«Herr Bebenrot, Sie kennen nicht zufällig Fräulein Krümel?»
«Nein, warum fragen Sie?»
«Ach, ich meinte nur so. Es fiel mir gerade ein. Sie ist ein so reizendes Mädchen.»
«So?»
«Ja.»
«Nein, ich kenne sie nicht.»
Da merkte ich, daß mein Anerbieten mit Guschi noch nicht reif war. Ich begann sanft und leise: «Herr Bebenrot, sagen Sie, würden Sie es mir sehr übel nehmen, wenn ich, das heißt, wenn wir unsere, Verlobung auflösten?»
«Aber wir sind doch noch gar nicht verlobt, Fräulein Helga.»
«Nein, das nicht, aber wir planen es doch, und wenn überhaupt, dann müssen Sie sich selbstverständlich sofort verloben und dann möglichst bald heiraten. Schon wegen. . . Ob aber ich gerade die Richtige für Sie bin. . .? O, bitte, liebster Herr Bebenrot, sehen Sie nicht so betrübt aus, das tut mir weh. Ach, Sie haben ja keine Ahnung. Sie können sich überhaupt nicht vorstellen. . . »
«Was? Wovon habe ich keine Ahnung?»
«…was es für ein Glück bedeuten kann, mich nicht zur Frau haben zu müssen. . . »
«Wie? Was?»
«Nein, bitte, wollen Sie mich aussprechen lassen. Ich muß es Ihnen genau sagen, das bin ich Ihnen schuldig. Sehen Sie, ein bißchen kennt sich doch jeder Mensch, nicht wahr? Nicht sehr viel, aber es gibt doch einige Hauptsachen, mit denen man bei sich Bescheid weiß. Hören Sie, ich neige nämlich dazu, immer das Gegenteil von dem zu tun, was man von mir erwartet. Das habe ich schon mehrmals an mir bemerkt.»
«Aber was erwarte ich denn von Ihnen, Fräulein Helga?»
«Unausgesprochen vielleicht sehr viel. Würde ich zum Beispiel einen solch frommen oder religiösen Menschen, wie Sie es offenbar sind, zum Manne bekommen, wär’s wahrscheinlich eine Gnade oder ein Wunder, wenn ich nicht für lebenslänglich ins Zuchthaus käme. Und das wollen Sie doch gewiß nicht, nicht wahr? Sehen Sie wohl. Aber so würde es kommen. Ich würde bestimmt etwas anstellen. Einen Diebstahl, einen Einbruch, Mord und Todschlag, kurzum, ich wäre sorglich aufs Gesetzwidrige bedacht. Warum? Weil Sie so sehr fromm sind! Ja. Und was hätten Sie davon, wenn Sie allein mit Ihrem lieben Gott in der Klosterkirche säßen, und ich, die Frau, wäre nicht mal daheim, geschweige denn in der Kirche, sondern hocke bei Wasser und Brot, in Ketten und Banden, hinter Schloß und Riegel in irgendeinem finsteren Loch. Das würde Ihnen nahegehen. Wollen wir es darauf ankommen lassen?»
«Um Himmels willen! Das sind ja schauderhafte Bilder, die Sie da entwerfen. Wo wollen Sie nur damit hinaus?»
«Nirgends hinaus. Nur bei mir selber bleiben will ich. Etwas anderes will ich ja gar nicht.»
«Nun ja, ich gefalle Ihnen nicht. Das ist nicht Ihre Schuld, und ich habe Ihnen keinen Vorwurf zu machen. Sie können mich nicht liebhaben. Das ist es. Habe ich recht, Fräulein Helga?»
«Nein, ganz und gar nicht. Das Liebhaben, das würde ich bald heraushaben. Das ist etwas, was sich lernen läßt. Das hab’ ich schon an meinen Eltern bemerkt, und auch an mir selber. Also Lieben, das ist das wenigste. . . »
Schon wollte ich mich über dieses Thema verbreiten, als ich noch rechtzeitig bemerkte, daß ich mich damit in ein gefährliches Fahrwasser begebe, und darum schwieg ich.
Wir sahen uns die Wachspuppen an, die’s da drinnen so leicht und lustig hatten. Eine Bahn nach der andern fuhr vorüber. Es war Zeit, daß ich heimkam.
«Herr Bebenrot, darf ich Sie nicht doch mit meiner Freundin bekannt machen. Sie ist Retuschöse und Kopiererin im Atelier Müller, an den Norderhofenden. Es könnte doch sein, daß sie einander gefallen.»
«Sie sind sehr liebenswürdig, Fräulein Helga. Aber Sie bemühen sich unnötig.»
«Das können Sie doch nicht wissen, ob ich mich unnötig bemühe. Werde mich vielleicht noch oft unnötig bemühen. Das ist meine Sache. Und ich tu es doch so gern für Sie. Was ich nur kann, will ich für Sie tun. Nicht ruhen werde ich, bis Sie glücklich verheiratet sind und die Erbschaft gemacht haben. Wenn ich eine Sache in die Hände nehme, ruhe ich nicht eher, bis es klappt. Die Geschichte selbst läßt mir keine Ruhe. Wissen Sie, ich habe heute früh etwas schußlich gebetet, aber Sie dürfen versichert sein, daß ich es ganz korrekt nachholen werde. Und mit Guschi Krümel werde ich morgen abend sprechen. Das kann auf keinen Fall schaden.»
«Seltsam, gestern waren Sie so entgegenkommend. Ich verstehe ja, meine Anfrage kam Ihnen etwas plötzlich. Können Sie sich nicht noch einmal prüfen, ob. . . »
«Herr Bebenrot, ich bitte, fangen Sie nicht wieder davon an. Ich habe mich genug geprüft. Gestern abend und heute morgen, und zwar gründlicher, als Sie annehmen.»
«Gut, Fräulein Lund, es ist gut. Aber müssen Sie jetzt nicht die Bahn nehmen?»
Sobald er mich losließ, hatte ich wieder Zeit für ihn. Guschi Krümel bekam er nicht zur Frau, dafür aber machte ich eine andere Freundin auf ihn aufmerksam, mit der Herr Bebenrot Glück hatte, so daß ich mich wieder frei fühlen durfte.
Die goldene Eva
Bekanntschaft mit Gaute Londelius
Aller Anfang ist leicht
Wenige Wochen später ließ ich mich einfangen, leicht, wie ein Vogel, der weder Netz noch Falle vermutet, Ich fiel in Liebe, wie man bei mir daheim zu sagen pflegt. Doch will ich berichten, wie ich fiel, und wie mein Vogelfänger mich einfing.
Es war kurz vor Pfingsten, und ich bekam eines sehr schönen Tages einen Brief folgenden Inhalts:
Sehr geehrtes Fräulein Lund!
Wir haben Sie vom Fest des Stenographenvereins Gabelsberger noch als «Venus im Grünen» in lebhafter Erinnerung. Sie würden uns eine große Freude bereiten, wenn Sie bei unserer geplanten Theateraufführung, die am dreißigsten Mai im Tivoli stattfindet, mitwirken würden. Wir wollen ,Die goldene Eva‘ zur Aufführung bringen und können uns keine bessere Vertreterin der Titelrolle denken, als Sie es sicher sein werden. Wenn Sie einverstanden sind, möchten wir Sie bitten, am fünften Mai, abends acht Uhr zur Leseprobe sich bei Herrn Albert Philipp, Angelburgerstraße 23, im Rückgebäude, zweiter Stock links, einzufinden. Sollten Sie verhindert sein, an der Aufführung mitzuwirken, was wir außerordentlich bedauern würden, haben Sie die Güte, uns möglichst postwendend Nachricht zukommen zu lassen.
Mit hochachtungsvoller Begrüßung
der Naturheilverein. Vorstand A. Zuck.
Den Ruck und Zuck, den mir dieser Brief verursachte, brauche ich wohl kaum zu schildern. Ich war vor Freude, wieder spielen zu dürfen, wie aus dem Häuschen. Selbstverständlich zeigte ich meiner Mutter sofort den Brief, sah sie so erwartungsvoll und schmeichelnd an, daß sie mir die Erlaubnis gab, mitmachen zu dürfen. «Na, meinetwegen. Schließlich bist du ja nur einmal jung.»
Die goldene Eva. . . Ich, ich war es. . . Was das wohl für ein Stück sein mochte? Hoffentlich keine allzu rasche Vertreibung aus dem Paradies. Ich stellte mir etwas Biblisches, etwas bezaubernd Schönes vor. Die goldene Eva. . . Am hellichten Tage träumte mir von einem Apfelbaum, von dem ich eine reife Frucht nahm, um sie irgendeinem entzückenden Adam zu reichen. Er nahm und aß, und ich sagte ihm nur: «Ich liebe dich.»
Er gab zur Antwort: «Ich liebe dich.»
Es war, als wäre dieses eine Wort «Liebe» unser Atem, unser Herzschlag. Wir lebten durch und von diesem Wort. Wir spielten mit dem Wort und durchkosten es in allen Varianten.
Es war keine Sünde. Es war nur schön. Der Garten blühte, und wir blühten mit. Die goldene Eva. Es lag ein Schimmer über diesem Wort. Es glänzte. Es war wie ein Traum, aber dieser Traum war das Leben. Es gefiel mir unsagbar gut, und ich konnte die wenigen Tage bis zur Leseprobe kaum abwarten.
Der fünfte Mai kam mit rührender Zuverlässigkeit heran. Um sechs Uhr früh sah ich schon zum Fenster hinaus. Es war ein köstlicher Tag. In den Kastanienbäumen, die bei uns in der Dorotheenstraße rechts und links standen, zwitscherten die Vögel, zwitscherten und sangen. Mit den Vögeln muß man singen, aber niemals mit den Wölfen heulen, ging es mir durch den gutausgeruhten Kopf, und ich sang: Der Morgen, der ist meine Freude. . . Mutter dagegen litt noch ein bißchen am sogenannten Morgengrauen, bat mich, etwas leiser zu singen. Gewiß. Gern. Ich hielt den Mund, aber es sang weiter in mir.
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