Mein Vater fand es nicht leicht, Gutsbesitzer zu sein. Der beste seiner Pächter zahlte unpünktlich, andre blieben mit beträchtlichen Summen im Rückstand, und wieder andre zahlten gar nicht. „Was ist da zu machen?“ pflegte mein Vater zu sagen. „Wenn man keinen andern Pächter bekommen kann, so thut man am besten, den gegenwärtigen zu behalten. Er ritzt doch die Erdoberfläche ein bisschen auf, rodet das Unkraut aus und hält die Hecken in stand; er ist ein unbezahlter Verwalter, und für das, was sein Pachtgut wert sein mag, hat man wenigstens die Jagd auf demselben.“
Zeitweise wurde die Klemme noch drückender, als sie gewöhnlich war. Fleisch und Gemüse bezogen wir aus unsern eignen Hilfsquellen, aber Kohlen, Materialwaren und Kleider mussten bezahlt werden, und da man eine Rechnung von zwanzig Pfund nicht mit einer Fünfpfundnote ausgleichen kann, so musste das Einkommen meiner Mutter schon im voraus angegriffen werden, was ein sehr umständliches und kostspieliges Verfahren war, da ihre Vermögensverwalter sich nie damit einverstanden erklären wollten. So plagten wir uns in recht armseliger Weise weiter und lebten von der Hand in den Mund, ohne grosse Hoffnungen auf die Zukunft zu setzen. Niemand ist so unglücklich wie ein bedürftiger Gutsbesitzer, und niemand so arm wie ein armer Edelmann, der standesgemäss leben muss.
Im Alter von zwanzig Jahren hatte ich meinen vollen Teil an solchen Erlebnissen und Abenteuern gehabt, wie Essex sie eben zu bieten vermag. Ich war auf Messen und Jahrmärkten gewesen, hatte Steeplechase-Rennen mitgeritten, mich in persönliche Verwickelungen mit Wilddieben und Zigeunern gebracht und selbstverständlich bis über die Ohren in die einzige Erbin in der Nachbarschaft verliebt, nicht weil sie eine Erbin war, sondern weil sie zufällig auch ein hübsches Aeussere besass, welch letztere Ansicht, wie auch die Zuneigung selbst, auf Gegenseitigkeit beruhte.
Dieses Liebesabenteuer war der erste Wendepunkt in meinem Leben. Natürlich schrieben wir uns auch Briefe — etwa zwei am Tage oder, falls wir uns nicht trafen, vier oder auch mehr. Es lag in der Natur der Dinge, dass diese Briefe aufgefangen wurden; sie waren sehr einfältig, aber sehr ernst gemeint. Das Ergebnis ihrer Entdeckung war, dass Isabella Vivian in eine Pension auf der Insel Wight geschafft und ich nach London geschickt wurde, um mich zur Advokatur vorzubereiten.
Zur Advokatur vorbereiten hiess: ich sollte auf dem Büreau eines Advokaten arbeiten, zu dem ich nie ging; ich wohnte in einem Kosthaus in Bayswater und durch mein Billardspiel versorgte ich mich mit Taschengeld; ich stand mit jedem Omnibuskutscher in jener Gegend auf vertrautem Fuss, und ich glaube, ich kann mit gutem Gewissen versichern, dass ich bei keinem Vorstadtrennen gefehlt habe. In dieser Weise suchte ich mir die Fähigkeit zu erwerben, meine Nebenmenschen zu verteidigen, wenn sie auf Tod und Leben angeklagt wurden, und Berufungen in betreff erblicher Titel und unermesslicher Landgüter vor das Oberhaus zu bringen.
Doch will ich mir andrerseits auch wieder Gerechtigkeit widerfahren lassen. Auf Ehre, ich glaube nicht, dass ich irgend einem Laster fröhnte. Ich trank nicht mehr, als ich vertragen konnte; ich pumpte nie etwas, das ich nicht pünktlich zurückzuzahlen vermochte; ich wettete nie über eine mir zweifellos bekannte Thatsache; ich beschimpfte nie einen Schwächeren und behandelte alle Frauen mit Ehrerbietung. Davon abgesehen war ich ein so fauler Taugenichts wie irgend ein Bummler in der Stadt.
Das Kosthaus, an dessen sämtlichen Gerechtsamen, den Zutritt zum Billardzimmer und die Benutzung des Pianos miteingeschlossen, ich um den bescheidenen Preis von dreissig Schilling die Woche teilnehmen durfte, lag in dem halbaristokratischen Bezirk Bayswater, das hochmütig auf Paddington herabsieht, während es selbst von South Kensington über die Schulter angeblickt wird. Es gehörte einer Witwe, die einstens hübsch gewesen sein mochte, jetzt aber abgehetzt und überarbeitet aussah und nie müde wurde, über ihre gegenwärtigen und vergangenen Kümmernisse zu klagen.
Die Gesellschaft war eine überaus gemischte. Da waren zwei Herren, von denen jeder irgend etwas in der City war — was, habe ich nie ermitteln können. Ferner war einer da, von dem ich wusste, dass er Bookmaker, aber nicht Mitglied des Tattersalls war. Auch ein auf Halbsold gesetzter Offizier war vorhanden, weiter ein Titular-Oberstlieutenant und ein Schreiber von Somerset House nebst einem Herrn von der Presse. Was die Damen anbelangt, so waren auch diese ein wenig gemischt. Die eine war eine Generalswitwe, die mit ausgeprägtem irischen Dialekt sprach und bei jeder denkbaren Gelegenheit auf ihren Gatten, den „Scheneral“, Bezug nahm. Auch zwei wohlbeleibte Frauen waren da, von deren Männern behauptet wurde, sie dienten in Indien. Allein es ergaben sich einige Schwierigkeiten, wenn man festzustellen versuchte, welchen Regimentern diese tapferen Offiziere angehörten — eine Thatsache, die von der Frau Generalin tückischerweise ausgebeutet wurde. Ferner hatten wir eine Miss M’Lachlan, die gerne mit ihrem Neffen, „Dem M’Lachlan“ prahlte; sie kleidete sich äusserst streng und schlicht, hatte eine aufdringliche Nase und war eine so entschiedene Calvinistin, dass sie jede Art von bischöflicher Verfassung für schlimmer hielt, als die römisch-katholische Kirche selbst. Schliesslich kam noch Mrs. Brabazon, zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreissig Jahren, die von allen andern Frauen gehasst wurde, teils weil sie alle Kleider aus Paris bezog und sich besser zu kleiden verstand als die übrigen, teils weil sie sehr hübsch war und allen Männern gefiel, teils auch, weil sie sich gewisse Ueppigkeiten gestattete, wie ein Fläschchen Champagner zum Mittagessen oder auch gelegentlich eine Treibhausfrucht, während sie ihrer Leidenschaft für frische Blumen ganz zügellos frönte und sich welche aus Nizza kommen liess, wenn in London auch um den höchsten Preis keine aufzutreiben waren.
Schon nach einer Woche waren Mrs. Brabazon und ich die besten Freunde und nach Verlauf von vierzehn Tagen wurde mir gestattet, sie auf ihrem Morgenspaziergang zu begleiten. Nach etwa einem Dutzend solcher Ausflüge, deren Ziel meistens die Kensington-Gärten waren, erklärte ich ihr mehr oder weniger tölpelhaft, denn es war mir ernst, dass ich sie liebe, worauf sie entgegnete, ich sei ein ganz ungezogener und unverschämter Junge, dass ich wage, ihr so etwas ins Gesicht zu sagen.
„Aber ich liebe Sie wirklich,“ versicherte ich, „auf Ehre, ich liebe Sie!“
„Sie einfältiger kleiner Spatz! Ich könnte ja Ihre Mutter sein!“ Dabei rieb sie ihre Backe heftig mit dem Taschentuch, vermutlich um zu zeigen, dass die Rosen ihrer Wangen natürlich seien. „Wenn Sie es wagen, noch mehr solchen Unsinn verlauten zu lassen, schicke ich Sie fort und gehe allein nach Hause. Sie verdienten wahrhaftig, für Ihre Unverschämtheit die Rute zu bekommen.“
Rasch blickte ich mich um, und da uns niemand sehen konnte, schlang ich kühn meinen Arm um ihren Leib und küsste sie. Natürlich bekam ich eine Ohrfeige dafür, aber ich glaube nicht, dass diese die Bestimmung hatte, mir ernstlich wehe zu thun — in diesem Falle hätte sie wenigstens ihren Zweck völlig verfehlt.
„Sie sind sehr unartig und sollten sich schämen. Sie sind ja kaum der Rute entwachsen und riechen noch nach Butterbrot; ich kann so aufgeschossene halbwüchsige Jungen nicht ausstehen, solche Jungen dont on coupe le pain en tartines.“
„Wenn Sie mich nicht höflicher behandeln, thue ich’s noch einmal,“ erwiderte ich.
„Nein, bitte nicht,“ sagte die Dame, „wenigstens nicht hier; gleich lachen uns alle Kindermädchen aus, und der Parkaufseher weist uns hinaus.“
„Ich küsse Sie dann nur um so öfter, wenn ich Sie heimgebracht habe.“
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