen würde. Eine Schönheit ist sie gerade nicht, auch hat sie ein höllisches Temperament, aber man kriegt auch was für sein Geld, denn sie wird wohl so ihre zwei Zentner wiegen. Jedenfalls könnten Sie schlimmer fahren — überlegen Sie sich’s!“
Lachend versprach ich dies, und im nämlichen Augenblick trat ein Schreiber ein.
„Nun, Mason, was gibt’s?“
„Oberst Pierre ist da.“
„Ganz recht, ich bin nicht für ihn zu sprechen. Sagen Sie ihm dies.“
„Er sagt, er habe noch zwei weitere Bürgen und hat das Schriftstück mitgebracht. Es sind gute Namen, Mr. Raphael.“
„Das ist was andres. Lassen Sie ihn eine halbe Stunde warten; dann führen Sie ihn herein. Guten Morgen, Mr. Severn. Mason begleiten Sie Mr. Severn hinaus.“
Wir schüttelten uns die Hand, und ich verliess Mr. Raphael, ohne einen allzuschlechten Eindruck von ihm mitzunehmen.
Hat man sich einmal von dem Gedanken losgemacht, dass ein Geldverleiher durchaus zu den unreinen Tieren gehört, so wird man, falls der Geldverleiher ein Jude ist, wahrscheinlich finden, dass er einen weit höheren Begriff von Ehre hat, als die meisten seiner Kunden. Jedenfalls ist er mir lieber als ein Sachwalter, und ich glaube, auf die Länge wird man ihn auch billiger finden. Anwälte haben schon mehr Güter verschlungen und mehr Familien zu Grunde gerichtet, als noch einmal so viele Geldverleiher.
Hier wohnt in stiller, in ländlicher Pracht
Der Anwalt, so lang er’s nicht weiter gebracht;
Ihn plagen nur wenig des Lebens Sorgen
Hinter seinem Parkthor, auf seinen zwölf Morgen.
Doch wart’ eine Weile: sein Nachbar, gross,
Ist bald ruiniert, und in seinen Schoss
Fällt all das Silber und Gold in Haufen —
Nun kann er den Park sich zum Parkthor kaufen.
Es ist eine Seltenheit, dass ein Geldverleiher sich ein grosses Vermögen macht; eben so selten ist es aber, so überfüllt wie der Beruf ist, dass ein Anwalt arm stirbt.
Mit meinen zehn Pfund bewaffnet, eilte ich heim und fand, wie ich geahnt hatte, Mrs. Brabazon zu Hause.
„Was ist denn mit Ihnen, Jack? Sie sind ja ganz erhitzt vor Freude. Schwindeln Sie mir nichts vor! Sie haben wieder im Billard gewonnen, davon bin ich überzeugt.“
„Nein, das hab’ ich nicht; aber trotzdem habe ich Glück gehabt! Wir wollen irgendwo essen und dann ins Theater gehen.“
„Ja, ich bin dabei, wenn Sie lieb und mit einem vernünftigen Mittagessen zufrieden sein und nachher ruhig auf Parkettplätze gehen wollen. Ich kann keine Verschwendung dulden.“
Der Vertrag wurde entworfen und gutgeheissen. Wir speisten — einerlei wo — um den gewöhnlichen Preis von einer halben Guinee, eine wohlgekühlte Flasche Champagner zwischen uns. Dann sassen wir höchst vernünftig auf unsern Parkettplätzen und nahmen soviel Interesse an der Vorstellung, als die übrigen Leute auch. Vor der Posse gingen wir fort, und ich kaufte einen Schleier in Coventry Street, unter dessen Schutz Mrs. Brabazon mit mir ins Café de l’Europe ging, wo wir ein bescheidenes Abendessen einnahmen.
Es war wirklich, wie ich bereits bemerkt habe, etwas Kindliches und in dieser Beziehung Unschuldiges in unsrer schlichten Art, uns Vergnügen zu suchen. Dann fuhren wir nach unserm Kosthause zurück, doch bestand meine Gefährtin darauf, dass ich an der Strassenecke ausstieg und sie vollends allein nach Hause fahren liess. Da es nicht anging, ihr allzu rasch zu folgen, so verweilte ich noch in einem benachbarten Gasthof, wo ich mit dem Wirt in dessen Schenkstübchen sass, bis ich mir schliesslich mit meinem eignen Drücker Eingang in das Kosthaus verschaffte.
Doch ich will mich nicht in weiteren Einzelheiten über diese folles journées ergehen. So viel steht fest, dass ich bis über die Ohren verliebt war, und ebenso gewiss ist es, dass Mrs. Brabazon Wohlgefallen an meiner Verehrung fand. Schon oft habe ich mich gewundert, wie es kam, dass ich sie nicht geheiratet habe, ich glaube aber, die Antwort auf diese Frage ist in dem Mrs. Brabazons eignen gesunden Menschenverstand zu finden und noch mehr in ihrer Ehrenhaftigkeit und Treue. Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, sie sei älter als ich, und es sei besser, unsre Beziehungen blieben unverändert und währten, solange sie mochten, so dass wir einst, wenn die sommerliche Blüte der Liebe abgefallen, uns jedenfalls die herbstliche Frucht der Freundschaft gerettet hätten. Und ehrlich gesprochen, glaube ich dass Susan Brabazon meine Freundschaft höher schätzte als meine Liebe, und dass sie, als sie anfing mich zu ermutigen, dies mehr aus Langweile als aus irgend einem andern Grunde that. Ohne eitel oder geckenhaft zu sein, glaube ich sagen zu dürfen, dass sie stolz auf mich war und wünschte, mich im Leben etwas leisten und dann denen entgegentreten zu sehen, die mich schlecht behandelt und über die Achsel angeblickt hatten.
Wir Männer wundern uns nie, wenn sich ein Mann von fünfundfünfzig Jahren in ein siebzehnjähriges Schulmädchen verliebt. Wir denken nicht an das Leben, zu dem das arme Kind in seinen schönsten Jahren verdammt ist. O nein! Die alten Graubärte wackeln mit den Köpfen und versichern, es sei eine höchst passende und glückliche Verbindung. Warum sollte es nicht auch ein gleich passendes und glückliches Zusammentreffen von Umständen sein können, wenn eine Frau von mittleren Jahren einen jungen Fant, der ganz gut ihr Sohn sein könnte, unter ihre Flügel nimmt? Man wird mir entgegenhalten, dies sei schon oft dagewesen und ich verteidige meine eigne Sache. Wohl, aber ist es nicht die Pflicht eines jeden Mannes, seine eigne Sache zu verteidigen, und hat es je etwas Neues gegeben unter der Sonne?
Wenn ich heute auf all dies zurückblicke, kann ich mich nur über mein Glück wundern und es dankbar preisen. In ihrem unendlichen Gleichmut und ihrer unverfälschten weiblichen Güte wachte Mrs. Brabazon über mich, wollte aber nichts weiter. Ich bin fest überzeugt, dass sie in jedem Augenblick unsrer Freundschaft oder unsres mehr als freundschaftlichen Verhältnisses sich mehr als irgend jemand sonst gefreut hätte, mich glücklich und gut verheiratet zu sehen, und alles aufgeboten haben würde, eine derartige Verbindung zu stande zu bringen, wenn sie Zeit, Ort und Gelegenheit hierzu hätte ausfindig machen können.
Prüde und Sittenprediger, welch letztere noch schlimmer sind als die Prüden, mögen von ihrem Benehmen denken, was sie wollen; mir ist es stets „echt weiblich“ erschienen.
An dem bestimmten Tag machte ich meinen zweiten Besuch bei Mr. Raphael, der mich mit freundlichem, wohlwollendem Wesen empfing. Er war, wie er sagte, in betreff der Sicherheit zufriedengestellt und war bereit, mir das Geld zu geben, das ich brauchte. Mr. Jakobs hatte die nötigen Papiere vorbereitet, doch würde ich sie vielleicht lesen wollen, ehe ich sie unterschrieb.
Ich erfreute mich einer ganz hübschen Rechtsunkenntnis im allgemeinen und, was die Uebertragung von Rechten im besondern betraf, der denkbar grössten Unwissenheit. Ausserdem wünschte ich, mein Geld zu erhalten und fortzugehen. Ich unterschrieb also einen Wechsel über einhundertzwanzig Pfund und erhielt dagegen meinen Schuldschein über zehn Pfund und einen Check auf neunzig Pfund.
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