„Das ist Ihre Sache, mein junger Herr — vielleicht dürfen Sie’s, wenn Sie artig sind.“
So spazierten wir im besten Einvernehmen nach Hause, und ich will nur als einfache Thatsache erwähnen, dass ich sie im Flur, auf der Matte wenigstens zwölfmal küsste, sobald die Hausthür hinter uns zugefallen war. Dies war so meine scherzhafte Weise, mich zu geben.
Rasch, ereignislos, aber angenehm verfloss ein Monat auf diese Art. Meine Geldsendungen von Hause trafen äusserst unregelmässig ein, aber ich hielt mich der armen, überarbeiteten Martha, Mrs. Jessett, gegenüber redlich und bezahlte sie so regelmässig, als ich konnte. Manchmal, wenn ich gerade im Billard Glück gehabt hatte, bezahlte ich sie auch ein wenig im voraus und sagte ihr, sie solle das Geld nehmen, solange es da sei, weil ich es sonst ja doch nur wieder verlieren würde. Wohl schüttelte sie ab und zu den Kopf zu meinem Billardspiel, doch hielt sie mich im ganzen offenbar für einen recht anständigen, gesitteten jungen Mann, der dem, was sie ihren „gewählten Kreis“ nannte, wenigstens nicht zur Unehre, wenn nicht gar zur Zierde gereichte.
Ich erfreute mich einer kräftigen Gesundheit und pflegte riesige Spaziergänge zu unternehmen. Eine bestimmte Anzahl Mittagessen mussten im Temple, der alten Rechtsschule Londons, eingenommen werden, und aus diesen Mahlzeiten, die mir wohl behagten, bestand im grossen Ganzen meine juristische Ausbildung. Der Wein war durchaus nicht schlecht, und die kleinen Tischgesellschaften zu Vieren waren freundschaftliche parties carrées.
So verfloss mein Leben — von meiner Liebesangelegenheit abgesehen — in ruhiger, einförmiger Weise; ich konnte mir leicht Geld genug für meine bescheidenen Vergnügungen verschaffen. Ab und zu gestattete ich mir einen schönen, langen Ritt mit einem ruhigen Mittagessen in irgend einem altmodischen Gasthof. Meine Neigungen, oder wenigstens einige derselben, müssen ganz barbarisch gewesen sein, denn ich entdeckte ein altväterisches, am Flussufer gelegenes Haus in Chelsea, in dem die Schiffsknechte um einen Krug Bier nach der Scheibe warfen und Kegel schoben.
Ich habe das Kegelspiel ganz besonders gern. Zweifelsohne ist es ein sehr gemeines Spiel, aber es ist an einem Regentag eine ausgezeichnete Bewegung, und überdies entsinne ich mich, irgendwo gelesen zu haben, dass Peter der Grosse zur Zeit, da er als Schiffsbauer in Deptford beschäftigt gewesen, nicht nur jeden Mann am Ort bezwungen, sondern auch eine ausserordentliche Vorliebe für das Kegelspiel gezeigt habe. Uebrigens kenne ich thatsächlich einen gelehrten Richter, der ebenfalls eine grosse Schwäche für das Kegeln hat und gar kein Geheimnis aus dieser Thatsache macht, und auch in Marlborough-House a) befindet sich eine Kegelbahn.
Zum Schluss sei noch bemerkt, dass meine Studiengenossen und die jüngeren Advokaten im grossen Ganzen vortreffliche, ehrenwerte Menschen waren und ich zahlreiche Freundschaften schloss, die wesentlich dazu beitrugen, mein Leben angenehm zu gestalten. Braucht irgend jemand mehr, um glücklich zu sein?
Auch Mrs. Brabazon darf ich nicht vergessen. Manchmal benutzte ich eine günstige Strömung und ruderte sie nach Richmond, von wo wir mit der Bahn zurückfuhren, nachdem wir in dem lieben alten Schloss gespeist hatten. Alle Arten vergnügter kleiner Ausflüge machten wir zusammen — nach Ham House, nach Hampton Court mit seinen Galerien und Gärten, nach Farmingham in den Löwen, wo wir den ganzen Tag lang mit mehr oder weniger Glück dem Fischfang oblagen und dann behaglich unter einem offenen, üppig von Rosen und Geissblatt umrankten Fenster unser Mahl einnahmen. Nichts machte ihr so viel Freude, als an einen neuen Ort zu gehen, und mich beglückte nichts mehr, als einen neuen Punkt zu finden, an den ich sie führen konnte. Wir waren glücklich wie Kinder, und so weit ich es beurteilen kann, auch unschuldig wie solche. Es freute uns, unser Leben für uns, auf unsre eigne Weise zu leben, und wenn dies eine Sünde ist, welche Ansicht Miss M’Lachlan energisch zum Ausdruck brachte, so kann ich nur versichern, dass es eine sehr angenehme Sünde ist und ich alle bedaure, die sie nie begangen haben. Es gibt Leute, von denen ich fest überzeugt bin, dass sie den Vögeln das Singen am Sonntag verbieten und die Kaninchen mit ihren glänzenden Aeuglein während des Gottesdienstes am liebsten in ihre Höhlen sperren würden, und zu dieser Sorte gehörte auch Miss M’Lachlan, die von ihrem Pfefferminz und Anis und Kümmel pünktlich den Zehnten entrichtete, während sie sich mit heiterer Gleichgültigkeit über die wichtigeren Bestimmungen des Gesetzes hinwegsetzte.
Bei Tisch gab es gelegentliche Scharmützel zwischen der schottischen alten Jungfer und Mrs. Brabazon, bei welchen die letztere dermassen die Oberhand behielt, dass Miss M’Lachlan zu allgemeiner Erleichterung und unter nicht verhehlter Heiterkeit Mr. Brattles in Thränen ausbrach und das Zimmer verliess, was dem boshaften Herrn willkommenen Stoff zu allerlei Scherzen über die alte Hexe gab.
Das Glück war mir nicht immer hold. Beim Billard spielt der Zufall eine geringere Rolle als bei irgend einem Spiel der Welt, allein sogar im Billard kann man beharrlich Pech haben, und so erinnere ich mich eines Tages, an dem ich gar kein Geld mehr hatte. Mein Vater war mit seinem Zuschuss im Rückstand geblieben, und ich wusste buchstäblich keinen Menschen, an den ich mich hätte wenden können; so kleidete ich mich denn mit mehr als gewöhnlicher Sorgfalt an, wobei ich den Stiefeln meine ganz besondre Aufmerksamkeit zuwandte, und begab mich nach dem Geschäft des Mr. Raphael in Half-moon Street, Piccadilly.
Mr. Raphael war ein Geldverleiher, aus welcher Thatsache er keinerlei Geheimnis machte; an der Hausthür befand sich ein blankes Messingschild und eine Geschäftsglocke mit einem kleinen Plättchen darunter. Ich wurde in ein mit ausgezeichneten Bildern, Statuetten und kostbarem Porzellan ausgestattetes Wartezimmer geführt. Offenbar war Mr. Raphaels Geschmack ebenso gut wie seine Menschenkenntnis. In sein Allerheiligstes zugelassen, kam ich gleich zur Sache, ich brauchte hundert Pfund und sagte dies Mr. Raphael. Dieser betrachtete mich scharf, und ich erwies ihm die nämliche Höflichkeit. Zweifellos war er ein Hebräer, aber einer der besseren Sorte; er war einfach gekleidet und hatte nicht einmal einen Diamantring an den Händen, und diese waren — dem Aeussern nach wenigstens — klein, weiss und rein.
Bald hatte er ermittelt, dass ich nach dem Tode meiner Mutter die Anwartschaft auf ein kleines Vermögen hatte.
„Sehr gut, Mr. Severn,“ sagte er, „Sie müssen mir einen Pfandschein darüber ausstellen, den mein Sachwalter, Mr. Jakobs, aufsetzen wird. Es ist doch noch nicht verpfändet?“
„Gewiss nicht,“ antwortete ich, „ich habe nie daran gedacht. Wie bald kann ich das Geld haben?“
„Nun, Mr. Jakobs muss erst Erkundigungen einziehen. Vermutlich haben Sie’s eilig?“
Ich versicherte äusserst nachdrücklich, dass dem also sei.
„Nun wenn, wie ich glaube, alles stimmt, so können Sie übermorgen um ein Uhr das Geld haben.“
„Und unterdessen können Sie mir eine Zehnpfundnote geben?“
„Ich halte Sie für ehrlich, Mr. Severn; ja, ich glaube, man kann Ihnen mit einer Zehnpfundnote trauen.“
So brachte er denn zwei Fünfpfundnoten zum Vorschein, für die ich ihm einen Schuldschein ausstellte, während er auch noch eine Flasche sehr guten Sekt und ein Kistchen Cigarren hervorholte.
„Beiläufig bemerkt,“ sagte er, „Sie haben noch gar nicht gefragt, wieviel ich Ihnen für diese hundert Pfund anrechne, und mir auch nicht gesagt, wie lange Sie das Geld brauchen.“
Ich wurde dunkelrot; er hatte mich empörend rasch durchschaut.
„Ein armer Teufel darf nicht wählerisch sein,“ erwiderte ich. „Vermutlich werden Sie Ihre Bedingungen schon stellen.“
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