Eben öffnete sich wieder die Tür. Frau Doris und Erna traten ein. Morgenfrisch, lächelnd, angeregt von der Unterhaltung mit der Schneiderin. Der Professor wurde warm begrüsst, ordentlich wohltuend stach die Begrüssung von der Resis ab.
Resi ging sofort, schützte Hausarbeit vor, und der Professor atmete auf. Ihre dunklen, ernsten Augen, in denen ein seltsamer Ausdruck, fast wie eine Warnung, gelegen, ehe sie ging, verstimmte ihn. Eine Warnung? Wovor hätte Resi ihn warnen sollen?
Erna plauderte mit geröteten Wangen und holdseligem Lächeln, und dann fragte Frau Doris, wie lange der Herr Professor seinen Besuch beim Vater auszudehnen gedenke.
Er antwortete, er würde schon in den nächsten Tagen die Heimatstadt wieder verlassen. Irrte er sich oder hatte er in Ernas Augen wirklich ein Erschrecken gesehen?
Frau Faber wurde ans Telephon gerufen. Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, sagte Erna leise: „Weshalb wollen Sie denn schon so schnell wieder fort, Herr Professor, muss das denn sein?“
Er zuckte zusammen, denn aus dem süssen Antlitz vor ihm sprachen allzu deutlich Trauer und Schmerz. Tat es ihr leid, dass er schon wieder ging? Aber sie kannte ihn doch kaum, er war ihr fast ein Fremder.
Er lächelte. „Ja, ich muss wieder heim, Fräulein Faber, Pflichten rufen, mein Vater ist gewohnt, allein zu sein, und sonst lasse ich niemand hier zurück, dem mein Weggehen leid tut.“
Wie kam er nur dazu, so deutlich zu sein? Er wusste es nicht, wusste nur, dass in ihm plötzlich eine Unruhe brannte wie in einem Primaner, der auf das Gegengeständnis seiner Verehrten, Angeschwärmten wartet.
Ernas Köpfchen erfasste klug die Sachlage. Sie dachte, es könne wohl nichts schaden, alles auf eine Karte zu setzen.
Leise, gleich einem Hauch, drang es an sein Ohr: „Ich wünschte, Sie blieben noch hier, ich wünschte es so aus ganzem Herzen.“
Er blickte sie an. Ihre dunklen, dichten Wimpern lagen auf den Wangen, sie sass wie starr.
Martin Ernstmann erhob sich. „Fräulein Faber, Sie wissen so wenig von mir, wir lernten uns erst kennen, was kann Ihnen an meiner Person liegen?“ Erregung wehte durch seine Stimme.
Erna lächelte, und langsam, ganz langsam schoben sich ihre Lider hoch. Mit gefalteten Händen, gleich einem Kinde, das betet, sagte sie: „Ich habe Sie so schrecklich gern, so gern, wie ich noch nie einen Menschen gehabt, und darum —“ Sie brach ab und sass wieder mit niedergeschlagenen Augen da.
Der Mann verblieb noch sekundenlang in seiner ruhig zurückhaltenden Stellung, dann aber war kein Halten mehr. Vor ihm sass das Glück, das leibhaftige Glück. Ein Tor wäre er, wenn er nicht zugreifen würde, es an sein Herz zu nehmen.
Er bedachte nicht mehr, dass er Erna Faber kaum kannte, er bedachte nicht mehr, dass er doch eigentlich viel zu alt für ihre frische Jugend war, er gehorchte nur dem seligen Augenblick, in dem er sich jung fühlte und glücklich und masslos verliebt.
Diese blütenjunge, zarte Schönheit trug ihm ihr Herz, ihre ganze sieghafte, blonde Knospenschönheit auf den Händen entgegen, wie hätte er da widerstehen können?
Seine Arme umschlangen das zierliche Persönchen, seine Lippen suchten und fanden den rosigen Mund.
Frau Doris, die eben wiederkehrte, verharrte wie erstarrt im Türrahmen. Ja, träumte sie denn? Wahrheit konnte es doch nicht sein, was ihre Augen sahen.
„Erna!“ rief sie erschrocken, und ihre Stimme schlug über. Da löste sich das Mädchen in holdester Verwirrung aus den Armen des Mannes und eilte auf die Mutter zu.
„Wir haben uns lieb, Mutti, und haben das sehr rasch erkannt. Nicht wahr, du bist nicht böse, du Liebe, Gute?“
Schmeichelnd und rührend sanft klang das Bitten.
Martin Ernstmann empfand mit fast heiligem Schauer, welch ein glückseliger Mann er doch war, dass dieses süsse, unschuldsvolle Wesen sich ihm zu eigen geben wollte. Er trat einen Schritt vor.
„Verehrte Frau Faber, es ist wohl an mir, um Vergebung zu bitten, weil ich mich hinreissen liess —“ seine Augen leuchteten dabei jung und froh, „aber,“ er wies auf Erna, „so viel Lieblichkeit gegenüber ruhig zu bleiben, dazu wollte die Beherrschung nicht langen. Ich liebte Ihr Kind vom ersten Sehen, und Erna geht es mit mir ebenso, ziehen Sie das in Betracht und seien Sie milde.“
Frau Doris hatte, nachdem die erste Ueberraschung vorüber, blitzgeschwind alle Für und Wider überlegt. Alles in allem bedeutete Professor Ernstmann eine glänzende Partie für Erna, nur der Altersunterschied zwischen den beiden stimmte nachdenklich. „Wollen uns setzen und uns ruhig besprechen,“ sagte sie, Erna sanft von sich fortschiebend.
Erna dachte: Um des Himmels willen, keine langen und langweiligen Auseinandersetzungen mehr, das Eisen schmieden, solange es warm ist. Mit weicher, geschmeidiger Bewegung eilte sie von der Mutter auf den Mann zu, und sich an ihn klammernd, bat sie: „Es gibt keine Gründe, uns zu trennen, bleibe standhaft, ich sterbe, wenn ich dich verlieren müsste.“
Der sonst so kühle, ernste Gelehrte war wie benommen. Ernas Worte stiegen ihm zu Kopf gleich starkem Wein, er hätte in diesem Augenblick einer ganzen Welt Trotz geboten, Erna zu erringen.
Aber so schwer ward es ihm gar nicht gemacht, Frau Doris’ Einwand, die Bekanntschaft sei zu kurz, Erna sei noch viel zu jung zum Heiraten, und man müsse vielleicht auch den Unterschied der Jahre bedenken, schlug er mit frohem Lächeln zurück. Erna liebte ihn, das gab ihm jede Sicherheit für eine glückliche Ehe.
Frau Doris liess sich schnell überzeugen, ihr strahlendes Gesicht bewies, wie froh sie über das Ereignis war. Sie sonnte sich schon in dem Gedanken, wie sehr man sie um den berühmten Schwiegersohn beneiden würde.
Sie liess ihren Mann telephonisch „in höchster wichtiger Angelegenheit“ bitten, nach Hause zu kommen, und Oberingenieur Faber kam sofort. Stutzte sehr bei der Neuigkeit, sagte kopfschüttelnd: „Resi hätte eigentlich besser für Sie gepasst,“ gab aber sofort seine Zustimmung. Was hätte er auch gegen Frau und Tochter ausgerichtet?
„Resi hätte besser für Sie gepasst!“ Diese Bemerkung trug ihm später eine Extra-Gardinenpredigt von seiten seiner Frau ein.
Er verteidigte sich. „Ich kann mir nicht helfen, ich bin nun mal der Meinung. Resi ist ein Charakter, hat mehr Bildungsinteresse wie Erna, kurz, ich kann mir sie als Frau Professor ganz gut vorstellen, während mir das blonde Quecksilber in der Rolle ganz unmöglich erscheint. Ich wünsche natürlich von Herzen, dass alles gut klappt, kann dir aber nicht verhehlen, liebe Doris, dass ich nicht daran glaube. Ernas Liebe zu dem Professor steht auf keinen festen Füssen und ist nichts anderes, als eine bunte Einbildungsseifenblase.“
Frau Doris sagte beleidigt, dass Männer im allgemeinen von der Tiefe eines Frauengemüts keine Ahnung hätten und er im besonderen schon gar keine Ahnung hätte, dass sie als Mutter bessere seelische Fühlung mit ihrem einzigen Kinde habe. Da schwieg Gustav Faber. Wenn seine Frau von ihrem „einzigen Kinde“ sprach, war es am besten, man streckte die Waffen.
Resi war einkaufen gewesen, und so erfuhr sie die Neuigkeit erst bei Tisch.
Ahnungslos betrat sie das Wohnzimmer und wunderte sich über das seltsam verhaltene Siegeslächeln Ernas. Was hatte denn die Schwester, hatte der schwache Vater vielleicht wieder ein teures Kleidungsstück bewilligt? Ein Mantel mit Marderpelz war ja Ernas Ziel der Sehnsucht.
Aber auch die Mutter lächelte so seltsam stolz und zufrieden, und der Vater sah ernst und nachdenklich aus. Irgend etwas hatten die drei, irgend etwas, davon sie nichts wusste, und es schien sich doch um mehr als ein Kleidungsstück zu handeln.
Sie blickte auf die Uhr. „Essen wir heute später?“ fragte sie die Mutter.
Frau Doris lächelte. „Jawohl, Resi, wir essen ein wenig später, wir erwarten Professor Ernstmann zu Tisch. Er ist nur schnell zu seinem Vater, um auch ihn zu bitten, heute mittag unser Gast zu sein.“
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