»Was ist aus diesem Sturmbannführer Müller-Malbach geworden?«
»Den haben wir geschnappt und bis zum Geht-nicht-Mehr ausgepreßt. Übrigens suchten ihn auch die Russen oder Polen.«
»Wurde er ausgeliefert?« fragt Partaker erregt.
»Das weiß ich nicht«, erwidert Ginty.
»Das hätte uns noch gefehlt«, entgegnet der CIA-Vice.
Er steht auf, läuft erregt im Raum auf und ab wie in einem Käfig. Dann legen die beiden eine kurze Pause ein, gehen in Partakers Büro zurück, trinken Kaffee und stellen fest, daß die CIA-Leute verblüffend rasch gearbeitet hatten.
Auf einmal ist auch Worthmiller, der persönliche Referent, zur Stelle, wiewohl er heute frei hat. Er ist jung, ehrgeizig, auf dem Sprung wie ein Jagdhund, der sich das Hecheln abgewöhnt hat, einer der neuen Leute, die sich der Drahtzieher der unsichtbaren Front herangezogen hat.
»Der Personalakt Captain Steels liegt vor«, schießt Partakers Referent los. »Der Mann ist 34, kommt aus Tucson in Arizona, ist aber in New York aufgewachsen. Sein Großvater, ein Österreicher, wanderte um die Jahrhundertwende nach Amerika ein. Steels Vater war ein gefragter Architekt, seine Mutter ist geborene Schweizerin. Die Eltern sind früh gestorben und haben ihrem Sohn ein beträchtliches Vermögen hinterlassen …«
»Was heißt das?« unterbricht ihn Partaker unwirsch. »Ich will wissen, wieviel es war, genau auf Dollar und Cent, Worthmiller!«
»50 000 Dollar in Wertpapieren, etwa 30 000 Dollar in bar und Grundstücke und Immobilien im Wert von mindestens 200 000 Dollar.« Der Gerügte wirft die Informationen aus wie ein Automat die Münzen.
Partaker nickt befriedigt, weniger weil Captain Steel betucht ist, sondern weil seine Leute so präzise recherchiert haben.
»Steel arbeitete zunächst als junger Anwalt in New York, wurde dann zur Armee eingezogen und wegen besonderer Tapferkeit vorzeitig zum Offizier befördert. Er war an dem Handstreich auf die Brücke von Remagen beteiligt und erhielt dafür den ›Silverstar‹.«
»Weiter!« drängt der CIA-Vice.
»Er spricht hervorragend Deutsch und Italienisch; deshalb wurde er aus der Kampfgruppe herausgezogen und dem CIC-Geheimdienst der Armee zugeteilt. Als damals die Pfundnoten auftauchten, avancierte er sofort zum Leiter einer Sonderkommission …«
»Und wo ist der Mann jetzt?«
»In Urlaub«, entgegnete Worthmiller, »und zwar in der Schweiz, Zürich, Hotel ›Zum Storchen‹. Er wird von dort nach New York fliegen, um offiziell – unter Beförderung zum Major – aus der US-Army entlassen zu werden.«
»Sorgen Sie dafür, daß dieser Akt nicht in New York, sondern in Washington stattfindet«, ordnet der CIA-Vice an. »Und sehen Sie zu, daß der Minister of Defence die Zeremonie nach Möglichkeit mit einigen anderen Offizieren persönlich vornimmt – und daß wir zu einem anschließenden Lunch eingeladen werden.«
»Respekt, Skinny«, sagt der FBI-Dezernent anerkennend. »Du hast wirklich noch nichts verlernt.«
Bevor sie in den Aktenraum zurückkehren, ruft Partaker seinen Mann in Bern an und reißt ihn aus dem Schlaf: »Listen, Frank«, sagt er, »Im Hotel ›Zum Storchen‹ in Zürich ist CIC-Captain Steel – vom Headquarters in Frankfurt – abgestiegen.«
»Den kenne ich«, erwidert Gellert rasch. »Der Mann ist – er ist …«
»Spitze«, unterbricht ihn der CIA-Vice unwillig. »Dann weißt du auch, daß du verdammt vorsichtig sein mußt. Ich möchte, daß du Steel nicht aus den Augen läßt. Er darf es unter keinen Umständen merken; ich will nicht, daß man ihn verärgert. Also, denk dir aus, wie du das anstellst, Frank!«
»Was wollen Sie eigentlich von ihm, Sir?«
»Fragen stelle ich«, erwidert Partaker arrogant und legt auf.
Der Posten steht immer noch vor dem Dokumentenraum; einen Moment lang sieht der CIA-Vice an der endlosen Aktenreihe entlang und schüttelt ungläubig den Kopf.
»Jedenfalls siehst du, daß wir nicht geschlafen haben«, stellt Ginty fest, greift wieder nach dem Schlußbericht und erklärt Zusammenhänge. Weder in dieser noch in den nächsten Nächten ist an Schlaf zu denken.
Der Passagier kommt aus Zürich, ein US-Offizier, der wie ein Zivilist wirkt und mehr einem Europäer als einem Amerikaner gleicht. Jedenfalls hat er sich auf dem Kontinent vorzüglich akklimatisiert; er trägt einen tadellos geschnittenen Sportsakko zur Hose mit scharfen Bügelfalten. Die Haare sind länger, als sie die Yankees sonst tragen.
Der Reisende wirkt nicht wie ein Stutzer, doch wie ein Mann, der auf sein Äußeres bedacht ist. Von London aus will er mit der ›Super Constellation‹ nach New York weiterfliegen. Die Reise mit der Viermotorigen wird sich bis morgen hinziehen, aber ein künftiger Globetrotter muß sich daran gewöhnen, viel Zeit zu haben. Der Flug über den Atlantik von der Alten in die Neue Welt ist zwar kein Abenteuer mehr, aber durch die Zwischenlandungen noch immer umständlich und zeitraubend.
»Thank you, Mr. Steel«, sagt die Uniformierte am Abfertigungsschalter der Fluglinie höflich und schiebt dem Überseereisenden das Ticket wieder zu. »Have a good flight.«
Der Mann im sportiven Reisedreß nickt lächelnd, geht durch den Zoll und dann sofort an die kleine Bar. Für den Kaffee ist es zu spät, für den Whisky noch zu früh, doch in solchen Fällen entscheidet sich der Captain der US-Army meistens für einen Bourbon, einen doppelten. Leber und Geldbörse gestatten ihm das ohne weiteres, und künftig wird nicht schon am frühen Morgen ein mißtrauischer Colonel nach einer möglichen Alkoholfahne schnuppern. Der Demobilisierte ist entschlossen, sich jetzt auf die Fahne der Lebenslust einschwören zu lassen.
Er stellt sein Bordcase ab, läßt es aber nicht aus den Augen, so, als enthielte es ein wertvolles Mitbringsel für Mrs. Steel – doch eine solche gibt es nicht. Die elegante Flugtasche birgt nur Geld, Dollars, allerdings in ungewöhnlicher Menge.
Der Mann, der jetzt über die Bodentreppe geht, ist einen Meter achtzig groß, hat ein schmales intelligentes Gesicht, das einmal geordnet werden müßte, eine hohe Stirn, selbstsichere Augen und Geld wie Heu. Er ist bester Laune, denn er sieht seine Zukunft mit Annehmlichkeiten aller Art tapeziert. Er lächelt fröhlich wie der Junge auf der Zahnpastareklame. Eigentlich ist Robert S. Steel noch immer Offizier der US-Army und müßte auf einem dichtbesetzten Truppen-Transporter die Heimreise antreten, aber er hatte noch ein paar Wochen Urlaub gut und sich entschlossen, auf eigene Kosten und in ziviler Gelassenheit in die Staaten zurückzufliegen. Fünf Jahre Militärzeit sind schließlich genug; die Uniform wird er nur noch ein einziges Mal anlegen: bei seiner offiziellen Verabschiedung.
Der Heimkehrer verstaut sein Handgepäck vorsichtig, als enthielte es blattfeines Porzellan. Dann überfliegt er lustlos die Schlagzeilen der ›New York Times‹. Professor George Gallup, der Erfinder und Papst der Demoskopie – er verkauft seine Vorhersagen an 162 Zeitungen –, prophezeit als Ausgang der US-Präsidentenwahl eine vernichtende Niederlage für Harry S. Truman. Der Ex-Captain zeigt für diese Prognose nur mäßiges Interesse. Zwar gab es in seinem Leben einmal einen Zeitpunkt, zu dem er überlegte, ob er nicht in der Demokratischen Partei eine Karriere anstreben sollte; inzwischen aber hält er Politik für eine Disziplin von Selbstdarstellern, Illusionisten, Lügnern und Gauklern. Für die Kunst des möglichen Profits. Es hindert ihn aber nicht daran, die Rivalen Truman und Dewey gleichermaßen zu schätzen; den amtierenden Präsidenten, weil er den Augiasstall seines Vorgängers rasch gesäubert, Dewey, weil er sich als Generalstaatsanwalt beim Kampf gegen die Mafia besonders ausgezeichnet hatte, und das zu einer Zeit, in der FBI-Chef Hoover noch immer behauptete, in Amerika gäbe es kein organisiertes Verbrechen; dabei lagen in den obskuren Vierteln New Yorks die Leichen erschossener Gangster auf den Straßen herum wie Müll.
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